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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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stehenden Landtage, Volksversammlungen und Opferfeste. Die Klausenpeitsche
erscheint dabei keineswegs als ein Werkzeug roher oder blos zufälliger Knaben-
wähl; sie hat, wie alle echten Bolksüblichl'eilen dieser Festzeit, gleichfalls ihr
besonderes Alter zu beanspruchen. Der si. Nikolaus, ein Bote des auf dem
Schimmel Sleipnir heranreitenden Odhinn, kommt theils auf dem Schimmel,
theils auf dem Grauschimmel oder Esel geritten und demgemäß kommen ihm
auch die Symbole des Reiters zu, Hufeisen und Peitsche. Von seinem lärmen¬
den Einritt ins Land heißt er im Elsaß Hans Trapp. An alten Nikvlaustirchcn
sind daher gewöhnlich Hufeisen eingemauert als Heilzeichen. Das Festbrod wird
nun aber theils in Form von Hufeisen gebacken, theils darnach benannt; auch
wird der HeUigc selbst auf gemodelten Brodfladen mit einer Peitsche abgebildet.
So kommt dies vor aus den in der Schweiz üblichen Eisenkuchen, die man
Tirgeli nennt, und auf norddeutschen Zweckbroden. In Friedrichstadt an der
Eider z. B. bäckt man für den Nikolaustag zu Stadt und Land Brodfladen
aus vorher gemodelten und ausgestochenem Teig, die de" Heiligen hoch zu Roß
darstellen. Er ist gekrönt, trägt ein Halsband, hohe RcitersNcfel, hat hinter
sich den Mantelsack aufgebunden und schwingt im Zickzack weithin eine gewal¬
tige Kourierpeitsche. Alle diese einzelne" Attribute, sogar die Absätze seiner Stiefel,
sind vergoldet.

Aehnlich geht die luzerner Posterlijagd vor sich, welche bereits durch Stal-
ders Fragmente aus dem Entlebuch genugsam bekannt ist.") Im schwyzerischen
Muotathale begeht man dafür die Grauflete. Sie fiel ehemals auf Dreiköuigc,
jetzt auf die Fasnacht. Tue Knabenschaft besucht da manchen Tag vorher unter
ebenso gewaltigem Getöse ein jedes erreichbare Bergdorf, sammelt Ziger und
Birnenbrod, um das Erjagte und Ertlauste am Festtage selbst in Gesellschaft
der Mädchen wieder zu vertlcuise" und zu durchjagen. Der thurgauer Pochsel-
abend fällt Donnerstags vor Neujahr, man trägt ausgehöhlte., von innen be¬
leuchtete Kürbiße aus Stangen durch die Dörfer. Tue dahier Posterlijagd feierte
man eine Nacht vor Weihnachten, indem mein vermummt "mit Böggcngcsichtcrn
und Jölershüten" schreiend durch die Gassen lief, Karren und Fässer umwarf
und an alle Thüren posselte und polterte. Des Unfugs wegen wurde hier der
Brauch abgeschafft, in den benachbarten Städten Rheinfelden und Zurzach
aber ist eine Spur davon übrig geblieben. Am Abend nach dem Nikolaustage
beginnt hier die erste der drei Pochselnächte. welche auf die drei Donnerstage
vor Weihnachten fallen. Die Jugend durchstreift nächtlich die Straßen, klopft
an alle Thüren, zieht alle Hausglocken und wirft Erbsen und Bohnen an jedes
Fenster. Es läuft nicht ganz ohne Schaden ab. wenn der Muthwille auch



-) Posterlijagd heißt Wildejago. der wilde Jäger im Jura führt den Namen Bcrgpostcr;
vgl. Ratnrinythc" S, 43.

stehenden Landtage, Volksversammlungen und Opferfeste. Die Klausenpeitsche
erscheint dabei keineswegs als ein Werkzeug roher oder blos zufälliger Knaben-
wähl; sie hat, wie alle echten Bolksüblichl'eilen dieser Festzeit, gleichfalls ihr
besonderes Alter zu beanspruchen. Der si. Nikolaus, ein Bote des auf dem
Schimmel Sleipnir heranreitenden Odhinn, kommt theils auf dem Schimmel,
theils auf dem Grauschimmel oder Esel geritten und demgemäß kommen ihm
auch die Symbole des Reiters zu, Hufeisen und Peitsche. Von seinem lärmen¬
den Einritt ins Land heißt er im Elsaß Hans Trapp. An alten Nikvlaustirchcn
sind daher gewöhnlich Hufeisen eingemauert als Heilzeichen. Das Festbrod wird
nun aber theils in Form von Hufeisen gebacken, theils darnach benannt; auch
wird der HeUigc selbst auf gemodelten Brodfladen mit einer Peitsche abgebildet.
So kommt dies vor aus den in der Schweiz üblichen Eisenkuchen, die man
Tirgeli nennt, und auf norddeutschen Zweckbroden. In Friedrichstadt an der
Eider z. B. bäckt man für den Nikolaustag zu Stadt und Land Brodfladen
aus vorher gemodelten und ausgestochenem Teig, die de» Heiligen hoch zu Roß
darstellen. Er ist gekrönt, trägt ein Halsband, hohe RcitersNcfel, hat hinter
sich den Mantelsack aufgebunden und schwingt im Zickzack weithin eine gewal¬
tige Kourierpeitsche. Alle diese einzelne» Attribute, sogar die Absätze seiner Stiefel,
sind vergoldet.

