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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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der Dichter selbst und neben ihnen der Künstler, gewiß mit mindestens dem¬
selben Recht, wie so mancher staatsmännischen oder kriegerischen Berühmtheit.
Was unsre deutschen Poeten anbetrifft, so ist ihr Leben, mit Ausnahme des
goetheschen. freilich nicht gerade reich weder an bedeutenden in die äußere Er¬
scheinung tretenden Thaten und Ereignissen, noch an sonstigen malerischen Mo¬
tiven, wofür denn die natürlichen Sympathien, die der Beschauer mit hinzubringt,
einigermaßen entschädigen müssen. So malte Paul Bürde unsre beiden rech¬
ten geistigen Nationalheroen Schiller und Goethe, in nicht eben bedeutender
oder anmuthender Situation; wenigstens gilt das von letzterem. -- Schiller in
hochfligender Begeisterung neben "Laura am Clavier", wo ihr Finger durch
die Saiten meistert" -- diese Gruppe ist charakteristisch für den jungen Dichter
und nicht unrichtig für seine poetische Entwickelungsgeschichte. Wäre er hier
im Bilde weniger alt und langweilig, mehr der ganz vortrefflich gegebnen
Laura ebenbürtig, so möchte die Wirkung des übrigens elegant und sorgfältig
gemalten Bildes eine ganz glückliche sein. Aber Goethe, der im weimarischen
Park aus den Händen der hübschen Mamsell Vulpius die bekannte für beide
Theile so folgenreiche Bittschrift für ihren Bruder in Empfang nimmt, das
bleibt eine seltsame Wahl; und wenn die junge Dame auch so fein und rich¬
tig im Ausdruck getroffen, so schalkhaft demüthig und gewinnend erscheint,
wie hier, und wenn Goethe selbst auch weit besser gerathen wäre, als dieser
geschniegelte, glatte, vornehme, stolz und doch süßlich schöne Herr hier im
Bilde, so würde letzteres doch immer am Kern seines Inhalts unheilbar zu lei¬
den haben. Kraus, der uns vor zwei Jahren ein farbenreiches Bild eines
traulichen Mahls bet Titian gab, malte hier als Gegensatz die in ihrer Art
kaum minder behagliche Häuslichkeit des niederländischen Großmeisters der Farbe,
Rembrandt. Er schildert nicht den Rembrandt der ältern Künstlermythe, die sein
trotziges aber edles Bild so arg entstellt halte, sondern dasjenige der modernen
Kunstgeschichtsforschung, die dasselbe so sehr von allen Flecken zu reinigen bemüht
gewesen ist, daß sie fast seine charakteristische ureigene Naturfarbe gleichzeitig
mit heruntergeputzt hat. So ist auch der Rembrandt, wie ihn Kraus dort in
künstlerischer Erörterung über eine kleine anrike Bronce mit seinem gelehrten
Freunde Adam Six malt, umgeben von kunstgestaltetem Hausrath und lauter
schönen Dingen, die eines liebe- und verständnißvollen Sammlers Herz erfreuen
und Leben schmücken, doch ein gar zu sehr der seltsamen trotzigen Originalität
entkleideter Herr geworden, dem man seine Malerei kaum zutrauen sollte. Kraus
hat übrigens sein Bestes gethan, dem Bilde, das den Meister der gewaltigsten
coloristischen Wirkungen schildern soll, einen tiefen, energischen, in seinem Sinne
gedachten Farbeneffect zu geben.

Karl Becker, der als Colorist keinem Modernen nachsteht, malt in seinen
Bildern aus vergangner Zeit selten bestimmte politisch- oder kunstgeschichtliche


Grenzboten IV. 1864. 40

der Dichter selbst und neben ihnen der Künstler, gewiß mit mindestens dem¬
selben Recht, wie so mancher staatsmännischen oder kriegerischen Berühmtheit.
Was unsre deutschen Poeten anbetrifft, so ist ihr Leben, mit Ausnahme des
goetheschen. freilich nicht gerade reich weder an bedeutenden in die äußere Er¬
scheinung tretenden Thaten und Ereignissen, noch an sonstigen malerischen Mo¬
tiven, wofür denn die natürlichen Sympathien, die der Beschauer mit hinzubringt,
einigermaßen entschädigen müssen. So malte Paul Bürde unsre beiden rech¬
ten geistigen Nationalheroen Schiller und Goethe, in nicht eben bedeutender
oder anmuthender Situation; wenigstens gilt das von letzterem. — Schiller in
hochfligender Begeisterung neben „Laura am Clavier", wo ihr Finger durch
die Saiten meistert" — diese Gruppe ist charakteristisch für den jungen Dichter
und nicht unrichtig für seine poetische Entwickelungsgeschichte. Wäre er hier
im Bilde weniger alt und langweilig, mehr der ganz vortrefflich gegebnen
Laura ebenbürtig, so möchte die Wirkung des übrigens elegant und sorgfältig
gemalten Bildes eine ganz glückliche sein. Aber Goethe, der im weimarischen
Park aus den Händen der hübschen Mamsell Vulpius die bekannte für beide
Theile so folgenreiche Bittschrift für ihren Bruder in Empfang nimmt, das
bleibt eine seltsame Wahl; und wenn die junge Dame auch so fein und rich¬
tig im Ausdruck getroffen, so schalkhaft demüthig und gewinnend erscheint,
wie hier, und wenn Goethe selbst auch weit besser gerathen wäre, als dieser
geschniegelte, glatte, vornehme, stolz und doch süßlich schöne Herr hier im
Bilde, so würde letzteres doch immer am Kern seines Inhalts unheilbar zu lei¬
den haben. Kraus, der uns vor zwei Jahren ein farbenreiches Bild eines
traulichen Mahls bet Titian gab, malte hier als Gegensatz die in ihrer Art
kaum minder behagliche Häuslichkeit des niederländischen Großmeisters der Farbe,
Rembrandt. Er schildert nicht den Rembrandt der ältern Künstlermythe, die sein
trotziges aber edles Bild so arg entstellt halte, sondern dasjenige der modernen
Kunstgeschichtsforschung, die dasselbe so sehr von allen Flecken zu reinigen bemüht
gewesen ist, daß sie fast seine charakteristische ureigene Naturfarbe gleichzeitig
mit heruntergeputzt hat. So ist auch der Rembrandt, wie ihn Kraus dort in
künstlerischer Erörterung über eine kleine anrike Bronce mit seinem gelehrten
Freunde Adam Six malt, umgeben von kunstgestaltetem Hausrath und lauter
schönen Dingen, die eines liebe- und verständnißvollen Sammlers Herz erfreuen
und Leben schmücken, doch ein gar zu sehr der seltsamen trotzigen Originalität
entkleideter Herr geworden, dem man seine Malerei kaum zutrauen sollte. Kraus
hat übrigens sein Bestes gethan, dem Bilde, das den Meister der gewaltigsten
coloristischen Wirkungen schildern soll, einen tiefen, energischen, in seinem Sinne
gedachten Farbeneffect zu geben.

