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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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drei Brände von 1394, 1367 und 1749 stehen gelassen hoben, reicht nur aus,
um seine Autorschaft im Allgemeinen zu beglaubigen. Die Feststellung des
Details erschwert wetteifernd mit jenem Mißgeschick das Ungeschick der Restau¬
ration. Bemerkenswerte) jedoch , weil charakteristisch für die dramatische Tendenz
seiner damaligen Periode, ist die Auffassung der Maria in dem kleinen Bilde
der Verkündigung, woselbst der p'oysivgnomische Ausdruck der Überraschung bei
der Jungfrau noch durch schreckhaftes Emporstrecken der Arme gesteigert ist.

Das Zeugniß eines an sich unverdächtigen, wenigstens zeitgenössischen
Schriftstellers Niccobaldo Ferrarese 1313) schreibt dem "Zotus". wie der
Meister hier genannt wird, auch die Ausschmückung des großen Salome zu,
dessen phantastische astrologische Symbolik schon manchem Ausleger Kopfzerbrechen
gemacht hat. An einer Stelle begegnen wir denn auch dem Namen Giottos
wirklich. Nichts desto weniger steht so viel fest, daß von den Fresken, welche heute
sichtbar sind, keine einzige die Hand des großen Florentiners aufweist. Sie
rühren offenbar von verschiedenen Urhebern her, von denen einige unter dem
Einfluß der spätgiottesken Manier gestanden haben. Ebensowenig lassen sich
Bestätigungen finden für das, was Giotto in Verona für Can Grande und in
Ferrara für die Este gemalt haben soll. Von den Orten ferner, welche Vasari
in Ravenna als Stätten seiner Arbeit angiebt, schweigt der eine ebenso; denn
die Kirche des heiligen Franziskus existirt nicht mehr; wohl aber finden sich
unzweifelhaft echte Fresken von ihm in der Kirche Se. Giovanni Evangelist"
daselbst an der Decke der ersten .Kapelle links, wo wir in den Feldern eines
durch Diagonalen getheilten Rechtecks, dessen Mittelpunkt ein Medaillon mit
Lamm und Kreuz zeigt, die vier Doctoren der Kirche und die Evangelisten auf
dem Hintergrunde eines Sternenhimmels sehen; freilich nicht ganz wie sie aus
dem Pinsel Giottos hervorgingen, denn Uebermalung fehlt auch hier nicht.
Alles andre, w"s sonst in und bei Ravenna, sowie was in Pomposa nach ihm
benannt wird, gehört Künstlern an, die entschieden tiefer stehen als er.

In die Schuld der schrecklichen Zerstörungen durch Erhaltung, wie man
das unglückselige Nestaurationssieber in Italien bezeichnen muß, theilen sich die
unverständigen Mäcenaten, die sie veranstalteten, mit dem unverständigen Publi-
cum, welches sie litt. Fast in allen den Inschriften. die spätere Kunstbefördercr
dieses vermeintlichen Verdienstes prahlend anklagen, haben wir das vollzogene
Todesurtheil irgendwelches kostbaren Wertes echter Kunst zu lesen, dessen Sühne
Wenigstens teilweise durch Wiederherstellung zu vollziehen erst dem Geschick und
der Einsicht der jüngste" Zeit gelungctt ist. So wurde erst im Jahr 1841,
Welches für Giottos florentinische Verlassenschaften denkwürdig bleibt, sein edler
Fresken-Palimpsest entziffert, welcher in der Peruzzikapelle zu Sta. Croce in
Florenz die Scenen aus dem Leben der beiden heiligen Johannes enthält.
Die Rettung wurde fortgesetzt und 1863 vollendet. Jetzt stehen in den Dar-


Grenzbotm IV. I8K4. 4

drei Brände von 1394, 1367 und 1749 stehen gelassen hoben, reicht nur aus,
um seine Autorschaft im Allgemeinen zu beglaubigen. Die Feststellung des
Details erschwert wetteifernd mit jenem Mißgeschick das Ungeschick der Restau¬
ration. Bemerkenswerte) jedoch , weil charakteristisch für die dramatische Tendenz
seiner damaligen Periode, ist die Auffassung der Maria in dem kleinen Bilde
der Verkündigung, woselbst der p'oysivgnomische Ausdruck der Überraschung bei
der Jungfrau noch durch schreckhaftes Emporstrecken der Arme gesteigert ist.

Das Zeugniß eines an sich unverdächtigen, wenigstens zeitgenössischen
Schriftstellers Niccobaldo Ferrarese 1313) schreibt dem „Zotus". wie der
Meister hier genannt wird, auch die Ausschmückung des großen Salome zu,
dessen phantastische astrologische Symbolik schon manchem Ausleger Kopfzerbrechen
gemacht hat. An einer Stelle begegnen wir denn auch dem Namen Giottos
wirklich. Nichts desto weniger steht so viel fest, daß von den Fresken, welche heute
sichtbar sind, keine einzige die Hand des großen Florentiners aufweist. Sie
rühren offenbar von verschiedenen Urhebern her, von denen einige unter dem
Einfluß der spätgiottesken Manier gestanden haben. Ebensowenig lassen sich
Bestätigungen finden für das, was Giotto in Verona für Can Grande und in
Ferrara für die Este gemalt haben soll. Von den Orten ferner, welche Vasari
in Ravenna als Stätten seiner Arbeit angiebt, schweigt der eine ebenso; denn
die Kirche des heiligen Franziskus existirt nicht mehr; wohl aber finden sich
unzweifelhaft echte Fresken von ihm in der Kirche Se. Giovanni Evangelist»
daselbst an der Decke der ersten .Kapelle links, wo wir in den Feldern eines
durch Diagonalen getheilten Rechtecks, dessen Mittelpunkt ein Medaillon mit
Lamm und Kreuz zeigt, die vier Doctoren der Kirche und die Evangelisten auf
dem Hintergrunde eines Sternenhimmels sehen; freilich nicht ganz wie sie aus
dem Pinsel Giottos hervorgingen, denn Uebermalung fehlt auch hier nicht.
Alles andre, w"s sonst in und bei Ravenna, sowie was in Pomposa nach ihm
benannt wird, gehört Künstlern an, die entschieden tiefer stehen als er.

In die Schuld der schrecklichen Zerstörungen durch Erhaltung, wie man
das unglückselige Nestaurationssieber in Italien bezeichnen muß, theilen sich die
unverständigen Mäcenaten, die sie veranstalteten, mit dem unverständigen Publi-
cum, welches sie litt. Fast in allen den Inschriften. die spätere Kunstbefördercr
dieses vermeintlichen Verdienstes prahlend anklagen, haben wir das vollzogene
Todesurtheil irgendwelches kostbaren Wertes echter Kunst zu lesen, dessen Sühne
Wenigstens teilweise durch Wiederherstellung zu vollziehen erst dem Geschick und
der Einsicht der jüngste» Zeit gelungctt ist. So wurde erst im Jahr 1841,
Welches für Giottos florentinische Verlassenschaften denkwürdig bleibt, sein edler
Fresken-Palimpsest entziffert, welcher in der Peruzzikapelle zu Sta. Croce in
Florenz die Scenen aus dem Leben der beiden heiligen Johannes enthält.
Die Rettung wurde fortgesetzt und 1863 vollendet. Jetzt stehen in den Dar-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/29>, abgerufen am 01.07.2024.