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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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lichten Briefe lediglich deshalb geschrieben sind, weil Tieck seine bekannte Stel¬
lung am dresdener Theater inne hatte?

Und so gehört auch hierzu, um aus dem Material den Inhalt, aus dem
Wort den Sinn herauszulösen, ein geschichtlicher Sinn und das Vermögen, von
der Schale zum Kern hindurchzudringen. Ein solcher Härte die Auswahl treffen
sollen und wir vermuthen, er würde viel Spreu ausgefegt haben.

Sodann aber darf man sich der Frage nach der Berechtigung solcher
Veröffentlichungen nicht entziehen. Und hier wird es in den meiste" Fällen
gerathen erscheinen, die'Briefe von noch Lebenden aus einer fast von selbst
verständlichen Discretion bei Seite zu legen. Es muß in der That gar manchem
der in dem vorliegenden Buche vertretenen Briefschreiber sehr befremdlich er¬
scheinen, seine vertraulich an einen alten verehrten Meister gerichteten Zeilen
auf den Markt gebracht zu sehen und dies nur aus dem Grunde, weil der
Empfänger gestorben ist. Im literarischen Verkehr giebt es Rücksichten, welche
um so gewissenhafter eingehalten werden müssen, je mehr sie zu den ungeschrie¬
benen Gesetzen gehören und je weniger dem Einzelnen die Möglichkeit geboten
ist, sich gegen einen Mißbrauch im Voraus zu verwahren.

Gegen diesen Schicklichkeitsbrauch fehlt das besprochene Buch oft und in
einer Weise, welche ernsten Zweifel daran hervorruft, ob der Herausgeber zu
seiner Aufgabe berufen war.

Der Herausgabe hat sich Herr Karl v. Holtet unterzogen und er erschien
dazu befähigt durch ein langjähriges vertrautes Verhältniß zu Tieck, weiches
von seiner Seite aus treue und aufrichtige Hochachtung gegründet schien.

Wir wollen daher nicht daran mäkeln, daß in den hinzugefügten Er¬
läuterungen jener Pietät ein zuweilen sehr überschwänglicher Ausdruck geliehen
wird. Aber wir läugnen nicht, daß diese Erläuterungen im Allgemeinen in einem
Tone abgefaßt sind, der uns nichts weniger als glücklich getroffen scheint. Wir
wollen mit dem Herrn Herausgeber nicht rechten über einige Stellen, in denen
er sich gestattet, kleine Persönlichkeiten bei der Mittheilung der Lebensumstände
noch lebender Schriftsteller einzuflechten, denn wir sind überzeugt, daß er bei
näherer Ueberlegung selbst eingesehen haben wird, wie wenig er dazu berufen
ist, ein genügend motivirtes Urtheil über bedeutende künstlerische Leistungen
und Persönlichkeiten zu fällen, und wir schieben die Hauptschuld auch hier auf
die Unzuträglichkeiten, welche das falsche Princip der Aufncchme von Briefen
noch lebender Autoren mit sich führen mußte.

Die Arbeit des Herausgebers, welcher jedem neu auftretenden Namen kurz
die Lebensumstände und die Resultate der schriftstellerischen Wirksamkeit hinzu¬
fügen wollte, kann keine mühelose gewesen sein; sie wäre ihm sehr erleichtert
worden, wenn ihm bei allen Autoren so überraschend genaue Notizen zur Ver¬
fügung gestanden hätten wie z. B. bei einem leipziger Schriftsteller, welche


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lichten Briefe lediglich deshalb geschrieben sind, weil Tieck seine bekannte Stel¬
lung am dresdener Theater inne hatte?

Und so gehört auch hierzu, um aus dem Material den Inhalt, aus dem
Wort den Sinn herauszulösen, ein geschichtlicher Sinn und das Vermögen, von
der Schale zum Kern hindurchzudringen. Ein solcher Härte die Auswahl treffen
sollen und wir vermuthen, er würde viel Spreu ausgefegt haben.

Sodann aber darf man sich der Frage nach der Berechtigung solcher
Veröffentlichungen nicht entziehen. Und hier wird es in den meiste» Fällen
gerathen erscheinen, die'Briefe von noch Lebenden aus einer fast von selbst
verständlichen Discretion bei Seite zu legen. Es muß in der That gar manchem
der in dem vorliegenden Buche vertretenen Briefschreiber sehr befremdlich er¬
scheinen, seine vertraulich an einen alten verehrten Meister gerichteten Zeilen
auf den Markt gebracht zu sehen und dies nur aus dem Grunde, weil der
Empfänger gestorben ist. Im literarischen Verkehr giebt es Rücksichten, welche
um so gewissenhafter eingehalten werden müssen, je mehr sie zu den ungeschrie¬
benen Gesetzen gehören und je weniger dem Einzelnen die Möglichkeit geboten
ist, sich gegen einen Mißbrauch im Voraus zu verwahren.

Gegen diesen Schicklichkeitsbrauch fehlt das besprochene Buch oft und in
einer Weise, welche ernsten Zweifel daran hervorruft, ob der Herausgeber zu
seiner Aufgabe berufen war.

