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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Stellungen aus dem Leben des Täufers und des Evangelisten zwei Werke der
künstlerischen Reife Giottos doch zum mindesten in halb enthüllter Schöne wie¬
der vor uns. Die schwere Uebermalung der Hintergründe hat zwar der per¬
spektivischen Wirkung sowie den feineren Silhouetten stellenweis arg mitgespielt,
aber die Grazie der Zeichnung und die kräftige Intention der Formen hat trotz
der lädirten Farbe der Figuren ihre Beredsamkeit nicht verloren. Die Episoden
aus dem Leben des Zacharias und der Elisabeth zeigen bei der strengsten
Bibeltrcue eine Classicität der Composition, in der sich Giotto fast nirgends
übertreffen hat. Es begegnen uns hier Männer- und Frauengestalten, die hin
und wieder geradezu an antike Würde und Anmuth erinnern; so z. B. in der
Darstellung der Geburt des Täufers. Vom Tanze der Herodias sind fast nur
die Konturen erhalten, aber für die Klarheit und Feinheit der Composition,
für die sinnige, jugendliche Frische der Empfindung legt das Bild ein herr¬
liches Zeugniß ab. Ebenbürtig, ja mit Ausnahme des Bildes der Vision noch
bedeutender als die eben bezeichnete steht die zweite Reihe von Compositionen
neben dieser ersten. Vorzugsweise die Auferweckung der Drustana und noch
mehr die Himmelfahrt des Evangelisten Johannes. Wie die Engel, welche den durch
die Decke der Kirche hcrniedcrschwebcnden Heiland begleiten, dem greisen Apostel
behilflich sind, emporzusteigen; wie der Eindruck der lnmmlischen Glorie und
des werdenden Wunders in den Geberden der Zurückbleibenden sich abspiegelt,
das alles entfaltet eine Fülle von Lcbensbeobachtung und von echt künstlerischem
Tact, welcher in diesem Zeitalter mit wahrhafter Bewunderung wahrgenommen
wird.

Giotto hat in Sta. Croce noch drei andere Kapellen ausgemalt; zwei da¬
von, die der Giugni und der Tvsinghi-Spinclli, sind noch heute unter der Tünche
begraben; die der Bardi zeigt die Geschichte des heiligen Franz in hoher Ein¬
fachheit und in vollendeterer BeHandlungsweise wie zu AM. Wir beschränken
uns hier auf die Notiz zur Feststellung der Chronologie dieser Werke. Cesare
Guasti hat mit vollem Recht die Angabe des stets unterrichteten Vasari bezwei¬
felt, der zufolge ihre Ausführung den Bildern von Assisi zeitlich sehr nahe stünde.
Zieht man aber die äußerlichen Data, die wir über die Verhältnisse der Dona¬
toren u. a. haben, vergleichend in Rechnung, so wird es sehr wahrscheinlich,
daß sie nicht vor 1307 in Angriff genommen sind, ein Zeitpunkt, der ohnge-
fähr auch für die Peruzzitapelle passen wird. Zu dem berühmten großen Al¬
tarbilde der Krönung Marias in der Baroncellil'apelle, auf welches wir nicht
näher eingehen wollen, ist zu bemerken, daß wir eines sicheren Anhaltes für
seine Datirung entbehren. Die ausdrückliche Inschrift, von der Vasari spricht,
ist so, wie er davon redet, nicht mehr zu finden. Die Tafeln haben eine Um¬
stellung erlitten, wobei das Mittelstück oben verkürzt worden ist. Neben der
alten Stelle sieht man nur die hinsichtlich ihres Alters nicht ganz unverdächtigen


Stellungen aus dem Leben des Täufers und des Evangelisten zwei Werke der
künstlerischen Reife Giottos doch zum mindesten in halb enthüllter Schöne wie¬
der vor uns. Die schwere Uebermalung der Hintergründe hat zwar der per¬
spektivischen Wirkung sowie den feineren Silhouetten stellenweis arg mitgespielt,
aber die Grazie der Zeichnung und die kräftige Intention der Formen hat trotz
der lädirten Farbe der Figuren ihre Beredsamkeit nicht verloren. Die Episoden
aus dem Leben des Zacharias und der Elisabeth zeigen bei der strengsten
Bibeltrcue eine Classicität der Composition, in der sich Giotto fast nirgends
übertreffen hat. Es begegnen uns hier Männer- und Frauengestalten, die hin
und wieder geradezu an antike Würde und Anmuth erinnern; so z. B. in der
Darstellung der Geburt des Täufers. Vom Tanze der Herodias sind fast nur
die Konturen erhalten, aber für die Klarheit und Feinheit der Composition,
für die sinnige, jugendliche Frische der Empfindung legt das Bild ein herr¬
liches Zeugniß ab. Ebenbürtig, ja mit Ausnahme des Bildes der Vision noch
bedeutender als die eben bezeichnete steht die zweite Reihe von Compositionen
neben dieser ersten. Vorzugsweise die Auferweckung der Drustana und noch
mehr die Himmelfahrt des Evangelisten Johannes. Wie die Engel, welche den durch
die Decke der Kirche hcrniedcrschwebcnden Heiland begleiten, dem greisen Apostel
behilflich sind, emporzusteigen; wie der Eindruck der lnmmlischen Glorie und
des werdenden Wunders in den Geberden der Zurückbleibenden sich abspiegelt,
das alles entfaltet eine Fülle von Lcbensbeobachtung und von echt künstlerischem
Tact, welcher in diesem Zeitalter mit wahrhafter Bewunderung wahrgenommen
wird.

Giotto hat in Sta. Croce noch drei andere Kapellen ausgemalt; zwei da¬
von, die der Giugni und der Tvsinghi-Spinclli, sind noch heute unter der Tünche
begraben; die der Bardi zeigt die Geschichte des heiligen Franz in hoher Ein¬
fachheit und in vollendeterer BeHandlungsweise wie zu AM. Wir beschränken
uns hier auf die Notiz zur Feststellung der Chronologie dieser Werke. Cesare
Guasti hat mit vollem Recht die Angabe des stets unterrichteten Vasari bezwei¬
felt, der zufolge ihre Ausführung den Bildern von Assisi zeitlich sehr nahe stünde.
Zieht man aber die äußerlichen Data, die wir über die Verhältnisse der Dona¬
toren u. a. haben, vergleichend in Rechnung, so wird es sehr wahrscheinlich,
daß sie nicht vor 1307 in Angriff genommen sind, ein Zeitpunkt, der ohnge-
fähr auch für die Peruzzitapelle passen wird. Zu dem berühmten großen Al¬
tarbilde der Krönung Marias in der Baroncellil'apelle, auf welches wir nicht
näher eingehen wollen, ist zu bemerken, daß wir eines sicheren Anhaltes für
seine Datirung entbehren. Die ausdrückliche Inschrift, von der Vasari spricht,
ist so, wie er davon redet, nicht mehr zu finden. Die Tafeln haben eine Um¬
stellung erlitten, wobei das Mittelstück oben verkürzt worden ist. Neben der
alten Stelle sieht man nur die hinsichtlich ihres Alters nicht ganz unverdächtigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/30>, abgerufen am 01.07.2024.