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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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richtige Liebe und schwere Trauer zittert. Ein Bild des "Untergangs der
Franzosen an der Katzbach", von Dellfs, frappirt durch seinen ganz vorzüg¬
lichen Gesammtton, die düstre Energie seiner Farbe und den darin erreichten
starken Eindruck eines ungeheuren rettungslosen Fluchtgewirrs und Schlachten-
Verderbens, ein Eindruck, der freilich kaum einen Augenblick über die Unzulänglich¬
keit der einzelnen Gestalten täuschen kann. Der deutsche "Schlachtenmaler" par
<zxeollör>e<z, Georg Bleibtreu, fehlt diesmal unter den Ausstellern, durch Ar¬
beiten für den Kunstverlag seit längerer Zeit nur zu sehr in Anspruch genommen.

Ein eigenthümliches Genre für sich hat sieh einer unsrer meistgenannten
und begabtesten Künstler, Gustav Spangenberg erwählt oder gewissermaßen
begnmdet. Das Reich des Dämonischen, des Sagen- und spukhaften ist sein
Darstellungsgebiet. Und er versteht es, seine Gestalten mit dem ganzen
geheimnißvollen, ahnungsreicher Reiz dieser Traum- und Zaubersphäre zu
schmücken und des Beschauers Phantasie in sie hineinzuziehn. Rein als
Malerei betrachtet, hat er uns bereits vollendetere Arbeiten gebracht, als diese
Frau Perchta mit den Heimchen, welche das Saalthai verlassend, wo sie lange
gewohnt, in der aufsteigenden Mondnacht sich vom alten Fährmann über den
schitsigc>, Fluß fahren lassen. An märchenhafter Stimmungspvesie kommt es
dem Besten gleich, was Spangenberg überhaupt geschaffen. Immer wird die
vollkommene Verkörperung solcher Aufgaben durch die Malerei an einer gewissen
Unmöglichkeit scheitern, dem schattenhaften, Wesenlosen. Unwirklichen die rechte
farbige Gestalt zu geben, welche wieder nicht die der Realität selbst sein darf.
Wenn der Maler dabei z, B. in den nackten Kinderkörperchen dieser Heimchen
gewissen kaltrosig-grauen Tönen verfällt, die in natürlichen Kindcrflcisch kein
Vorbild finden, so kann gegen seine Begründung kaum etwas entgegnet werden,
da er ja auch keine wirklichen Kinder, sondern eben Heimchen, die Seelen
verstorbener Kinder malen wollte, welche der Mutter und Königin Perchta
bekanntlich die Thränenkrüglein nachschleppen, in welche die von den Müttern
daheim um die Geschiedenen vergoßnen Thränen gesammelt werden. Doch was
man hier und da aussetzen möge: die Erscheinung dieser hohen, traurig und
lieblich zugleich blickenden weißen Frau mit ihrem rührenden Gefolge im Nachen,
den der selbst ganz traumhaft dreinstarrende.-.alte Fährmann lenkt, und rings¬
um diese abenddämmerige Landschaft, der dunkle Wald mit den andern der
Ueberfahrt harrenden Kindern, die Schifferhütte, das buschige Flußufer geben
ein Ganzes, das von märchenhafter Poesie erfüllt ist und die Stimmung un¬
mittelbar im Beschauer hervorruft, aus der heraus es der Künstler erzeugte.

Ehedem waren Bilder aus und zu berühmten Dichtungen bei Künstlern
und Käufern sehr beliebt. Heute überläßt man mit vollem Recht dies Feld
lieber der Illustration, die dort weit mehr in ihrem Element ist, als die eigent¬
liche Malerer. Aber statt der Dichtung bemächtigt sich diese nun um so mehr


richtige Liebe und schwere Trauer zittert. Ein Bild des „Untergangs der
Franzosen an der Katzbach", von Dellfs, frappirt durch seinen ganz vorzüg¬
lichen Gesammtton, die düstre Energie seiner Farbe und den darin erreichten
starken Eindruck eines ungeheuren rettungslosen Fluchtgewirrs und Schlachten-
Verderbens, ein Eindruck, der freilich kaum einen Augenblick über die Unzulänglich¬
keit der einzelnen Gestalten täuschen kann. Der deutsche „Schlachtenmaler" par
<zxeollör>e<z, Georg Bleibtreu, fehlt diesmal unter den Ausstellern, durch Ar¬
beiten für den Kunstverlag seit längerer Zeit nur zu sehr in Anspruch genommen.

