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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Das Bild unserer deutschen Zustände zu ergänzen, darf wohl auch von
Zeit zu Zeit ein Bericht aus Tirol nicht fehlen, um so weniger, da dieses Land in
seiner Weise -- als Pendant zu den Gegenwohnern an der Ostsee -- das Mttel-
alter vertritt. Es ist die Frage der religiösen Gleichberechtigung.welche hier, ob¬
wohl sie anderswo längst abgethan ist, wenn auch keine konvulsivischen Zuckungen,
so doch noch immer einzelne Anfälle von Veitstanz hervorruft. Dahin gehören
zunächst die Processionen für die Glaubenseinbeit; hie und da gelingt es auch
einen Fanatiker zu Verbrechen gegen die öffentliche Sicherheit zu entflammen.
So wurde am 30. September bei unserem Kreisgericht der Bauer Ganthaler
zu vier Monaten Kerker verurtheilt, weil er im Curgarten zu Meran einige
thönerne Statuen, welche keine katholischen Heiligen vorstellten, als "luttrische
Göttinnen" zertrümmert hatte. Der Mann ist Knecht beim Pfarrer von Se.
Valentin, die Härte des Gesetzes trifft nur den Thäter, aber nicht den mora¬
lischen Urheber. So sehr wir für den Fanatiker ein milderes Urtheil wünschen
möchten, ist dennoch das strenge unbedingt aufrecht zu erhalten, weil beim Ze¬
lotismus einzelner Pfaffen sonst kein Liberaler Leibes und Lebens sicher wäre.
Daß derlei Ungebührlichkeiten überhaupt gar nicht vorgekommen wären, wenn
die Regierung den berüchtigten Antrag des Bischofs von Brixen abgelehnt hätte,
darf man nicht erst sagen, es ist jedermann davon überzeugt.

Ueber das Schicksal jenes Antrages hört man folgendes. Als im April
des heurigen Jahres der Abgeordnete Pfretzschner eine scharfe Jnterpellation
einbrachte, warum die Entscheidung dieser Angelegenheit verschleppt werde, wußte
der Statthaltereipräsident Coronini keine Antwort; da hielten die Minister zu Wien
einen Rath, formulirten die Ablehnung des bischöflichen Antrags und über¬
gaben sie dem kaiserlichen Cabinet zur Unterschrift. Dort hat man aber bis zur
Stunde nicht unterschrieben. Wir muthen Schmerling nicht zu, die tirolische
Glaubenseinheit zu einer Cabinetsfrage zu machen, wagen aber auch kaum zu
behaupten, baß durch eine wiederholte energische Anregung des Themas nichts
zu gewinnen wäre. Aus den angeführten Thatsachen mögen Ihre Leser selbst
die Schlüsse ziehen.

Der Erfolg des fortwährenden Zögerns kommt begreiflicherweise zunächst
den Ultramontanen zu gute. Die Liberalen erfahren eben an ihrem eigenen
Fleische, daß auch in Neuöstreich der Einfluß des Klerus keine Fabel ist; die
servile Mittclpartei, welche stets, um ihr Verhalten einzurichten, nach oben schielt,
neigt sich mehr und mehr den Pfaffen zu.

Welche Bedeutung der Clerus für Tirol noch hat, beweisen einige Zahlen,


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Das Bild unserer deutschen Zustände zu ergänzen, darf wohl auch von
Zeit zu Zeit ein Bericht aus Tirol nicht fehlen, um so weniger, da dieses Land in
seiner Weise — als Pendant zu den Gegenwohnern an der Ostsee — das Mttel-
alter vertritt. Es ist die Frage der religiösen Gleichberechtigung.welche hier, ob¬
wohl sie anderswo längst abgethan ist, wenn auch keine konvulsivischen Zuckungen,
so doch noch immer einzelne Anfälle von Veitstanz hervorruft. Dahin gehören
zunächst die Processionen für die Glaubenseinbeit; hie und da gelingt es auch
einen Fanatiker zu Verbrechen gegen die öffentliche Sicherheit zu entflammen.
So wurde am 30. September bei unserem Kreisgericht der Bauer Ganthaler
zu vier Monaten Kerker verurtheilt, weil er im Curgarten zu Meran einige
thönerne Statuen, welche keine katholischen Heiligen vorstellten, als „luttrische
Göttinnen" zertrümmert hatte. Der Mann ist Knecht beim Pfarrer von Se.
Valentin, die Härte des Gesetzes trifft nur den Thäter, aber nicht den mora¬
lischen Urheber. So sehr wir für den Fanatiker ein milderes Urtheil wünschen
möchten, ist dennoch das strenge unbedingt aufrecht zu erhalten, weil beim Ze¬
lotismus einzelner Pfaffen sonst kein Liberaler Leibes und Lebens sicher wäre.
Daß derlei Ungebührlichkeiten überhaupt gar nicht vorgekommen wären, wenn
die Regierung den berüchtigten Antrag des Bischofs von Brixen abgelehnt hätte,
darf man nicht erst sagen, es ist jedermann davon überzeugt.

