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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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augenscheinlich aus einer sehr authentischen Quelle geflossen sind und dem Pu-
blicum sogar völlige Neuigkeiten berichten, zu denen wir rechnen, daß der ge¬
nannte Verfasser "ein wissenschaftliches Hauptwerk verfaßt habe, in welchem (der
Vorschule zum Homer) die Homerfrage vom Standpunkte der Volksdichtung
aus g clöset wird," sowie daß ihn Humboldt durch ein an die deutsche Nation
gerichtetes Sendschreiben (1856) für den größten Uebersetzer der Alten an¬
erkannt hat."

Daß in diesen Erläuterungen manches Unrichtige mit unterläuft, kann dem
Herausgeber kaum zum Vorwurfe gereichen. Weniger befriedigend ist der Druck,
der durchaus nicht fehlerfrei ist. Es gehört eben zu der Aufgabe, Urkunden
irgendwelcher Art sauber und bis aufs Kleinste gewissenhaft zu veröffentlichen.
Manches, was dem Herausgeber bei seinem Lebensgange nicht zu eigen ge¬
worden ist, und was der größte Fleiß und die gemessenste Sorgfalt nicht er¬
setzen können.

Ueberblicken wir die vorliegenden Bände nach der Seite ihres Inhaltes,
so tritt uns kein durchaus wohlthuendes Bild jener vergangenen Tage daraus
entgegen. Und wenn der Herausgeber einmal (2. S. 290) wehmüthig fragt:
"Wäre solche ehrfurchtsvolle Anhänglichkeit, solche innige Freundschaft, solch
uneigennütziges Zusammenleben, wie es vor vierzig Jahren waltend, hier
srühlingsblühcnd an, unsre Seele tritt, heut zu Tage noch möglich?" so drucken
wir diese Worte nicht deshalb ad, um damit eine kleine Probe Von dem etwas
wundersamen Tone dieser Anmerkungen zu geben, sondern um die Frage von
unserm Standpunkte aus zu beantworten. Ja, alles dies ist heute eben noch
so möglich wie vor vierzig Jahren. Aber nicht mehr möglich ist jenes Ueber¬
wuchern der literarischen Interessen, jene Apathie gegen alles, was nicht zu
denselben in die engste Berührung tritt. Nicht mehr möglich wäre es, daß zwei
Männer ihrer Freundschaft in so selbstgefälligen und gesucht geistreich-humori¬
stischen Floskeln Ausdruck verliehen, wie es z. B. am angegebenen Orte Mals¬
burg gegen Tieck thut. Auch will es uns jetzt.,nicht mehr möglich vorkommen,
daß man seiner Verehrung für einen Mann, und wäre er der größte und be¬
deutendste, einen so schonungsloser Ausdruck verliehe, wie dies in jenen Briefen
oft genug geschieht und Verfasser und Empfänger gleich wenig günstig schil¬
dert; und endlich wird man sich jetzt, gerade aus Pietät und Gewissenhaftig¬
keit, schwerlich mehr dazu verstehen, Ludwig Tieck geradeweg neben, ja sogar
über Goethe zu stellen, was wir in den beiden Bänden nicht Einmal, son¬
dern wiederholt lesen müssen.

In allen diesen Briefen haben wir keinen gefunden, der die Schatten¬
seiten jener Zeit in schärferen und grauenhafteren Zügen schilderte, als es die
Briefe von Grabbe thun (1, 242 ff,). Man wird beim Lesen dieser Briefe,
deren drei aus Grabbes zweiundzwanzigsten Lebensjahre stammen, keiner der


augenscheinlich aus einer sehr authentischen Quelle geflossen sind und dem Pu-
blicum sogar völlige Neuigkeiten berichten, zu denen wir rechnen, daß der ge¬
nannte Verfasser „ein wissenschaftliches Hauptwerk verfaßt habe, in welchem (der
Vorschule zum Homer) die Homerfrage vom Standpunkte der Volksdichtung
aus g clöset wird," sowie daß ihn Humboldt durch ein an die deutsche Nation
gerichtetes Sendschreiben (1856) für den größten Uebersetzer der Alten an¬
erkannt hat."

Daß in diesen Erläuterungen manches Unrichtige mit unterläuft, kann dem
Herausgeber kaum zum Vorwurfe gereichen. Weniger befriedigend ist der Druck,
der durchaus nicht fehlerfrei ist. Es gehört eben zu der Aufgabe, Urkunden
irgendwelcher Art sauber und bis aufs Kleinste gewissenhaft zu veröffentlichen.
Manches, was dem Herausgeber bei seinem Lebensgange nicht zu eigen ge¬
worden ist, und was der größte Fleiß und die gemessenste Sorgfalt nicht er¬
setzen können.