Ein eigenthümliches Genre für sich hat sieh einer unsrer meistgenannten
und begabtesten Künstler, Gustav Spangenberg erwählt oder gewissermaßen
begnmdet. Das Reich des Dämonischen, des Sagen- und spukhaften ist sein
Darstellungsgebiet. Und er versteht es, seine Gestalten mit dem ganzen
geheimnißvollen, ahnungsreicher Reiz dieser Traum- und Zaubersphäre zu
schmücken und des Beschauers Phantasie in sie hineinzuziehn. Rein als
Malerei betrachtet, hat er uns bereits vollendetere Arbeiten gebracht, als diese
Frau Perchta mit den Heimchen, welche das Saalthai verlassend, wo sie lange
gewohnt, in der aufsteigenden Mondnacht sich vom alten Fährmann über den
schitsigc>, Fluß fahren lassen. An märchenhafter Stimmungspvesie kommt es
dem Besten gleich, was Spangenberg überhaupt geschaffen. Immer wird die
vollkommene Verkörperung solcher Aufgaben durch die Malerei an einer gewissen
Unmöglichkeit scheitern, dem schattenhaften, Wesenlosen. Unwirklichen die rechte
farbige Gestalt zu geben, welche wieder nicht die der Realität selbst sein darf.
Wenn der Maler dabei z, B. in den nackten Kinderkörperchen dieser Heimchen
gewissen kaltrosig-grauen Tönen verfällt, die in natürlichen Kindcrflcisch kein
Vorbild finden, so kann gegen seine Begründung kaum etwas entgegnet werden,
da er ja auch keine wirklichen Kinder, sondern eben Heimchen, die Seelen
verstorbener Kinder malen wollte, welche der Mutter und Königin Perchta
bekanntlich die Thränenkrüglein nachschleppen, in welche die von den Müttern
daheim um die Geschiedenen vergoßnen Thränen gesammelt werden. Doch was
man hier und da aussetzen möge: die Erscheinung dieser hohen, traurig und
lieblich zugleich blickenden weißen Frau mit ihrem rührenden Gefolge im Nachen,
den der selbst ganz traumhaft dreinstarrende.-.alte Fährmann lenkt, und rings¬
um diese abenddämmerige Landschaft, der dunkle Wald mit den andern der
Ueberfahrt harrenden Kindern, die Schifferhütte, das buschige Flußufer geben
ein Ganzes, das von märchenhafter Poesie erfüllt ist und die Stimmung un¬
mittelbar im Beschauer hervorruft, aus der heraus es der Künstler erzeugte.

Ehedem waren Bilder aus und zu berühmten Dichtungen bei Künstlern
und Käufern sehr beliebt. Heute überläßt man mit vollem Recht dies Feld
lieber der Illustration, die dort weit mehr in ihrem Element ist, als die eigent¬
liche Malerer. Aber statt der Dichtung bemächtigt sich diese nun um so mehr


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[0316] richtige Liebe und schwere Trauer zittert. Ein Bild des „Untergangs der Franzosen an der Katzbach", von Dellfs, frappirt durch seinen ganz vorzüg¬ lichen Gesammtton, die düstre Energie seiner Farbe und den darin erreichten starken Eindruck eines ungeheuren rettungslosen Fluchtgewirrs und Schlachten- Verderbens, ein Eindruck, der freilich kaum einen Augenblick über die Unzulänglich¬ keit der einzelnen Gestalten täuschen kann. Der deutsche „Schlachtenmaler" par <zxeollör>e<z, Georg Bleibtreu, fehlt diesmal unter den Ausstellern, durch Ar¬ beiten für den Kunstverlag seit längerer Zeit nur zu sehr in Anspruch genommen. Ein eigenthümliches Genre für sich hat sieh einer unsrer meistgenannten und begabtesten Künstler, Gustav Spangenberg erwählt oder gewissermaßen begnmdet. Das Reich des Dämonischen, des Sagen- und spukhaften ist sein Darstellungsgebiet. Und er versteht es, seine Gestalten mit dem ganzen geheimnißvollen, ahnungsreicher Reiz dieser Traum- und Zaubersphäre zu schmücken und des Beschauers Phantasie in sie hineinzuziehn. Rein als Malerei betrachtet, hat er uns bereits vollendetere Arbeiten gebracht, als diese Frau Perchta mit den Heimchen, welche das Saalthai verlassend, wo sie lange gewohnt, in der aufsteigenden Mondnacht sich vom alten Fährmann über den schitsigc>, Fluß fahren lassen. An märchenhafter Stimmungspvesie kommt es dem Besten gleich, was Spangenberg überhaupt geschaffen. Immer wird die vollkommene Verkörperung solcher Aufgaben durch die Malerei an einer gewissen Unmöglichkeit scheitern, dem schattenhaften, Wesenlosen. Unwirklichen die rechte farbige Gestalt zu geben, welche wieder nicht die der Realität selbst sein darf. Wenn der Maler dabei z, B. in den nackten Kinderkörperchen dieser Heimchen gewissen kaltrosig-grauen Tönen verfällt, die in natürlichen Kindcrflcisch kein Vorbild finden, so kann gegen seine Begründung kaum etwas entgegnet werden, da er ja auch keine wirklichen Kinder, sondern eben Heimchen, die Seelen verstorbener Kinder malen wollte, welche der Mutter und Königin Perchta bekanntlich die Thränenkrüglein nachschleppen, in welche die von den Müttern daheim um die Geschiedenen vergoßnen Thränen gesammelt werden. Doch was man hier und da aussetzen möge: die Erscheinung dieser hohen, traurig und lieblich zugleich blickenden weißen Frau mit ihrem rührenden Gefolge im Nachen, den der selbst ganz traumhaft dreinstarrende.-.alte Fährmann lenkt, und rings¬ um diese abenddämmerige Landschaft, der dunkle Wald mit den andern der Ueberfahrt harrenden Kindern, die Schifferhütte, das buschige Flußufer geben ein Ganzes, das von märchenhafter Poesie erfüllt ist und die Stimmung un¬ mittelbar im Beschauer hervorruft, aus der heraus es der Künstler erzeugte. Ehedem waren Bilder aus und zu berühmten Dichtungen bei Künstlern und Käufern sehr beliebt. Heute überläßt man mit vollem Recht dies Feld lieber der Illustration, die dort weit mehr in ihrem Element ist, als die eigent¬ liche Malerer. Aber statt der Dichtung bemächtigt sich diese nun um so mehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/316>, abgerufen am 22.07.2024.