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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Steinchen und Mauert'all mit den abermals aufgerafften Erbsen gegen die
Scheiben schleudert. Streckt dabei jemand, dem man sonst nicht hold ist,
fragend und abwehrend den Kopf zum Fenster heraus, so fliegt ihm der ganze
Hagel ins Gesicht. Trotzdem nehmen die Erwachsenen nicht gerade ein Aerger¬
niß an diesem Nachtunfug, sondern immer noch erkennt man darin wenig¬
stens eine Spur jenes alikirchlichen Zweckes, die Menschen zur Wachsamkeit
mahnen zu lassen, "damit der Herr bei seiner nahen Ankunft sie nicht unvor-
bereitet finde; Gott kommt langsam, darum schickt er seine Boten." So hört
man in unsern Ortschaften am schweizerischen Oberrhein heute noch versicher".
Auch bestimmte Ottssagen unrcrstütze" hier noch den localen Brauch. Ehedem
zur Zeit der Pest, sagt man, wo man die Häuser der Nachbarn nicht mehr zu
betreten wagte, habe man den Bekannten Erbsen ans Fenster geworfen, um
von ihnen ein Gegenzeichen zu erhalten, ob sie noch am Leben seien. Fast
allenthalben in Oberdeutschland ist noch etwas von diesem Brauche am Leben.
Die Kinder in Franken fuhren eigne Holzhammer, wenn sie in den Advenl-
nächten unter dem Rufe Gutheit! Gaben heischend an die Thüren klopfen. Weil
sie dabei verkleidet erscheinen, heißen sie Hüllbutzeu, die Masken der Frau Holle.')
In Schwaben bedeutet das Zeitwort t'löpflcn selbst nichts anderes mehr, als
Etbscn gegen fremde Fenster werfen und dafür sich ein Geschenk erbitten, und
von der gleichzeitig üblichen Festspeisc der Käse- und Mehltnöpslcin heißt die
Zeit auch Knäpflesnacht, wie sie im Schwarzwalde ebenso nach dem Backwerke
der Kräpflein Kröpflesnacht genannt wird. In Tirol führt man dazu den An-
klöpfelesel mit herum, eine Figur durch zwei hinter einander gehende in Eins
verhüllte Bursche gebildet, auf deren Traggerüste ein dritter als Eselsreitcr
sitzt. Der Ausdruck klopfen diente unsern Dichtern seit Hans Folz und Hans
Rosenplüt überhaupt zum stehenden Titel jedes ihrer gedichteten Neujahrswünsche,
und in unsrer altdeutschen Poesie geht die Frau Aventiure mit ihrer guten
Maere von Haus zu Haus, mit dem Bvtenstav anklopfend. Nikolaus als
Bischof von Myra trägt den Bischofsstab, wie ihn auch die Nikoiausmasken
unerläßlich führen, das Kind schneidet sich das Nikolausenhölzlein, der Dorf¬
bursche die Nikolausengeiset zum "chlöpfen". Ebenso stabil und verbreitet wie
Stab und Hammer bei diesem Feste erscheint auch die Erbse. Sie weist als
Donnererbse auf die sommerlichen Gewitter und die davon abhängige Frucht¬
ernte, mithin auf den Donnergott zurück. Noch wird in jenes hohle Marzipan-
und Lebkuchenhäuschen zu Weihnachten, welches das goldne Haus und Himmels-
schloß heißt, eine Nvllerbse eingebacken als Sinnbild des durch den Himmel
rollenden Donners. Erbsenbrei mit Rauchfleisch ist in Süddeutschland ein
stehendes Donncrstagsgericht, und die den Schimmelreiter begleitende in Erbsen-



') Vgl. Schöppner, Baur. Sagenbuch Ur. 727.
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Steinchen und Mauert'all mit den abermals aufgerafften Erbsen gegen die
Scheiben schleudert. Streckt dabei jemand, dem man sonst nicht hold ist,
fragend und abwehrend den Kopf zum Fenster heraus, so fliegt ihm der ganze
Hagel ins Gesicht. Trotzdem nehmen die Erwachsenen nicht gerade ein Aerger¬
niß an diesem Nachtunfug, sondern immer noch erkennt man darin wenig¬
stens eine Spur jenes alikirchlichen Zweckes, die Menschen zur Wachsamkeit
mahnen zu lassen, „damit der Herr bei seiner nahen Ankunft sie nicht unvor-
bereitet finde; Gott kommt langsam, darum schickt er seine Boten." So hört
man in unsern Ortschaften am schweizerischen Oberrhein heute noch versicher».
Auch bestimmte Ottssagen unrcrstütze» hier noch den localen Brauch. Ehedem
zur Zeit der Pest, sagt man, wo man die Häuser der Nachbarn nicht mehr zu
betreten wagte, habe man den Bekannten Erbsen ans Fenster geworfen, um
von ihnen ein Gegenzeichen zu erhalten, ob sie noch am Leben seien. Fast
allenthalben in Oberdeutschland ist noch etwas von diesem Brauche am Leben.
Die Kinder in Franken fuhren eigne Holzhammer, wenn sie in den Advenl-
nächten unter dem Rufe Gutheit! Gaben heischend an die Thüren klopfen. Weil
sie dabei verkleidet erscheinen, heißen sie Hüllbutzeu, die Masken der Frau Holle.')
In Schwaben bedeutet das Zeitwort t'löpflcn selbst nichts anderes mehr, als
Etbscn gegen fremde Fenster werfen und dafür sich ein Geschenk erbitten, und
von der gleichzeitig üblichen Festspeisc der Käse- und Mehltnöpslcin heißt die
Zeit auch Knäpflesnacht, wie sie im Schwarzwalde ebenso nach dem Backwerke
der Kräpflein Kröpflesnacht genannt wird. In Tirol führt man dazu den An-
klöpfelesel mit herum, eine Figur durch zwei hinter einander gehende in Eins
verhüllte Bursche gebildet, auf deren Traggerüste ein dritter als Eselsreitcr
sitzt. Der Ausdruck klopfen diente unsern Dichtern seit Hans Folz und Hans
Rosenplüt überhaupt zum stehenden Titel jedes ihrer gedichteten Neujahrswünsche,
und in unsrer altdeutschen Poesie geht die Frau Aventiure mit ihrer guten
Maere von Haus zu Haus, mit dem Bvtenstav anklopfend. Nikolaus als
Bischof von Myra trägt den Bischofsstab, wie ihn auch die Nikoiausmasken
unerläßlich führen, das Kind schneidet sich das Nikolausenhölzlein, der Dorf¬
bursche die Nikolausengeiset zum „chlöpfen". Ebenso stabil und verbreitet wie
Stab und Hammer bei diesem Feste erscheint auch die Erbse. Sie weist als
Donnererbse auf die sommerlichen Gewitter und die davon abhängige Frucht¬
ernte, mithin auf den Donnergott zurück. Noch wird in jenes hohle Marzipan-
und Lebkuchenhäuschen zu Weihnachten, welches das goldne Haus und Himmels-
schloß heißt, eine Nvllerbse eingebacken als Sinnbild des durch den Himmel
rollenden Donners. Erbsenbrei mit Rauchfleisch ist in Süddeutschland ein
stehendes Donncrstagsgericht, und die den Schimmelreiter begleitende in Erbsen-



') Vgl. Schöppner, Baur. Sagenbuch Ur. 727.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/383>, abgerufen am 22.07.2024.