Der Herausgabe hat sich Herr Karl v. Holtet unterzogen und er erschien
dazu befähigt durch ein langjähriges vertrautes Verhältniß zu Tieck, weiches
von seiner Seite aus treue und aufrichtige Hochachtung gegründet schien.

Wir wollen daher nicht daran mäkeln, daß in den hinzugefügten Er¬
läuterungen jener Pietät ein zuweilen sehr überschwänglicher Ausdruck geliehen
wird. Aber wir läugnen nicht, daß diese Erläuterungen im Allgemeinen in einem
Tone abgefaßt sind, der uns nichts weniger als glücklich getroffen scheint. Wir
wollen mit dem Herrn Herausgeber nicht rechten über einige Stellen, in denen
er sich gestattet, kleine Persönlichkeiten bei der Mittheilung der Lebensumstände
noch lebender Schriftsteller einzuflechten, denn wir sind überzeugt, daß er bei
näherer Ueberlegung selbst eingesehen haben wird, wie wenig er dazu berufen
ist, ein genügend motivirtes Urtheil über bedeutende künstlerische Leistungen
und Persönlichkeiten zu fällen, und wir schieben die Hauptschuld auch hier auf
die Unzuträglichkeiten, welche das falsche Princip der Aufncchme von Briefen
noch lebender Autoren mit sich führen mußte.

Die Arbeit des Herausgebers, welcher jedem neu auftretenden Namen kurz
die Lebensumstände und die Resultate der schriftstellerischen Wirksamkeit hinzu¬
fügen wollte, kann keine mühelose gewesen sein; sie wäre ihm sehr erleichtert
worden, wenn ihm bei allen Autoren so überraschend genaue Notizen zur Ver¬
fügung gestanden hätten wie z. B. bei einem leipziger Schriftsteller, welche


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[0327] lichten Briefe lediglich deshalb geschrieben sind, weil Tieck seine bekannte Stel¬ lung am dresdener Theater inne hatte? Und so gehört auch hierzu, um aus dem Material den Inhalt, aus dem Wort den Sinn herauszulösen, ein geschichtlicher Sinn und das Vermögen, von der Schale zum Kern hindurchzudringen. Ein solcher Härte die Auswahl treffen sollen und wir vermuthen, er würde viel Spreu ausgefegt haben. Sodann aber darf man sich der Frage nach der Berechtigung solcher Veröffentlichungen nicht entziehen. Und hier wird es in den meiste» Fällen gerathen erscheinen, die'Briefe von noch Lebenden aus einer fast von selbst verständlichen Discretion bei Seite zu legen. Es muß in der That gar manchem der in dem vorliegenden Buche vertretenen Briefschreiber sehr befremdlich er¬ scheinen, seine vertraulich an einen alten verehrten Meister gerichteten Zeilen auf den Markt gebracht zu sehen und dies nur aus dem Grunde, weil der Empfänger gestorben ist. Im literarischen Verkehr giebt es Rücksichten, welche um so gewissenhafter eingehalten werden müssen, je mehr sie zu den ungeschrie¬ benen Gesetzen gehören und je weniger dem Einzelnen die Möglichkeit geboten ist, sich gegen einen Mißbrauch im Voraus zu verwahren. Gegen diesen Schicklichkeitsbrauch fehlt das besprochene Buch oft und in einer Weise, welche ernsten Zweifel daran hervorruft, ob der Herausgeber zu seiner Aufgabe berufen war. Der Herausgabe hat sich Herr Karl v. Holtet unterzogen und er erschien dazu befähigt durch ein langjähriges vertrautes Verhältniß zu Tieck, weiches von seiner Seite aus treue und aufrichtige Hochachtung gegründet schien. Wir wollen daher nicht daran mäkeln, daß in den hinzugefügten Er¬ läuterungen jener Pietät ein zuweilen sehr überschwänglicher Ausdruck geliehen wird. Aber wir läugnen nicht, daß diese Erläuterungen im Allgemeinen in einem Tone abgefaßt sind, der uns nichts weniger als glücklich getroffen scheint. Wir wollen mit dem Herrn Herausgeber nicht rechten über einige Stellen, in denen er sich gestattet, kleine Persönlichkeiten bei der Mittheilung der Lebensumstände noch lebender Schriftsteller einzuflechten, denn wir sind überzeugt, daß er bei näherer Ueberlegung selbst eingesehen haben wird, wie wenig er dazu berufen ist, ein genügend motivirtes Urtheil über bedeutende künstlerische Leistungen und Persönlichkeiten zu fällen, und wir schieben die Hauptschuld auch hier auf die Unzuträglichkeiten, welche das falsche Princip der Aufncchme von Briefen noch lebender Autoren mit sich führen mußte. Die Arbeit des Herausgebers, welcher jedem neu auftretenden Namen kurz die Lebensumstände und die Resultate der schriftstellerischen Wirksamkeit hinzu¬ fügen wollte, kann keine mühelose gewesen sein; sie wäre ihm sehr erleichtert worden, wenn ihm bei allen Autoren so überraschend genaue Notizen zur Ver¬ fügung gestanden hätten wie z. B. bei einem leipziger Schriftsteller, welche 41 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/327>, abgerufen am 29.06.2024.