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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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und ragt als einer der edelsten Marksteine für die Entwicklung des architektonischen
Schönheitsideals in unerreichter Herrlichkeit: das ist der Glockenthurm zu
San Fiore. Man darf dieses Wunderwerk nicht durch den Versuch der Be¬
schreibung beleidigen: hier ist Vollendung und kein Ab oder Zu ist denkbar.
Niemand, der mit gebildetem Sinn je vor diesem Campanile gestanden hat,
kann ihn mit irgendeinem andern architektonischen Werke vergleichen wollen.
In reiner Hingabe, in völlig rcflcctionslosem Genusse weilt der Beschauer,
vollbeschäftigt damit, diese Unendlichkeit von erhabener Grazie zu erfassen.
Als die Stadt Florenz den Austrag zum Baue gab, geschah es in einem
Decret. welches ein frappantes Zeugniß übermüthigsten Selbstgefühles war.
"Die florentinische Republik, erhaben schwebend über der Vorstellung auch der
höchsten Richter, will ein Gebäude errichtet sehn so gewaltig an Höhe und
Beschaffenheit, daß es Alles übertreffe, was jemals in den Zeiten höchster Macht
von Griechen und Römern geschaffen worden." Giotto leistete mehr, als die
stolzen Herren von Florenz sich unter dieser schwindeligen Hyperbel vor¬
zustellen vermocht haben.

Der Meister hat das große Werk nicht hinausführen können. Er hinter¬
ließ den fertigen Sockel und die vollständigen Zeichnungen des Ganzen. Die
technische Herstellung war überhaupt nicht seine, sondern vornehmlich Pisanos
Sache. Zwei Jahr nur ist er Baumeister gewesen und in dieser Zeit fand er
noch Muße, mehre Malereien außerhalb Florenz zu vollenden. Am 8. Januar
1336 starb er. Die Stadt, die sich rühmte, ihn unter ihre Bürger aufgenommen
zu haben, während sie den großen congenialcn Freund verstieß, gönnte seinem
Staube den würdigsten Plan: er liegt zu San Fiore selbst begraben und die
dankbare Verehrung spätrer Zeit hat ihn durch "ein Denkmal verherrlicht, für
weiches Benedetto da Majano seine Büste meißelte.

Sein Rang als Künstler hatte eine entsprechende Stütze in der socialen
Stellung seiner Familie. Wenn auch nicht von der hohen patrizischen Geltung
der Cimabues, waren die Bordone doch bürgerlich wohl angesehn. Der Grund¬
besitz, den Giotto von seinem Vater in Vesvignano ererbt hatte, vermehrte sich
durch allmäligen Zulauf. Seine Söhne Francesco und Nicholas, von denen
der erstere 1318 mündig erklärt wurde, nahmen des Vaters Interesse wahr,
wenn er fern von Florenz verweilte. Von einem dritten Sohn Donato und
von drei Töchtern, Bice, Caterina und Lucia sind uns ebenfalls Notizen er¬
halten. Die Kinder lebten zumeist mit der Mutter, Ciuta ti Lapo ti Palo, auf
dem Besitzthum im Mugcllo. Nur an Sonn- und Feiertagen konnte der Vater den
Seinigen angehören, da er fast immer an sein Standquartier in der Stadt,
die "Bottega" im Maria-Novella-Viertel gefesselt war.

Die ziemlich zahlreichen Anekdoten, in welchen uns Züge seines Charakter¬
bildes überliefert sind, werden natürlich keinen Anspruch auf wörtliche Glaub-


und ragt als einer der edelsten Marksteine für die Entwicklung des architektonischen
Schönheitsideals in unerreichter Herrlichkeit: das ist der Glockenthurm zu
San Fiore. Man darf dieses Wunderwerk nicht durch den Versuch der Be¬
schreibung beleidigen: hier ist Vollendung und kein Ab oder Zu ist denkbar.
Niemand, der mit gebildetem Sinn je vor diesem Campanile gestanden hat,
kann ihn mit irgendeinem andern architektonischen Werke vergleichen wollen.
In reiner Hingabe, in völlig rcflcctionslosem Genusse weilt der Beschauer,
vollbeschäftigt damit, diese Unendlichkeit von erhabener Grazie zu erfassen.
Als die Stadt Florenz den Austrag zum Baue gab, geschah es in einem
Decret. welches ein frappantes Zeugniß übermüthigsten Selbstgefühles war.
„Die florentinische Republik, erhaben schwebend über der Vorstellung auch der
höchsten Richter, will ein Gebäude errichtet sehn so gewaltig an Höhe und
Beschaffenheit, daß es Alles übertreffe, was jemals in den Zeiten höchster Macht
von Griechen und Römern geschaffen worden." Giotto leistete mehr, als die
stolzen Herren von Florenz sich unter dieser schwindeligen Hyperbel vor¬
zustellen vermocht haben.

Der Meister hat das große Werk nicht hinausführen können. Er hinter¬
ließ den fertigen Sockel und die vollständigen Zeichnungen des Ganzen. Die
technische Herstellung war überhaupt nicht seine, sondern vornehmlich Pisanos
Sache. Zwei Jahr nur ist er Baumeister gewesen und in dieser Zeit fand er
noch Muße, mehre Malereien außerhalb Florenz zu vollenden. Am 8. Januar
1336 starb er. Die Stadt, die sich rühmte, ihn unter ihre Bürger aufgenommen
zu haben, während sie den großen congenialcn Freund verstieß, gönnte seinem
Staube den würdigsten Plan: er liegt zu San Fiore selbst begraben und die
dankbare Verehrung spätrer Zeit hat ihn durch «ein Denkmal verherrlicht, für
weiches Benedetto da Majano seine Büste meißelte.

Sein Rang als Künstler hatte eine entsprechende Stütze in der socialen
Stellung seiner Familie. Wenn auch nicht von der hohen patrizischen Geltung
der Cimabues, waren die Bordone doch bürgerlich wohl angesehn. Der Grund¬
besitz, den Giotto von seinem Vater in Vesvignano ererbt hatte, vermehrte sich
durch allmäligen Zulauf. Seine Söhne Francesco und Nicholas, von denen
der erstere 1318 mündig erklärt wurde, nahmen des Vaters Interesse wahr,
wenn er fern von Florenz verweilte. Von einem dritten Sohn Donato und
von drei Töchtern, Bice, Caterina und Lucia sind uns ebenfalls Notizen er¬
halten. Die Kinder lebten zumeist mit der Mutter, Ciuta ti Lapo ti Palo, auf
dem Besitzthum im Mugcllo. Nur an Sonn- und Feiertagen konnte der Vater den
Seinigen angehören, da er fast immer an sein Standquartier in der Stadt,
die „Bottega" im Maria-Novella-Viertel gefesselt war.

Die ziemlich zahlreichen Anekdoten, in welchen uns Züge seines Charakter¬
bildes überliefert sind, werden natürlich keinen Anspruch auf wörtliche Glaub-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/35>, abgerufen am 01.07.2024.