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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Persönlichkeiten. Wo er es einmal gethan, war das Resultat nicht das glück¬
lichste. Vorzüglich gelingen ihm dagegen allgemeine Zustandsbilder aus dem
sechzehnten, siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert und hübsche Novellenbilder,
die er in das Costüm dieser Epochen zu kleiden liebt. Oft beruht der ganze
Neiz seiner von allen Liebhabern leidenschaftlich begehrten Arbeiten fast einzig
in den prächtig gemalten Stoffen der Trachten, Interieurs und der gesättigten,
vollen, leuchtenden und harmonischen Gesammtcolvrit, oft allerdings auch
in ausgewählten, trefflich durchgeführten Motiven. Ernste würdige Männer
in stolzer reicher Patriziertracht des alten Venedig, liebliche graziöse Frauen
und Mädchen weiß er vor allem meisterlich zu malen. Beide diesmal von ihm
ausgestellte Bilder spielen auf dem seiner Kunst längst heimisch gewordnen Bo¬
den Venedigs, eine Nathssitzung beim Dogen und der Bravo, den ein vor¬
nehmer, finstrer Nobile zu einem guten Dolchstoß dingt. Dort ist es nicht
ein bestimmter Inhalt, sind es nicht zur letzten Reinheit individueller Ge¬
staltung durchgebildete Charaktere, was er zu erreichen oder zu geben be¬
absichtigte, sondern einfach die farbenprächtige vornehme Erscheinung jener klei¬
nen Versammlung im Saal voll reichen feierlichen Glanzes, dessen Wände
von Tapeten, dessen Pforten von dunklem Marmor und lichter Vergoldung
schimmern; und als solches ist das Bil> von seltener Wirkung.

L. von Hagen in München theilt mit Becker die Fähigkeit und Kunst solcher
Schilderungen der Lebenserscheinung gewisser Epochen. Nur beschränkt das sich
bei ihm nach meiner Erfahrung fast allein auf die des eigentlichen Noccoco.
Zahlreiche und sehr reizende Bilder der Art sind von ihm bekannt geworden.
In Ton und Farbe gehört das hier ausgestellte, das er "Siesta" betitelt, zu
den feinsten, die er je gemalt und in dieser Gruppe von zwei jungen eleganten
Damen, die am Sommernachmittag auf der Terrasse eines Gartens sitzend
mit einem alten Herrn behaglich plaudern, fühlt man den zarten Duft, die Blu¬
me des Noccoco. Das schließt aber nicht aus, daß die Gestalten unter sich
in völlig unwahrscheinlichen Maßverhältnissen gezeichnet sind. Zwei einander
ziemlich nahe verwandte berliner Künstler gehören noch hierher: Franz Meyer¬
heim, der älteste Sohn des altberühmten Genrcmalcrs, und Fritz Werner,
der bekannte Kupferstecher und Zeichner, der seit zwei Jahren den Grabstichel
mit dem Pinsel vertauscht hat. Beide malen nur in ganz kleinen Formaten, beide
sind nicht eigentlich erfindungsreich, beide sind mit gutem Erfolg bestrebt, jener
Menschen und Lebenseinrichtungen des späten Mittelalters, dieser des vorigen
Jahrhunderts in möglichst historischer Nichtigkeit und weitgehender Detailaus¬
führung in ihren Gemälden zu schildern; beide verbinden mit gutem Farbensinn
eine außerordentlich scharf und fein charakterisirende Zeichnung, die bei Werner
zuweilen der vollendeten Präcision eines Maissonnier nahe kommt. Meyerheims
kleines Gemälde des Kardinals, dem in seinem Arbeitszimmer ein junger Page


Persönlichkeiten. Wo er es einmal gethan, war das Resultat nicht das glück¬
lichste. Vorzüglich gelingen ihm dagegen allgemeine Zustandsbilder aus dem
sechzehnten, siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert und hübsche Novellenbilder,
die er in das Costüm dieser Epochen zu kleiden liebt. Oft beruht der ganze
Neiz seiner von allen Liebhabern leidenschaftlich begehrten Arbeiten fast einzig
in den prächtig gemalten Stoffen der Trachten, Interieurs und der gesättigten,
vollen, leuchtenden und harmonischen Gesammtcolvrit, oft allerdings auch
in ausgewählten, trefflich durchgeführten Motiven. Ernste würdige Männer
in stolzer reicher Patriziertracht des alten Venedig, liebliche graziöse Frauen
und Mädchen weiß er vor allem meisterlich zu malen. Beide diesmal von ihm
ausgestellte Bilder spielen auf dem seiner Kunst längst heimisch gewordnen Bo¬
den Venedigs, eine Nathssitzung beim Dogen und der Bravo, den ein vor¬
nehmer, finstrer Nobile zu einem guten Dolchstoß dingt. Dort ist es nicht
ein bestimmter Inhalt, sind es nicht zur letzten Reinheit individueller Ge¬
staltung durchgebildete Charaktere, was er zu erreichen oder zu geben be¬
absichtigte, sondern einfach die farbenprächtige vornehme Erscheinung jener klei¬
nen Versammlung im Saal voll reichen feierlichen Glanzes, dessen Wände
von Tapeten, dessen Pforten von dunklem Marmor und lichter Vergoldung
schimmern; und als solches ist das Bil> von seltener Wirkung.

