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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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lingscrgüsse ein den greisen Koryphäen, ihre Begleitschreiben zu einem über¬
sendeten Erstlingswerke sehen sich, mit wenigen und gewichtigen Ausnahmen,
unter einander erstaunlich ähnlich und es gehört nicht zu den Vorzügen dieses
Buches, daß es zum größten Theile nur solche kurze, halb verlegne, halb ver¬
wegne Anknüpfungen zu einem literarischen Verkehr enthält, der meist in den
Anfängen hängen geblieben zu sein scheint. Einige wenige Ausnahmen wirken
sehr erfreulich, wohin wir die Briefe rechnen, welche sich an die Namen des
jüngst verstorbenen Loebell, an Goethe, Arnim, Brentano, Ed. Devrient,
Hormayr. A. v. Humboldt, Karl und Marianne Immermann knüpfen. Noch
von einigen Anderen wird verhältnismäßig viel geboten, so von Berekow Mals¬
burg, Killingcr, v. d. Hagen, Luise Förster, bei denen aber die Güte in
keinem Verhältniß zur Menge des Gegebenen steht. Völlig unbegreiflich ist es
uns aber, daß man ein so unreifes Product, wie der Brief eines gewissen
Karl Halling (1, 287), bei dem sogar die Naivetät unangenehm wird, hat mit
abdrucken können. Solche Stilübungen blieben doch billig dem Papierkorbe
und einer schonenden Vergessenheit anvertraut. Ein Gleiches gilt von manchen
Ergüssen jetzt noch Lebender, über die wir aus Grundsatz mit Schweigen hinweg¬
gehen wollen.

Mit dem allen soll nun der Werth der gesammten an Tieck gerichteten
Briefe keineswegs gelciugnet werden. Referent hat früher einmal Gelegenheit
gehabt, einzelne Theile der Sammlung flüchtig zu durchmustern und ist noch
lebhaft des Wunsches eingedenk, den ihm der Anblick jener Ueberfülle von
Material einflößte. Nicht dem Publikum wünschte er sie überliefert, sondern
als Quellensammlung für einen künftigen Literaturhistoriker möchte er sie einer
großen Bibliothek, etwa der berliner anvertraut wissen, und er findet jenen
Wunsch nach dein Durchlesen der zwei gedruckten Bände aufs neue erwacht und
gerechtfertigt.

Wollte man aber einmal, einem von Tieck früher selbst geäußerten Wunsche
zufolge, durchaus veröffentlichen, so mußte el" strenges Princip der Auswahl
aufgestellt und durchgeführt werden. Der Herausgeber hat in der That richtig
vermuthet, daß gerade dieser Theil seiner Thätigkeit manchem Tadel unter¬
worfen sein würde. Und er hätte sich selbst sagen sollen, daß der Grund, aus
welchem er auch sehr schwache Vertreter der tieckschcn Zeit zugelassen hat, nicht
stichhaltig ist. Die angestrebte Vollständigkeit nämlich und die Abrundung des
Bildes von Tiecks eingreifender Wirksamkeit in den verschiedensten Schichten der
Gesellschaft und Bildung ließ sich ja doch nur durch eine selbständige Dar¬
stellung erreichen. Soll sie durch die Auswahl und Gruppirung des Materials
erzielt werden, so würde man immer abhängig bleiben von den Zufälligkeiten,
die gar Manchem die Feder in die Hand gedrückt haben. Oder sollte nicht
schon eine einfache Ueberrechnuug deutlich herausstellen, wie viele der veröffent-


lingscrgüsse ein den greisen Koryphäen, ihre Begleitschreiben zu einem über¬
sendeten Erstlingswerke sehen sich, mit wenigen und gewichtigen Ausnahmen,
unter einander erstaunlich ähnlich und es gehört nicht zu den Vorzügen dieses
Buches, daß es zum größten Theile nur solche kurze, halb verlegne, halb ver¬
wegne Anknüpfungen zu einem literarischen Verkehr enthält, der meist in den
Anfängen hängen geblieben zu sein scheint. Einige wenige Ausnahmen wirken
sehr erfreulich, wohin wir die Briefe rechnen, welche sich an die Namen des
jüngst verstorbenen Loebell, an Goethe, Arnim, Brentano, Ed. Devrient,
Hormayr. A. v. Humboldt, Karl und Marianne Immermann knüpfen. Noch
von einigen Anderen wird verhältnismäßig viel geboten, so von Berekow Mals¬
burg, Killingcr, v. d. Hagen, Luise Förster, bei denen aber die Güte in
keinem Verhältniß zur Menge des Gegebenen steht. Völlig unbegreiflich ist es
uns aber, daß man ein so unreifes Product, wie der Brief eines gewissen
Karl Halling (1, 287), bei dem sogar die Naivetät unangenehm wird, hat mit
abdrucken können. Solche Stilübungen blieben doch billig dem Papierkorbe
und einer schonenden Vergessenheit anvertraut. Ein Gleiches gilt von manchen
Ergüssen jetzt noch Lebender, über die wir aus Grundsatz mit Schweigen hinweg¬
gehen wollen.