Karl Becker, der als Colorist keinem Modernen nachsteht, malt in seinen
Bildern aus vergangner Zeit selten bestimmte politisch- oder kunstgeschichtliche


Grenzboten IV. 1864. 40
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[0317] der Dichter selbst und neben ihnen der Künstler, gewiß mit mindestens dem¬ selben Recht, wie so mancher staatsmännischen oder kriegerischen Berühmtheit. Was unsre deutschen Poeten anbetrifft, so ist ihr Leben, mit Ausnahme des goetheschen. freilich nicht gerade reich weder an bedeutenden in die äußere Er¬ scheinung tretenden Thaten und Ereignissen, noch an sonstigen malerischen Mo¬ tiven, wofür denn die natürlichen Sympathien, die der Beschauer mit hinzubringt, einigermaßen entschädigen müssen. So malte Paul Bürde unsre beiden rech¬ ten geistigen Nationalheroen Schiller und Goethe, in nicht eben bedeutender oder anmuthender Situation; wenigstens gilt das von letzterem. — Schiller in hochfligender Begeisterung neben „Laura am Clavier", wo ihr Finger durch die Saiten meistert" — diese Gruppe ist charakteristisch für den jungen Dichter und nicht unrichtig für seine poetische Entwickelungsgeschichte. Wäre er hier im Bilde weniger alt und langweilig, mehr der ganz vortrefflich gegebnen Laura ebenbürtig, so möchte die Wirkung des übrigens elegant und sorgfältig gemalten Bildes eine ganz glückliche sein. Aber Goethe, der im weimarischen Park aus den Händen der hübschen Mamsell Vulpius die bekannte für beide Theile so folgenreiche Bittschrift für ihren Bruder in Empfang nimmt, das bleibt eine seltsame Wahl; und wenn die junge Dame auch so fein und rich¬ tig im Ausdruck getroffen, so schalkhaft demüthig und gewinnend erscheint, wie hier, und wenn Goethe selbst auch weit besser gerathen wäre, als dieser geschniegelte, glatte, vornehme, stolz und doch süßlich schöne Herr hier im Bilde, so würde letzteres doch immer am Kern seines Inhalts unheilbar zu lei¬ den haben. Kraus, der uns vor zwei Jahren ein farbenreiches Bild eines traulichen Mahls bet Titian gab, malte hier als Gegensatz die in ihrer Art kaum minder behagliche Häuslichkeit des niederländischen Großmeisters der Farbe, Rembrandt. Er schildert nicht den Rembrandt der ältern Künstlermythe, die sein trotziges aber edles Bild so arg entstellt halte, sondern dasjenige der modernen Kunstgeschichtsforschung, die dasselbe so sehr von allen Flecken zu reinigen bemüht gewesen ist, daß sie fast seine charakteristische ureigene Naturfarbe gleichzeitig mit heruntergeputzt hat. So ist auch der Rembrandt, wie ihn Kraus dort in künstlerischer Erörterung über eine kleine anrike Bronce mit seinem gelehrten Freunde Adam Six malt, umgeben von kunstgestaltetem Hausrath und lauter schönen Dingen, die eines liebe- und verständnißvollen Sammlers Herz erfreuen und Leben schmücken, doch ein gar zu sehr der seltsamen trotzigen Originalität entkleideter Herr geworden, dem man seine Malerei kaum zutrauen sollte. Kraus hat übrigens sein Bestes gethan, dem Bilde, das den Meister der gewaltigsten coloristischen Wirkungen schildern soll, einen tiefen, energischen, in seinem Sinne gedachten Farbeneffect zu geben. Karl Becker, der als Colorist keinem Modernen nachsteht, malt in seinen Bildern aus vergangner Zeit selten bestimmte politisch- oder kunstgeschichtliche Grenzboten IV. 1864. 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/317>, abgerufen am 01.10.2024.