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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Nomenklatur der älteren Bildwerke Neapels. Bei der Darstellung von Giottos
Aufenthalte in Süditalien war es unerläßlich, einleitend einige Wege durch das
Dickicht von Unterschiebung und Untntik zu bahnen, welches hier, freigebig wie
die Natur, den Forscher empfängt. Die neapolitanischen Kunstschriftsteller haben
von jeher ein großes Wesen von der Blüthe süditalicnischer Kunst vor Giotto
gemacht. Namen wie Pippo Tesauro, Thomaso degli Angeli, Francesco ti
Simone :c. :c. klingen uns entgegen; nach Anhaltepunkten der Tradition, nach
Resten ihrer Thätigkeit fragt man vergebens. Was uns von einzelnen dersel¬
ben gewiesen wird, verräth von Seiten der Namengeber eine erstaunliche Hin¬
wegsetzung über die handgreiflichsten Stilkriterien der Jahrhunderte. Bon wirk¬
lich nachweisbaren Künstlern wie Mvntanv d'Arezzo, Robertus de Oderisio und
dem Moscnsten Lektus schweigt diese Wissenschaft. Was ferner den Namen des
halbmythischer Simone Napvlitano trägt beurkundet fast immer sichtbaren Ein¬
fluß Giottos. Das Altarbild in Se. Lorenzo Maggiore, urkundlich von "Sy-
mon de senis", ist nicht das einzige Werk von siamesischen Ursprung, dem jener
Liebiingsncnne angedichtet wird. Das berühmte Bildwerk im Grab der Gio-
vanna d'Aquila in Se. Domenico Maggiore, ebenfalls diesem "Cimabue oder
Duccio Neapels" mit Emphase zugeschrieben, ist entschieden umbrisch und rührt
aus der Schule von Fabriano. Dasselbe gilt von der Bergine della Rosa an
demselben Orte und von den Fresken in der Se. Andreas-Kapelle. Die Classi-
fication der verschiedenen Producte, die uns unter seinem Namen gezeigt wer¬
den und die schlechterdings nicht von Einer Hand sein können, weist die Frage
nach der eigentlichen Beschaffenheit des Simon von Neapel, wenn er anders
überhaupt existirt hat, auf die folgenden Alternativen: entweder er war einer
der geringeren Giottistcn des vierzehnten Jahrhunderts -- wie Refectorium und
Kirche von Sta. Chiara ihn repräsentiren -- oder er gehört dein fünfzehnten
Jahrhundert an, wie Se. Antonio Abade in Se. Lorenzo Maggiore ihn bezeich¬
net. Ferner: entweder er ist identisch mit Simone Martini von Siena, oder
er ist ein Maler der umbrischen Schule des ausgehenden vierzehnten Jahrhunderts.

In Summa: die Maler, welche Giotto in Neapel vorfand, waren im
besten Falle eben geschickt genug, um ihm zur Hand gehen und ohngefähr in
seinem Sinne weiter arbeiten zu tonnen; Rivalen waren nicht darunter. Die
Nachwelt hat ihm schweres Unrecht gethan, indem sie Malereien seiner neapo¬
litanischen Zeitgenossen bis aus die jüngste Zeit für Werte seiner Hand ge¬
halten hat. König Robert, der den Meister vermuthlich auf Anregung seines
Sohnes, des Prinzen Karl von Kalabrien, den Giotto in Florenz porträtirte,
1330 nach Neapel berief, überschüttete ihn dergestalt mit Aufgaben monumen¬
taler Art, daß Giotto mit den eigenen Händen nicht alles ausführen konnte.
Vielleicht trägt außer der Leichtfertigkeit der heimischen Kunstforscher eben dieser
Umstand einen Theil der Schuld mit daran, daß das einzige durchaus beglau-


Nomenklatur der älteren Bildwerke Neapels. Bei der Darstellung von Giottos
Aufenthalte in Süditalien war es unerläßlich, einleitend einige Wege durch das
Dickicht von Unterschiebung und Untntik zu bahnen, welches hier, freigebig wie
die Natur, den Forscher empfängt. Die neapolitanischen Kunstschriftsteller haben
von jeher ein großes Wesen von der Blüthe süditalicnischer Kunst vor Giotto
gemacht. Namen wie Pippo Tesauro, Thomaso degli Angeli, Francesco ti
Simone :c. :c. klingen uns entgegen; nach Anhaltepunkten der Tradition, nach
Resten ihrer Thätigkeit fragt man vergebens. Was uns von einzelnen dersel¬
ben gewiesen wird, verräth von Seiten der Namengeber eine erstaunliche Hin¬
wegsetzung über die handgreiflichsten Stilkriterien der Jahrhunderte. Bon wirk¬
lich nachweisbaren Künstlern wie Mvntanv d'Arezzo, Robertus de Oderisio und
dem Moscnsten Lektus schweigt diese Wissenschaft. Was ferner den Namen des
halbmythischer Simone Napvlitano trägt beurkundet fast immer sichtbaren Ein¬
fluß Giottos. Das Altarbild in Se. Lorenzo Maggiore, urkundlich von „Sy-
mon de senis", ist nicht das einzige Werk von siamesischen Ursprung, dem jener
Liebiingsncnne angedichtet wird. Das berühmte Bildwerk im Grab der Gio-
vanna d'Aquila in Se. Domenico Maggiore, ebenfalls diesem „Cimabue oder
Duccio Neapels" mit Emphase zugeschrieben, ist entschieden umbrisch und rührt
aus der Schule von Fabriano. Dasselbe gilt von der Bergine della Rosa an
demselben Orte und von den Fresken in der Se. Andreas-Kapelle. Die Classi-
fication der verschiedenen Producte, die uns unter seinem Namen gezeigt wer¬
den und die schlechterdings nicht von Einer Hand sein können, weist die Frage
nach der eigentlichen Beschaffenheit des Simon von Neapel, wenn er anders
überhaupt existirt hat, auf die folgenden Alternativen: entweder er war einer
der geringeren Giottistcn des vierzehnten Jahrhunderts — wie Refectorium und
Kirche von Sta. Chiara ihn repräsentiren — oder er gehört dein fünfzehnten
Jahrhundert an, wie Se. Antonio Abade in Se. Lorenzo Maggiore ihn bezeich¬
net. Ferner: entweder er ist identisch mit Simone Martini von Siena, oder
er ist ein Maler der umbrischen Schule des ausgehenden vierzehnten Jahrhunderts.