Mit dem allen soll nun der Werth der gesammten an Tieck gerichteten
Briefe keineswegs gelciugnet werden. Referent hat früher einmal Gelegenheit
gehabt, einzelne Theile der Sammlung flüchtig zu durchmustern und ist noch
lebhaft des Wunsches eingedenk, den ihm der Anblick jener Ueberfülle von
Material einflößte. Nicht dem Publikum wünschte er sie überliefert, sondern
als Quellensammlung für einen künftigen Literaturhistoriker möchte er sie einer
großen Bibliothek, etwa der berliner anvertraut wissen, und er findet jenen
Wunsch nach dein Durchlesen der zwei gedruckten Bände aufs neue erwacht und
gerechtfertigt.

Wollte man aber einmal, einem von Tieck früher selbst geäußerten Wunsche
zufolge, durchaus veröffentlichen, so mußte el» strenges Princip der Auswahl
aufgestellt und durchgeführt werden. Der Herausgeber hat in der That richtig
vermuthet, daß gerade dieser Theil seiner Thätigkeit manchem Tadel unter¬
worfen sein würde. Und er hätte sich selbst sagen sollen, daß der Grund, aus
welchem er auch sehr schwache Vertreter der tieckschcn Zeit zugelassen hat, nicht
stichhaltig ist. Die angestrebte Vollständigkeit nämlich und die Abrundung des
Bildes von Tiecks eingreifender Wirksamkeit in den verschiedensten Schichten der
Gesellschaft und Bildung ließ sich ja doch nur durch eine selbständige Dar¬
stellung erreichen. Soll sie durch die Auswahl und Gruppirung des Materials
erzielt werden, so würde man immer abhängig bleiben von den Zufälligkeiten,
die gar Manchem die Feder in die Hand gedrückt haben. Oder sollte nicht
schon eine einfache Ueberrechnuug deutlich herausstellen, wie viele der veröffent-


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[0326] lingscrgüsse ein den greisen Koryphäen, ihre Begleitschreiben zu einem über¬ sendeten Erstlingswerke sehen sich, mit wenigen und gewichtigen Ausnahmen, unter einander erstaunlich ähnlich und es gehört nicht zu den Vorzügen dieses Buches, daß es zum größten Theile nur solche kurze, halb verlegne, halb ver¬ wegne Anknüpfungen zu einem literarischen Verkehr enthält, der meist in den Anfängen hängen geblieben zu sein scheint. Einige wenige Ausnahmen wirken sehr erfreulich, wohin wir die Briefe rechnen, welche sich an die Namen des jüngst verstorbenen Loebell, an Goethe, Arnim, Brentano, Ed. Devrient, Hormayr. A. v. Humboldt, Karl und Marianne Immermann knüpfen. Noch von einigen Anderen wird verhältnismäßig viel geboten, so von Berekow Mals¬ burg, Killingcr, v. d. Hagen, Luise Förster, bei denen aber die Güte in keinem Verhältniß zur Menge des Gegebenen steht. Völlig unbegreiflich ist es uns aber, daß man ein so unreifes Product, wie der Brief eines gewissen Karl Halling (1, 287), bei dem sogar die Naivetät unangenehm wird, hat mit abdrucken können. Solche Stilübungen blieben doch billig dem Papierkorbe und einer schonenden Vergessenheit anvertraut. Ein Gleiches gilt von manchen Ergüssen jetzt noch Lebender, über die wir aus Grundsatz mit Schweigen hinweg¬ gehen wollen. Mit dem allen soll nun der Werth der gesammten an Tieck gerichteten Briefe keineswegs gelciugnet werden. Referent hat früher einmal Gelegenheit gehabt, einzelne Theile der Sammlung flüchtig zu durchmustern und ist noch lebhaft des Wunsches eingedenk, den ihm der Anblick jener Ueberfülle von Material einflößte. Nicht dem Publikum wünschte er sie überliefert, sondern als Quellensammlung für einen künftigen Literaturhistoriker möchte er sie einer großen Bibliothek, etwa der berliner anvertraut wissen, und er findet jenen Wunsch nach dein Durchlesen der zwei gedruckten Bände aufs neue erwacht und gerechtfertigt. Wollte man aber einmal, einem von Tieck früher selbst geäußerten Wunsche zufolge, durchaus veröffentlichen, so mußte el» strenges Princip der Auswahl aufgestellt und durchgeführt werden. Der Herausgeber hat in der That richtig vermuthet, daß gerade dieser Theil seiner Thätigkeit manchem Tadel unter¬ worfen sein würde. Und er hätte sich selbst sagen sollen, daß der Grund, aus welchem er auch sehr schwache Vertreter der tieckschcn Zeit zugelassen hat, nicht stichhaltig ist. Die angestrebte Vollständigkeit nämlich und die Abrundung des Bildes von Tiecks eingreifender Wirksamkeit in den verschiedensten Schichten der Gesellschaft und Bildung ließ sich ja doch nur durch eine selbständige Dar¬ stellung erreichen. Soll sie durch die Auswahl und Gruppirung des Materials erzielt werden, so würde man immer abhängig bleiben von den Zufälligkeiten, die gar Manchem die Feder in die Hand gedrückt haben. Oder sollte nicht schon eine einfache Ueberrechnuug deutlich herausstellen, wie viele der veröffent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/326>, abgerufen am 26.06.2024.