L. von Hagen in München theilt mit Becker die Fähigkeit und Kunst solcher
Schilderungen der Lebenserscheinung gewisser Epochen. Nur beschränkt das sich
bei ihm nach meiner Erfahrung fast allein auf die des eigentlichen Noccoco.
Zahlreiche und sehr reizende Bilder der Art sind von ihm bekannt geworden.
In Ton und Farbe gehört das hier ausgestellte, das er „Siesta" betitelt, zu
den feinsten, die er je gemalt und in dieser Gruppe von zwei jungen eleganten
Damen, die am Sommernachmittag auf der Terrasse eines Gartens sitzend
mit einem alten Herrn behaglich plaudern, fühlt man den zarten Duft, die Blu¬
me des Noccoco. Das schließt aber nicht aus, daß die Gestalten unter sich
in völlig unwahrscheinlichen Maßverhältnissen gezeichnet sind. Zwei einander
ziemlich nahe verwandte berliner Künstler gehören noch hierher: Franz Meyer¬
heim, der älteste Sohn des altberühmten Genrcmalcrs, und Fritz Werner,
der bekannte Kupferstecher und Zeichner, der seit zwei Jahren den Grabstichel
mit dem Pinsel vertauscht hat. Beide malen nur in ganz kleinen Formaten, beide
sind nicht eigentlich erfindungsreich, beide sind mit gutem Erfolg bestrebt, jener
Menschen und Lebenseinrichtungen des späten Mittelalters, dieser des vorigen
Jahrhunderts in möglichst historischer Nichtigkeit und weitgehender Detailaus¬
führung in ihren Gemälden zu schildern; beide verbinden mit gutem Farbensinn
eine außerordentlich scharf und fein charakterisirende Zeichnung, die bei Werner
zuweilen der vollendeten Präcision eines Maissonnier nahe kommt. Meyerheims
kleines Gemälde des Kardinals, dem in seinem Arbeitszimmer ein junger Page


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[0318] Persönlichkeiten. Wo er es einmal gethan, war das Resultat nicht das glück¬ lichste. Vorzüglich gelingen ihm dagegen allgemeine Zustandsbilder aus dem sechzehnten, siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert und hübsche Novellenbilder, die er in das Costüm dieser Epochen zu kleiden liebt. Oft beruht der ganze Neiz seiner von allen Liebhabern leidenschaftlich begehrten Arbeiten fast einzig in den prächtig gemalten Stoffen der Trachten, Interieurs und der gesättigten, vollen, leuchtenden und harmonischen Gesammtcolvrit, oft allerdings auch in ausgewählten, trefflich durchgeführten Motiven. Ernste würdige Männer in stolzer reicher Patriziertracht des alten Venedig, liebliche graziöse Frauen und Mädchen weiß er vor allem meisterlich zu malen. Beide diesmal von ihm ausgestellte Bilder spielen auf dem seiner Kunst längst heimisch gewordnen Bo¬ den Venedigs, eine Nathssitzung beim Dogen und der Bravo, den ein vor¬ nehmer, finstrer Nobile zu einem guten Dolchstoß dingt. Dort ist es nicht ein bestimmter Inhalt, sind es nicht zur letzten Reinheit individueller Ge¬ staltung durchgebildete Charaktere, was er zu erreichen oder zu geben be¬ absichtigte, sondern einfach die farbenprächtige vornehme Erscheinung jener klei¬ nen Versammlung im Saal voll reichen feierlichen Glanzes, dessen Wände von Tapeten, dessen Pforten von dunklem Marmor und lichter Vergoldung schimmern; und als solches ist das Bil> von seltener Wirkung. L. von Hagen in München theilt mit Becker die Fähigkeit und Kunst solcher Schilderungen der Lebenserscheinung gewisser Epochen. Nur beschränkt das sich bei ihm nach meiner Erfahrung fast allein auf die des eigentlichen Noccoco. Zahlreiche und sehr reizende Bilder der Art sind von ihm bekannt geworden. In Ton und Farbe gehört das hier ausgestellte, das er „Siesta" betitelt, zu den feinsten, die er je gemalt und in dieser Gruppe von zwei jungen eleganten Damen, die am Sommernachmittag auf der Terrasse eines Gartens sitzend mit einem alten Herrn behaglich plaudern, fühlt man den zarten Duft, die Blu¬ me des Noccoco. Das schließt aber nicht aus, daß die Gestalten unter sich in völlig unwahrscheinlichen Maßverhältnissen gezeichnet sind. Zwei einander ziemlich nahe verwandte berliner Künstler gehören noch hierher: Franz Meyer¬ heim, der älteste Sohn des altberühmten Genrcmalcrs, und Fritz Werner, der bekannte Kupferstecher und Zeichner, der seit zwei Jahren den Grabstichel mit dem Pinsel vertauscht hat. Beide malen nur in ganz kleinen Formaten, beide sind nicht eigentlich erfindungsreich, beide sind mit gutem Erfolg bestrebt, jener Menschen und Lebenseinrichtungen des späten Mittelalters, dieser des vorigen Jahrhunderts in möglichst historischer Nichtigkeit und weitgehender Detailaus¬ führung in ihren Gemälden zu schildern; beide verbinden mit gutem Farbensinn eine außerordentlich scharf und fein charakterisirende Zeichnung, die bei Werner zuweilen der vollendeten Präcision eines Maissonnier nahe kommt. Meyerheims kleines Gemälde des Kardinals, dem in seinem Arbeitszimmer ein junger Page

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/318>, abgerufen am 01.07.2024.