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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Würdigkeit haben. Der allgemeine Typus aber, den die nächste Nachwelt als
sein Ebenbild im Gedächtniß bewahrte, zeigt eine Complexion, die fast etwas
Modernes hat. An schlagfertigen Mutterwitz mag er ein echtes florentiner Kind
gewesen sein, voll Humor, jovial und leichtlebig, hierin das rechte Gegenbild
seines Freundes Dante, von dessen cholerischer Empfindungsweise er auch in
der Auffassung praktischer Lebensfragen wesentlich abweicht, indem er mitten in
den leidenschaftlichen Kämpfen seines Zeitalters eine gewisse kosmopolitische
Parteilosigkeit bewahrt zu haben scheint, wie sie am ersten dem Künstler ge¬
stattet ist und zu Gesicht steht. Das Pathos seiner Persönlichkeit mag weniger
in seiner Lebensart ausgeprägt gewesen sein, -- auch von Gestalt wird er un¬
ansehnlich geschildert -- es lag ganz und allein in der Arbeit seines Schaffens,
dessen Bedeutung er gebührend empfand.

Wenn wir zusammenfassend die Bedeutung desselben charakterisiren sollen,
so wird man sagen müssen: er hat die drei Elemente der Malerei: Komposition,
Zeichnung und Farbe, zum ersten Mal in künstlerischem Gleichgewicht vereinigt.
Seine Nachfolger bildeten meist die eine Seite vor der andern aus und zwar
wurde zunächst in der speciell toskanischen Schule durch die Orcagna,, Masolino,
Fiesole, Masaccio die Farbe entwickelt. Aber in der umfassenden Weise wie
von Giotto ist bis zum Auftreten Ghirlandaios die Kunst von Keinem gefördert
worden. Ihm verdankt sie das Gepräge des italienischen Idioms, dem durch
Cimabue die Zunge gelöst war. Trefflich die Worte, mit denen Cesare Guasti
die Bedeutung dieses großen Phänomens mit den anderen sittlichen und intel-
lectuellen Wahrzeichen der Renaissance in würdige Parallele gestellt hat:

"So wie die Barbarei des Feudalismus unsren: 'geordneten Staatsleben
und das lateinische Patois der schönen Sprache Italiens, so wich vor Giottos
Hand die byzantinische Manier dem neuen Stil, den wir freudig als unsern
nationalen anerkennen."




Würdigkeit haben. Der allgemeine Typus aber, den die nächste Nachwelt als
sein Ebenbild im Gedächtniß bewahrte, zeigt eine Complexion, die fast etwas
Modernes hat. An schlagfertigen Mutterwitz mag er ein echtes florentiner Kind
gewesen sein, voll Humor, jovial und leichtlebig, hierin das rechte Gegenbild
seines Freundes Dante, von dessen cholerischer Empfindungsweise er auch in
der Auffassung praktischer Lebensfragen wesentlich abweicht, indem er mitten in
den leidenschaftlichen Kämpfen seines Zeitalters eine gewisse kosmopolitische
Parteilosigkeit bewahrt zu haben scheint, wie sie am ersten dem Künstler ge¬
stattet ist und zu Gesicht steht. Das Pathos seiner Persönlichkeit mag weniger
in seiner Lebensart ausgeprägt gewesen sein, — auch von Gestalt wird er un¬
ansehnlich geschildert — es lag ganz und allein in der Arbeit seines Schaffens,
dessen Bedeutung er gebührend empfand.

Wenn wir zusammenfassend die Bedeutung desselben charakterisiren sollen,
so wird man sagen müssen: er hat die drei Elemente der Malerei: Komposition,
Zeichnung und Farbe, zum ersten Mal in künstlerischem Gleichgewicht vereinigt.
Seine Nachfolger bildeten meist die eine Seite vor der andern aus und zwar
wurde zunächst in der speciell toskanischen Schule durch die Orcagna,, Masolino,
Fiesole, Masaccio die Farbe entwickelt. Aber in der umfassenden Weise wie
von Giotto ist bis zum Auftreten Ghirlandaios die Kunst von Keinem gefördert
worden. Ihm verdankt sie das Gepräge des italienischen Idioms, dem durch
Cimabue die Zunge gelöst war. Trefflich die Worte, mit denen Cesare Guasti
die Bedeutung dieses großen Phänomens mit den anderen sittlichen und intel-
lectuellen Wahrzeichen der Renaissance in würdige Parallele gestellt hat:

„So wie die Barbarei des Feudalismus unsren: 'geordneten Staatsleben
und das lateinische Patois der schönen Sprache Italiens, so wich vor Giottos
Hand die byzantinische Manier dem neuen Stil, den wir freudig als unsern
nationalen anerkennen."




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[0036] Würdigkeit haben. Der allgemeine Typus aber, den die nächste Nachwelt als sein Ebenbild im Gedächtniß bewahrte, zeigt eine Complexion, die fast etwas Modernes hat. An schlagfertigen Mutterwitz mag er ein echtes florentiner Kind gewesen sein, voll Humor, jovial und leichtlebig, hierin das rechte Gegenbild seines Freundes Dante, von dessen cholerischer Empfindungsweise er auch in der Auffassung praktischer Lebensfragen wesentlich abweicht, indem er mitten in den leidenschaftlichen Kämpfen seines Zeitalters eine gewisse kosmopolitische Parteilosigkeit bewahrt zu haben scheint, wie sie am ersten dem Künstler ge¬ stattet ist und zu Gesicht steht. Das Pathos seiner Persönlichkeit mag weniger in seiner Lebensart ausgeprägt gewesen sein, — auch von Gestalt wird er un¬ ansehnlich geschildert — es lag ganz und allein in der Arbeit seines Schaffens, dessen Bedeutung er gebührend empfand. Wenn wir zusammenfassend die Bedeutung desselben charakterisiren sollen, so wird man sagen müssen: er hat die drei Elemente der Malerei: Komposition, Zeichnung und Farbe, zum ersten Mal in künstlerischem Gleichgewicht vereinigt. Seine Nachfolger bildeten meist die eine Seite vor der andern aus und zwar wurde zunächst in der speciell toskanischen Schule durch die Orcagna,, Masolino, Fiesole, Masaccio die Farbe entwickelt. Aber in der umfassenden Weise wie von Giotto ist bis zum Auftreten Ghirlandaios die Kunst von Keinem gefördert worden. Ihm verdankt sie das Gepräge des italienischen Idioms, dem durch Cimabue die Zunge gelöst war. Trefflich die Worte, mit denen Cesare Guasti die Bedeutung dieses großen Phänomens mit den anderen sittlichen und intel- lectuellen Wahrzeichen der Renaissance in würdige Parallele gestellt hat: „So wie die Barbarei des Feudalismus unsren: 'geordneten Staatsleben und das lateinische Patois der schönen Sprache Italiens, so wich vor Giottos Hand die byzantinische Manier dem neuen Stil, den wir freudig als unsern nationalen anerkennen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/36>, abgerufen am 01.07.2024.