Ueber das Schicksal jenes Antrages hört man folgendes. Als im April
des heurigen Jahres der Abgeordnete Pfretzschner eine scharfe Jnterpellation
einbrachte, warum die Entscheidung dieser Angelegenheit verschleppt werde, wußte
der Statthaltereipräsident Coronini keine Antwort; da hielten die Minister zu Wien
einen Rath, formulirten die Ablehnung des bischöflichen Antrags und über¬
gaben sie dem kaiserlichen Cabinet zur Unterschrift. Dort hat man aber bis zur
Stunde nicht unterschrieben. Wir muthen Schmerling nicht zu, die tirolische
Glaubenseinheit zu einer Cabinetsfrage zu machen, wagen aber auch kaum zu
behaupten, baß durch eine wiederholte energische Anregung des Themas nichts
zu gewinnen wäre. Aus den angeführten Thatsachen mögen Ihre Leser selbst
die Schlüsse ziehen.

Der Erfolg des fortwährenden Zögerns kommt begreiflicherweise zunächst
den Ultramontanen zu gute. Die Liberalen erfahren eben an ihrem eigenen
Fleische, daß auch in Neuöstreich der Einfluß des Klerus keine Fabel ist; die
servile Mittclpartei, welche stets, um ihr Verhalten einzurichten, nach oben schielt,
neigt sich mehr und mehr den Pfaffen zu.

Welche Bedeutung der Clerus für Tirol noch hat, beweisen einige Zahlen,


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[0339] Aus Das Bild unserer deutschen Zustände zu ergänzen, darf wohl auch von Zeit zu Zeit ein Bericht aus Tirol nicht fehlen, um so weniger, da dieses Land in seiner Weise — als Pendant zu den Gegenwohnern an der Ostsee — das Mttel- alter vertritt. Es ist die Frage der religiösen Gleichberechtigung.welche hier, ob¬ wohl sie anderswo längst abgethan ist, wenn auch keine konvulsivischen Zuckungen, so doch noch immer einzelne Anfälle von Veitstanz hervorruft. Dahin gehören zunächst die Processionen für die Glaubenseinbeit; hie und da gelingt es auch einen Fanatiker zu Verbrechen gegen die öffentliche Sicherheit zu entflammen. So wurde am 30. September bei unserem Kreisgericht der Bauer Ganthaler zu vier Monaten Kerker verurtheilt, weil er im Curgarten zu Meran einige thönerne Statuen, welche keine katholischen Heiligen vorstellten, als „luttrische Göttinnen" zertrümmert hatte. Der Mann ist Knecht beim Pfarrer von Se. Valentin, die Härte des Gesetzes trifft nur den Thäter, aber nicht den mora¬ lischen Urheber. So sehr wir für den Fanatiker ein milderes Urtheil wünschen möchten, ist dennoch das strenge unbedingt aufrecht zu erhalten, weil beim Ze¬ lotismus einzelner Pfaffen sonst kein Liberaler Leibes und Lebens sicher wäre. Daß derlei Ungebührlichkeiten überhaupt gar nicht vorgekommen wären, wenn die Regierung den berüchtigten Antrag des Bischofs von Brixen abgelehnt hätte, darf man nicht erst sagen, es ist jedermann davon überzeugt. Ueber das Schicksal jenes Antrages hört man folgendes. Als im April des heurigen Jahres der Abgeordnete Pfretzschner eine scharfe Jnterpellation einbrachte, warum die Entscheidung dieser Angelegenheit verschleppt werde, wußte der Statthaltereipräsident Coronini keine Antwort; da hielten die Minister zu Wien einen Rath, formulirten die Ablehnung des bischöflichen Antrags und über¬ gaben sie dem kaiserlichen Cabinet zur Unterschrift. Dort hat man aber bis zur Stunde nicht unterschrieben. Wir muthen Schmerling nicht zu, die tirolische Glaubenseinheit zu einer Cabinetsfrage zu machen, wagen aber auch kaum zu behaupten, baß durch eine wiederholte energische Anregung des Themas nichts zu gewinnen wäre. Aus den angeführten Thatsachen mögen Ihre Leser selbst die Schlüsse ziehen. Der Erfolg des fortwährenden Zögerns kommt begreiflicherweise zunächst den Ultramontanen zu gute. Die Liberalen erfahren eben an ihrem eigenen Fleische, daß auch in Neuöstreich der Einfluß des Klerus keine Fabel ist; die servile Mittclpartei, welche stets, um ihr Verhalten einzurichten, nach oben schielt, neigt sich mehr und mehr den Pfaffen zu. Welche Bedeutung der Clerus für Tirol noch hat, beweisen einige Zahlen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/339>, abgerufen am 22.07.2024.