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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Unsres Volkes steht, die ihm gebührt. "Die Kenntniß des genialen, klugen,
frommen, energischen Mannes ist im Volke äußerst gering; sie beschränkt sich
beinah auf die Reiterstatue der langen Brücke in Berlin und auf die Namen
Fehrbellin und Derfflinger. Wendet sich schon von selbst das Interesse des
Volkes, idealistisch wie es immer erscheint, von denjenigen Namen, deren Be¬
deutung vorwiegend in rcstaurativer Arbeit beruht, auf solche ab, in welchen
der vordrängende Zug neuer und kühner Unternehmungen glänzt, so ist in der
preußischen Geschichte der Vorrang, den der große König vor dem großen Kur¬
fürsten genießt, noch besonders deshalb erklärlich, weil die Geschichtsforschung
bisher den größten Vorgänger Friedrichs, dessen Geschichte recht eigentlich die
Bedingung der seinigen ist, ziemlich vernachlässigt hat. Nicht daß es an re¬
spektablen Werken fehlte, die sein Zeitalter behandeln; auch hier sind Namen
von großem Gewicht auszuweisen; aber diese Leistungen liegen fast alle der
Zeit nach weit zurück und haben keine stetige Nacheiferung gefunden; bald hat
Friedrich Wilhelm auch in der Geschichtswissenschaft dem größeren Nachfolger
weichen müssen.

Erst in neuester Zeit wird die edle Pflicht nachgeholt und in einer Weise,
welche Bürgschaft giebt, daß dem Helden sein volles Recht werde. Nament¬
lich die große Arbeit Droysens, des jüngsten Historiographen der brandenburgisch-
preußischen Geschichte, ist es, die nur hier im Sinne haben. Und seine Dar¬
stellung der "Geschichte der preußischen Politik" so weit sie den großen Kur¬
fürsten betrifft, von dessen Regierungszeit sie erst die Hälfte umfaßt, ist die
Vorläuferin und so zu sagen der Prosildurchschnitt eines großen Sammelwerkes
über die Quellen dieser Epoche, dessen Veröffentlichung demnächst zu erwarten
steht. Wir behalten uns vor, diese beiden einander ergänzenden Werke später
eingehend zu betrachten. Heute wollen wir die Aufmerksamkeit auf ein anderes
Buch lenken, das. eine schätzbare Bereicherung der QueNenlitcratur dieser Zeit,
neben jenem steht wie neben dem Historienbilde das Genrestück, neben der
Statue das Porträt. Denn es bringt uns Schilderungen aus der unmittel¬
baren Gegenwart von damals, die nur in der Absicht geschrieben sind, dem
Verfasser der Aufzeichnungen selbst zur Erinnerung an eigene Erlebnisse zu
dienen.

Dietrich Sigismund v. Buch, dessen Tagebücher aus dem Jahrzehnt
von 1674--84 ein gutes Geschick uns aufbewahrt hat, ist ganz der Mann
^ju, uns ein treues Bild dieser denkwürdigen Zeit und ihrer Helden zu geben.
Er war als Reisemarschall Friedrich Wilhelms fast immer um seine Person,
oft wird er mit Depeschen und wichtigen Aufträgen verschiedener Art betraut,
uicht selten erhält er speciell militärische Aufgaben vom Kurfürsten; an allem
non man messen, wie sehr ihn sein Herr schätzte, dem er mit Leib und Seele
"geben ist. Was ihn aber noch mehr zum Berichterstatter befähigt, ist der echt patrio-


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Unsres Volkes steht, die ihm gebührt. „Die Kenntniß des genialen, klugen,
frommen, energischen Mannes ist im Volke äußerst gering; sie beschränkt sich
beinah auf die Reiterstatue der langen Brücke in Berlin und auf die Namen
Fehrbellin und Derfflinger. Wendet sich schon von selbst das Interesse des
Volkes, idealistisch wie es immer erscheint, von denjenigen Namen, deren Be¬
deutung vorwiegend in rcstaurativer Arbeit beruht, auf solche ab, in welchen
der vordrängende Zug neuer und kühner Unternehmungen glänzt, so ist in der
preußischen Geschichte der Vorrang, den der große König vor dem großen Kur¬
fürsten genießt, noch besonders deshalb erklärlich, weil die Geschichtsforschung
bisher den größten Vorgänger Friedrichs, dessen Geschichte recht eigentlich die
Bedingung der seinigen ist, ziemlich vernachlässigt hat. Nicht daß es an re¬
spektablen Werken fehlte, die sein Zeitalter behandeln; auch hier sind Namen
von großem Gewicht auszuweisen; aber diese Leistungen liegen fast alle der
Zeit nach weit zurück und haben keine stetige Nacheiferung gefunden; bald hat
Friedrich Wilhelm auch in der Geschichtswissenschaft dem größeren Nachfolger
weichen müssen.