Ueberblicken wir die vorliegenden Bände nach der Seite ihres Inhaltes,
so tritt uns kein durchaus wohlthuendes Bild jener vergangenen Tage daraus
entgegen. Und wenn der Herausgeber einmal (2. S. 290) wehmüthig fragt:
„Wäre solche ehrfurchtsvolle Anhänglichkeit, solche innige Freundschaft, solch
uneigennütziges Zusammenleben, wie es vor vierzig Jahren waltend, hier
srühlingsblühcnd an, unsre Seele tritt, heut zu Tage noch möglich?" so drucken
wir diese Worte nicht deshalb ad, um damit eine kleine Probe Von dem etwas
wundersamen Tone dieser Anmerkungen zu geben, sondern um die Frage von
unserm Standpunkte aus zu beantworten. Ja, alles dies ist heute eben noch
so möglich wie vor vierzig Jahren. Aber nicht mehr möglich ist jenes Ueber¬
wuchern der literarischen Interessen, jene Apathie gegen alles, was nicht zu
denselben in die engste Berührung tritt. Nicht mehr möglich wäre es, daß zwei
Männer ihrer Freundschaft in so selbstgefälligen und gesucht geistreich-humori¬
stischen Floskeln Ausdruck verliehen, wie es z. B. am angegebenen Orte Mals¬
burg gegen Tieck thut. Auch will es uns jetzt.,nicht mehr möglich vorkommen,
daß man seiner Verehrung für einen Mann, und wäre er der größte und be¬
deutendste, einen so schonungsloser Ausdruck verliehe, wie dies in jenen Briefen
oft genug geschieht und Verfasser und Empfänger gleich wenig günstig schil¬
dert; und endlich wird man sich jetzt, gerade aus Pietät und Gewissenhaftig¬
keit, schwerlich mehr dazu verstehen, Ludwig Tieck geradeweg neben, ja sogar
über Goethe zu stellen, was wir in den beiden Bänden nicht Einmal, son¬
dern wiederholt lesen müssen.

In allen diesen Briefen haben wir keinen gefunden, der die Schatten¬
seiten jener Zeit in schärferen und grauenhafteren Zügen schilderte, als es die
Briefe von Grabbe thun (1, 242 ff,). Man wird beim Lesen dieser Briefe,
deren drei aus Grabbes zweiundzwanzigsten Lebensjahre stammen, keiner der


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[0328] augenscheinlich aus einer sehr authentischen Quelle geflossen sind und dem Pu- blicum sogar völlige Neuigkeiten berichten, zu denen wir rechnen, daß der ge¬ nannte Verfasser „ein wissenschaftliches Hauptwerk verfaßt habe, in welchem (der Vorschule zum Homer) die Homerfrage vom Standpunkte der Volksdichtung aus g clöset wird," sowie daß ihn Humboldt durch ein an die deutsche Nation gerichtetes Sendschreiben (1856) für den größten Uebersetzer der Alten an¬ erkannt hat." Daß in diesen Erläuterungen manches Unrichtige mit unterläuft, kann dem Herausgeber kaum zum Vorwurfe gereichen. Weniger befriedigend ist der Druck, der durchaus nicht fehlerfrei ist. Es gehört eben zu der Aufgabe, Urkunden irgendwelcher Art sauber und bis aufs Kleinste gewissenhaft zu veröffentlichen. Manches, was dem Herausgeber bei seinem Lebensgange nicht zu eigen ge¬ worden ist, und was der größte Fleiß und die gemessenste Sorgfalt nicht er¬ setzen können. Ueberblicken wir die vorliegenden Bände nach der Seite ihres Inhaltes, so tritt uns kein durchaus wohlthuendes Bild jener vergangenen Tage daraus entgegen. Und wenn der Herausgeber einmal (2. S. 290) wehmüthig fragt: „Wäre solche ehrfurchtsvolle Anhänglichkeit, solche innige Freundschaft, solch uneigennütziges Zusammenleben, wie es vor vierzig Jahren waltend, hier srühlingsblühcnd an, unsre Seele tritt, heut zu Tage noch möglich?" so drucken wir diese Worte nicht deshalb ad, um damit eine kleine Probe Von dem etwas wundersamen Tone dieser Anmerkungen zu geben, sondern um die Frage von unserm Standpunkte aus zu beantworten. Ja, alles dies ist heute eben noch so möglich wie vor vierzig Jahren. Aber nicht mehr möglich ist jenes Ueber¬ wuchern der literarischen Interessen, jene Apathie gegen alles, was nicht zu denselben in die engste Berührung tritt. Nicht mehr möglich wäre es, daß zwei Männer ihrer Freundschaft in so selbstgefälligen und gesucht geistreich-humori¬ stischen Floskeln Ausdruck verliehen, wie es z. B. am angegebenen Orte Mals¬ burg gegen Tieck thut. Auch will es uns jetzt.,nicht mehr möglich vorkommen, daß man seiner Verehrung für einen Mann, und wäre er der größte und be¬ deutendste, einen so schonungsloser Ausdruck verliehe, wie dies in jenen Briefen oft genug geschieht und Verfasser und Empfänger gleich wenig günstig schil¬ dert; und endlich wird man sich jetzt, gerade aus Pietät und Gewissenhaftig¬ keit, schwerlich mehr dazu verstehen, Ludwig Tieck geradeweg neben, ja sogar über Goethe zu stellen, was wir in den beiden Bänden nicht Einmal, son¬ dern wiederholt lesen müssen. In allen diesen Briefen haben wir keinen gefunden, der die Schatten¬ seiten jener Zeit in schärferen und grauenhafteren Zügen schilderte, als es die Briefe von Grabbe thun (1, 242 ff,). Man wird beim Lesen dieser Briefe, deren drei aus Grabbes zweiundzwanzigsten Lebensjahre stammen, keiner der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/328>, abgerufen am 01.07.2024.