Aehnlich geht die luzerner Posterlijagd vor sich, welche bereits durch Stal-
ders Fragmente aus dem Entlebuch genugsam bekannt ist.") Im schwyzerischen
Muotathale begeht man dafür die Grauflete. Sie fiel ehemals auf Dreiköuigc,
jetzt auf die Fasnacht. Tue Knabenschaft besucht da manchen Tag vorher unter
ebenso gewaltigem Getöse ein jedes erreichbare Bergdorf, sammelt Ziger und
Birnenbrod, um das Erjagte und Ertlauste am Festtage selbst in Gesellschaft
der Mädchen wieder zu vertlcuise» und zu durchjagen. Der thurgauer Pochsel-
abend fällt Donnerstags vor Neujahr, man trägt ausgehöhlte., von innen be¬
leuchtete Kürbiße aus Stangen durch die Dörfer. Tue dahier Posterlijagd feierte
man eine Nacht vor Weihnachten, indem mein vermummt „mit Böggcngcsichtcrn
und Jölershüten" schreiend durch die Gassen lief, Karren und Fässer umwarf
und an alle Thüren posselte und polterte. Des Unfugs wegen wurde hier der
Brauch abgeschafft, in den benachbarten Städten Rheinfelden und Zurzach
aber ist eine Spur davon übrig geblieben. Am Abend nach dem Nikolaustage
beginnt hier die erste der drei Pochselnächte. welche auf die drei Donnerstage
vor Weihnachten fallen. Die Jugend durchstreift nächtlich die Straßen, klopft
an alle Thüren, zieht alle Hausglocken und wirft Erbsen und Bohnen an jedes
Fenster. Es läuft nicht ganz ohne Schaden ab. wenn der Muthwille auch



-) Posterlijagd heißt Wildejago. der wilde Jäger im Jura führt den Namen Bcrgpostcr;
vgl. Ratnrinythc» S, 43.
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[0382] stehenden Landtage, Volksversammlungen und Opferfeste. Die Klausenpeitsche erscheint dabei keineswegs als ein Werkzeug roher oder blos zufälliger Knaben- wähl; sie hat, wie alle echten Bolksüblichl'eilen dieser Festzeit, gleichfalls ihr besonderes Alter zu beanspruchen. Der si. Nikolaus, ein Bote des auf dem Schimmel Sleipnir heranreitenden Odhinn, kommt theils auf dem Schimmel, theils auf dem Grauschimmel oder Esel geritten und demgemäß kommen ihm auch die Symbole des Reiters zu, Hufeisen und Peitsche. Von seinem lärmen¬ den Einritt ins Land heißt er im Elsaß Hans Trapp. An alten Nikvlaustirchcn sind daher gewöhnlich Hufeisen eingemauert als Heilzeichen. Das Festbrod wird nun aber theils in Form von Hufeisen gebacken, theils darnach benannt; auch wird der HeUigc selbst auf gemodelten Brodfladen mit einer Peitsche abgebildet. So kommt dies vor aus den in der Schweiz üblichen Eisenkuchen, die man Tirgeli nennt, und auf norddeutschen Zweckbroden. In Friedrichstadt an der Eider z. B. bäckt man für den Nikolaustag zu Stadt und Land Brodfladen aus vorher gemodelten und ausgestochenem Teig, die de» Heiligen hoch zu Roß darstellen. Er ist gekrönt, trägt ein Halsband, hohe RcitersNcfel, hat hinter sich den Mantelsack aufgebunden und schwingt im Zickzack weithin eine gewal¬ tige Kourierpeitsche. Alle diese einzelne» Attribute, sogar die Absätze seiner Stiefel, sind vergoldet. Aehnlich geht die luzerner Posterlijagd vor sich, welche bereits durch Stal- ders Fragmente aus dem Entlebuch genugsam bekannt ist.") Im schwyzerischen Muotathale begeht man dafür die Grauflete. Sie fiel ehemals auf Dreiköuigc, jetzt auf die Fasnacht. Tue Knabenschaft besucht da manchen Tag vorher unter ebenso gewaltigem Getöse ein jedes erreichbare Bergdorf, sammelt Ziger und Birnenbrod, um das Erjagte und Ertlauste am Festtage selbst in Gesellschaft der Mädchen wieder zu vertlcuise» und zu durchjagen. Der thurgauer Pochsel- abend fällt Donnerstags vor Neujahr, man trägt ausgehöhlte., von innen be¬ leuchtete Kürbiße aus Stangen durch die Dörfer. Tue dahier Posterlijagd feierte man eine Nacht vor Weihnachten, indem mein vermummt „mit Böggcngcsichtcrn und Jölershüten" schreiend durch die Gassen lief, Karren und Fässer umwarf und an alle Thüren posselte und polterte. Des Unfugs wegen wurde hier der Brauch abgeschafft, in den benachbarten Städten Rheinfelden und Zurzach aber ist eine Spur davon übrig geblieben. Am Abend nach dem Nikolaustage beginnt hier die erste der drei Pochselnächte. welche auf die drei Donnerstage vor Weihnachten fallen. Die Jugend durchstreift nächtlich die Straßen, klopft an alle Thüren, zieht alle Hausglocken und wirft Erbsen und Bohnen an jedes Fenster. Es läuft nicht ganz ohne Schaden ab. wenn der Muthwille auch -) Posterlijagd heißt Wildejago. der wilde Jäger im Jura führt den Namen Bcrgpostcr; vgl. Ratnrinythc» S, 43.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/382>, abgerufen am 22.07.2024.