Erst in neuester Zeit wird die edle Pflicht nachgeholt und in einer Weise,
welche Bürgschaft giebt, daß dem Helden sein volles Recht werde. Nament¬
lich die große Arbeit Droysens, des jüngsten Historiographen der brandenburgisch-
preußischen Geschichte, ist es, die nur hier im Sinne haben. Und seine Dar¬
stellung der „Geschichte der preußischen Politik" so weit sie den großen Kur¬
fürsten betrifft, von dessen Regierungszeit sie erst die Hälfte umfaßt, ist die
Vorläuferin und so zu sagen der Prosildurchschnitt eines großen Sammelwerkes
über die Quellen dieser Epoche, dessen Veröffentlichung demnächst zu erwarten
steht. Wir behalten uns vor, diese beiden einander ergänzenden Werke später
eingehend zu betrachten. Heute wollen wir die Aufmerksamkeit auf ein anderes
Buch lenken, das. eine schätzbare Bereicherung der QueNenlitcratur dieser Zeit,
neben jenem steht wie neben dem Historienbilde das Genrestück, neben der
Statue das Porträt. Denn es bringt uns Schilderungen aus der unmittel¬
baren Gegenwart von damals, die nur in der Absicht geschrieben sind, dem
Verfasser der Aufzeichnungen selbst zur Erinnerung an eigene Erlebnisse zu
dienen.

Dietrich Sigismund v. Buch, dessen Tagebücher aus dem Jahrzehnt
von 1674—84 ein gutes Geschick uns aufbewahrt hat, ist ganz der Mann
^ju, uns ein treues Bild dieser denkwürdigen Zeit und ihrer Helden zu geben.
Er war als Reisemarschall Friedrich Wilhelms fast immer um seine Person,
oft wird er mit Depeschen und wichtigen Aufträgen verschiedener Art betraut,
uicht selten erhält er speciell militärische Aufgaben vom Kurfürsten; an allem
non man messen, wie sehr ihn sein Herr schätzte, dem er mit Leib und Seele
"geben ist. Was ihn aber noch mehr zum Berichterstatter befähigt, ist der echt patrio-


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[0367] Unsres Volkes steht, die ihm gebührt. „Die Kenntniß des genialen, klugen, frommen, energischen Mannes ist im Volke äußerst gering; sie beschränkt sich beinah auf die Reiterstatue der langen Brücke in Berlin und auf die Namen Fehrbellin und Derfflinger. Wendet sich schon von selbst das Interesse des Volkes, idealistisch wie es immer erscheint, von denjenigen Namen, deren Be¬ deutung vorwiegend in rcstaurativer Arbeit beruht, auf solche ab, in welchen der vordrängende Zug neuer und kühner Unternehmungen glänzt, so ist in der preußischen Geschichte der Vorrang, den der große König vor dem großen Kur¬ fürsten genießt, noch besonders deshalb erklärlich, weil die Geschichtsforschung bisher den größten Vorgänger Friedrichs, dessen Geschichte recht eigentlich die Bedingung der seinigen ist, ziemlich vernachlässigt hat. Nicht daß es an re¬ spektablen Werken fehlte, die sein Zeitalter behandeln; auch hier sind Namen von großem Gewicht auszuweisen; aber diese Leistungen liegen fast alle der Zeit nach weit zurück und haben keine stetige Nacheiferung gefunden; bald hat Friedrich Wilhelm auch in der Geschichtswissenschaft dem größeren Nachfolger weichen müssen. Erst in neuester Zeit wird die edle Pflicht nachgeholt und in einer Weise, welche Bürgschaft giebt, daß dem Helden sein volles Recht werde. Nament¬ lich die große Arbeit Droysens, des jüngsten Historiographen der brandenburgisch- preußischen Geschichte, ist es, die nur hier im Sinne haben. Und seine Dar¬ stellung der „Geschichte der preußischen Politik" so weit sie den großen Kur¬ fürsten betrifft, von dessen Regierungszeit sie erst die Hälfte umfaßt, ist die Vorläuferin und so zu sagen der Prosildurchschnitt eines großen Sammelwerkes über die Quellen dieser Epoche, dessen Veröffentlichung demnächst zu erwarten steht. Wir behalten uns vor, diese beiden einander ergänzenden Werke später eingehend zu betrachten. Heute wollen wir die Aufmerksamkeit auf ein anderes Buch lenken, das. eine schätzbare Bereicherung der QueNenlitcratur dieser Zeit, neben jenem steht wie neben dem Historienbilde das Genrestück, neben der Statue das Porträt. Denn es bringt uns Schilderungen aus der unmittel¬ baren Gegenwart von damals, die nur in der Absicht geschrieben sind, dem Verfasser der Aufzeichnungen selbst zur Erinnerung an eigene Erlebnisse zu dienen. Dietrich Sigismund v. Buch, dessen Tagebücher aus dem Jahrzehnt von 1674—84 ein gutes Geschick uns aufbewahrt hat, ist ganz der Mann ^ju, uns ein treues Bild dieser denkwürdigen Zeit und ihrer Helden zu geben. Er war als Reisemarschall Friedrich Wilhelms fast immer um seine Person, oft wird er mit Depeschen und wichtigen Aufträgen verschiedener Art betraut, uicht selten erhält er speciell militärische Aufgaben vom Kurfürsten; an allem non man messen, wie sehr ihn sein Herr schätzte, dem er mit Leib und Seele "geben ist. Was ihn aber noch mehr zum Berichterstatter befähigt, ist der echt patrio- 4et*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/367>, abgerufen am 22.07.2024.