In Summa: die Maler, welche Giotto in Neapel vorfand, waren im
besten Falle eben geschickt genug, um ihm zur Hand gehen und ohngefähr in
seinem Sinne weiter arbeiten zu tonnen; Rivalen waren nicht darunter. Die
Nachwelt hat ihm schweres Unrecht gethan, indem sie Malereien seiner neapo¬
litanischen Zeitgenossen bis aus die jüngste Zeit für Werte seiner Hand ge¬
halten hat. König Robert, der den Meister vermuthlich auf Anregung seines
Sohnes, des Prinzen Karl von Kalabrien, den Giotto in Florenz porträtirte,
1330 nach Neapel berief, überschüttete ihn dergestalt mit Aufgaben monumen¬
taler Art, daß Giotto mit den eigenen Händen nicht alles ausführen konnte.
Vielleicht trägt außer der Leichtfertigkeit der heimischen Kunstforscher eben dieser
Umstand einen Theil der Schuld mit daran, daß das einzige durchaus beglau-


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[0032] Nomenklatur der älteren Bildwerke Neapels. Bei der Darstellung von Giottos Aufenthalte in Süditalien war es unerläßlich, einleitend einige Wege durch das Dickicht von Unterschiebung und Untntik zu bahnen, welches hier, freigebig wie die Natur, den Forscher empfängt. Die neapolitanischen Kunstschriftsteller haben von jeher ein großes Wesen von der Blüthe süditalicnischer Kunst vor Giotto gemacht. Namen wie Pippo Tesauro, Thomaso degli Angeli, Francesco ti Simone :c. :c. klingen uns entgegen; nach Anhaltepunkten der Tradition, nach Resten ihrer Thätigkeit fragt man vergebens. Was uns von einzelnen dersel¬ ben gewiesen wird, verräth von Seiten der Namengeber eine erstaunliche Hin¬ wegsetzung über die handgreiflichsten Stilkriterien der Jahrhunderte. Bon wirk¬ lich nachweisbaren Künstlern wie Mvntanv d'Arezzo, Robertus de Oderisio und dem Moscnsten Lektus schweigt diese Wissenschaft. Was ferner den Namen des halbmythischer Simone Napvlitano trägt beurkundet fast immer sichtbaren Ein¬ fluß Giottos. Das Altarbild in Se. Lorenzo Maggiore, urkundlich von „Sy- mon de senis", ist nicht das einzige Werk von siamesischen Ursprung, dem jener Liebiingsncnne angedichtet wird. Das berühmte Bildwerk im Grab der Gio- vanna d'Aquila in Se. Domenico Maggiore, ebenfalls diesem „Cimabue oder Duccio Neapels" mit Emphase zugeschrieben, ist entschieden umbrisch und rührt aus der Schule von Fabriano. Dasselbe gilt von der Bergine della Rosa an demselben Orte und von den Fresken in der Se. Andreas-Kapelle. Die Classi- fication der verschiedenen Producte, die uns unter seinem Namen gezeigt wer¬ den und die schlechterdings nicht von Einer Hand sein können, weist die Frage nach der eigentlichen Beschaffenheit des Simon von Neapel, wenn er anders überhaupt existirt hat, auf die folgenden Alternativen: entweder er war einer der geringeren Giottistcn des vierzehnten Jahrhunderts — wie Refectorium und Kirche von Sta. Chiara ihn repräsentiren — oder er gehört dein fünfzehnten Jahrhundert an, wie Se. Antonio Abade in Se. Lorenzo Maggiore ihn bezeich¬ net. Ferner: entweder er ist identisch mit Simone Martini von Siena, oder er ist ein Maler der umbrischen Schule des ausgehenden vierzehnten Jahrhunderts. In Summa: die Maler, welche Giotto in Neapel vorfand, waren im besten Falle eben geschickt genug, um ihm zur Hand gehen und ohngefähr in seinem Sinne weiter arbeiten zu tonnen; Rivalen waren nicht darunter. Die Nachwelt hat ihm schweres Unrecht gethan, indem sie Malereien seiner neapo¬ litanischen Zeitgenossen bis aus die jüngste Zeit für Werte seiner Hand ge¬ halten hat. König Robert, der den Meister vermuthlich auf Anregung seines Sohnes, des Prinzen Karl von Kalabrien, den Giotto in Florenz porträtirte, 1330 nach Neapel berief, überschüttete ihn dergestalt mit Aufgaben monumen¬ taler Art, daß Giotto mit den eigenen Händen nicht alles ausführen konnte. Vielleicht trägt außer der Leichtfertigkeit der heimischen Kunstforscher eben dieser Umstand einen Theil der Schuld mit daran, daß das einzige durchaus beglau-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/32>, abgerufen am 01.07.2024.