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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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gelieferten Werkes in einer gewissen Entfernung als im Angesichte Deutschlands
abzuwarten.

Es war stark in die Trompete gestoßen worden. Wir waren auf große
Dinge, unerhörte Erschlösse, völlig neue Entdeckungen gespannt. Die bisherige
Rechtsüberzeugung könnte, Jahrzehnte hindurch von der deutschen Wissenschaft
aufgebaut und gefestigt, vielfach im letzten Jahre geprüft und verstärkt, aller¬
dings nur durch ein Wunder umgestoßen werden, aber es schien, als ob man
hinter dem Vorgang in Oldenburg wirklich etwas der Art wie ein Wunder
bereit hielte, und so geschah es, daß hier und da selbst genaue Kenner der Sache
einigermaßen ängstlicher Erwartung verfielen. Es war nichts weniger als wahr¬
scheinlich, daß dem Scharfblick der Historiker und Staatsrechtslehrer eine bedeu¬
tungsvolle Thatsache entgangen war. die. wenn sie bekannt wurde, ihren ge¬
meinsamen Bau, in seinen Fundamenten erschüttern konnte, aber es war immer¬
hin nicht völlig unmöglich, daß eine hinter sieben Schlüssellöchern abgeschlossene
geheime Transact'lo", jetzt aus den Archiven ans Licht gezogen, das Eine und
das Andere zu verschieben geeignet war. Nichts von dem Allen: -- die jetzt
dem deutschen Bundestag vorliegende Denkschrift, welche beweisen soll, daß der
Kaiser von Rußland dem Großherzog von Oldenburg wirklich actuelle, unmittel¬
bar wirksame Rechte auf die Erbfolge in Schleswig-Holstein abgetreten habe,
enthält so gut wie gar nichts Neues und am wenigsten neue That¬
sachen, sondern versucht lediglich mit Interpretationskünsten zu Recht
zu machen, was wir bisher für kein Recht hielten.

Und selbst diese Jnterpretationstnnstc sind nicht neu, was auch gewisse ge¬
fällige Blätter sich von "unerwarteten", "neues Licht verbreitenden" und "zu
neuer Prüfung des Ncchtsverhäliuisses auffordernden Argumenten" >n der Denk¬
schrift berichten ließen. Die letztere ist in der Hauptsache nichts Anderes als
eine von Pernice junior besorgte neue Auflage des Rechtsgutachtenö, welches
Pernice "eriivr 1851 im Auftrage des Herrn von Manteuffel verfaßte, um Kö¬
nig Friedrich Wilhelm dem Vierten die Gewissensscrupel hmwegzureden. die ihn
vor Unterzeichnung des londoner Protokolls warnten -- eine neue Auflage,
dein neuen Zwecke adaptirt, beträchtlich vermehrt, aber nur verbreitert, nicht
Verbessert.

Die Vier Schlußergebnisse der Denkschrift enthalten etwa folgende Behaup¬
tungen: 1) Die Erbberechtigung des Hauses Augustenburg ist im Allgemeinen anzu¬
erkennen. 2) Aber die gottvrfcr Linie hat, obgleich sie die entferntere ist, in
Ansehung der Erbfolgeordnung ein näheres Recht. "Denn die Erbfolgeordnung
ist nicht die des gemeinen Rechts, sondern trifft auf Grund der letzten positiven
Ausübung des verfassungsmäßigen ständischen Wahlrechts im Jahre 1676, sowie
nach Maßgabe der bis zum Jahre 1773 in fortdauernder Wirksamkeit gewe¬
senen (!) Communionsverhältnisse und der correlaten königlichen und kaiser-


gelieferten Werkes in einer gewissen Entfernung als im Angesichte Deutschlands
abzuwarten.

Es war stark in die Trompete gestoßen worden. Wir waren auf große
Dinge, unerhörte Erschlösse, völlig neue Entdeckungen gespannt. Die bisherige
Rechtsüberzeugung könnte, Jahrzehnte hindurch von der deutschen Wissenschaft
aufgebaut und gefestigt, vielfach im letzten Jahre geprüft und verstärkt, aller¬
dings nur durch ein Wunder umgestoßen werden, aber es schien, als ob man
hinter dem Vorgang in Oldenburg wirklich etwas der Art wie ein Wunder
bereit hielte, und so geschah es, daß hier und da selbst genaue Kenner der Sache
einigermaßen ängstlicher Erwartung verfielen. Es war nichts weniger als wahr¬
scheinlich, daß dem Scharfblick der Historiker und Staatsrechtslehrer eine bedeu¬
tungsvolle Thatsache entgangen war. die. wenn sie bekannt wurde, ihren ge¬
meinsamen Bau, in seinen Fundamenten erschüttern konnte, aber es war immer¬
hin nicht völlig unmöglich, daß eine hinter sieben Schlüssellöchern abgeschlossene
geheime Transact'lo», jetzt aus den Archiven ans Licht gezogen, das Eine und
das Andere zu verschieben geeignet war. Nichts von dem Allen: — die jetzt
dem deutschen Bundestag vorliegende Denkschrift, welche beweisen soll, daß der
Kaiser von Rußland dem Großherzog von Oldenburg wirklich actuelle, unmittel¬
bar wirksame Rechte auf die Erbfolge in Schleswig-Holstein abgetreten habe,
enthält so gut wie gar nichts Neues und am wenigsten neue That¬
sachen, sondern versucht lediglich mit Interpretationskünsten zu Recht
zu machen, was wir bisher für kein Recht hielten.

Und selbst diese Jnterpretationstnnstc sind nicht neu, was auch gewisse ge¬
fällige Blätter sich von „unerwarteten", „neues Licht verbreitenden" und „zu
neuer Prüfung des Ncchtsverhäliuisses auffordernden Argumenten" >n der Denk¬
schrift berichten ließen. Die letztere ist in der Hauptsache nichts Anderes als
eine von Pernice junior besorgte neue Auflage des Rechtsgutachtenö, welches
Pernice «eriivr 1851 im Auftrage des Herrn von Manteuffel verfaßte, um Kö¬
nig Friedrich Wilhelm dem Vierten die Gewissensscrupel hmwegzureden. die ihn
vor Unterzeichnung des londoner Protokolls warnten — eine neue Auflage,
dein neuen Zwecke adaptirt, beträchtlich vermehrt, aber nur verbreitert, nicht
Verbessert.

Die Vier Schlußergebnisse der Denkschrift enthalten etwa folgende Behaup¬
tungen: 1) Die Erbberechtigung des Hauses Augustenburg ist im Allgemeinen anzu¬
erkennen. 2) Aber die gottvrfcr Linie hat, obgleich sie die entferntere ist, in
Ansehung der Erbfolgeordnung ein näheres Recht. „Denn die Erbfolgeordnung
ist nicht die des gemeinen Rechts, sondern trifft auf Grund der letzten positiven
Ausübung des verfassungsmäßigen ständischen Wahlrechts im Jahre 1676, sowie
nach Maßgabe der bis zum Jahre 1773 in fortdauernder Wirksamkeit gewe¬
senen (!) Communionsverhältnisse und der correlaten königlichen und kaiser-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/310>, abgerufen am 22.07.2024.