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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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erbaut habe, wird schwer zu beweisen sein, so sehr auch die meisterhafte Confor-
mität, welche das Innere des Raumes mit dem malerischen Schmucke zeigt,
diese Annahme unterstützen mag. Die Conception des Ganzen weist eine bis
dahin unerhörte organische Geschlossenheit und eine Durchführung auf, welche den
jugendlichen Meister gleich groß als Dichter wie als Maler erscheinen läßt. In
der Geschichte des Gedankenganges, der seit den Anfängen christlicher Kunst
die Ausschmückung der Kirchen leitete, nimmt dieses Werk einen bedeutsamen
Platz ein. Denn es bezeichnet einen sehr bemerkenswerthen Fortschritt in der
Verherrlichung der reinchristlichen Tradition im Gegensatz zu der gesammt-
biblischen, welche bisher vorwaltete. Hier nimmt die Darstellung des Erlösers
in der Rangordnung der Gegenstände den vornehmsten Platz ein; daneben erst
die Jungfrau mit dem Engel der Verkündigung; zu den Seiten Scenen aus¬
schließlich aus dem neuen Testament; unter diesen reihen sich die Allegorien
der christlichen Tugenden und der Laster. Während die letzteren sujets noch
in Assisi in die Deckenornamente verwiesen waren, wird jetzt diese vermögeihrer
Eigenschaft als Moment der Verbindung und Unterstützung zwar wichtige,
aber im Ganzen doch untergeordnete Stelle vielmehr für Momente aus dem
alten Testament benutzt. Die Idee der Erlösung durch den Opfertod Christi
für die Sünden der Welt kam bei dieser Anordnung reiner und voller als je¬
mals zur Anschauung.

Als das Genialste und Eigenthümlichste in dem großen Cyklus der Arena
behaupten sich die grau in grau gemalten allegorischen Darstellungen der Tugenden
und Laster, denen auch ein architektonisch hervortretender Platz gegeben ist. Hier
in der That hört die Relativität als Maßstab der Würdigung fast auf. Die sinn¬
volle Erfindung, die erschöpfende und unmittelbar verständliche Symbolik, das er¬
greifende, nicht selten drastische Pathos dieser Figuren erregt die höchste Be¬
wunderung. Denn trotz aller Spuren traditioneller scholastischer Vorstellungen
waltet in der Formgebung Geschmack und künstlerische Phantasie in ungewöhn¬
lichem Maße. Wir erinnern nur beispielsweise an die Allegorisirung der Un¬
beständigkeit, welche ein Mädchen vorstellt, die vergeblich Versucht, sich auf einem
Rade aufrecht zu erhalten, das über glatten Marmor dahinläuft; der verlorene
Schleier flattert hinweg und erhöht die Wirkung des Beweglichen. Die Gestalt
der Gerechtigkeit ist umgeben von reliefartig gemalten Scenen behaglicher
Lustbarkeit und Werken des Friedens; Ungerechtigkeit, Geiz und Habsucht zu¬
gleich mit versinnbildcnd, sitzt in einer Festung, deren Zugang Bäume wehren.
Zur Folie dienen dieser Gestalt Reliefs, welche die scheußliche Unbill des
Krieges und die nächtlichen Verbrechen, Mord und Diebstahl zeigen: alles Züge
von echter künstlerischer Sinnlichkeit.

Daß Giotto im Santo zu Padua (d. i. an der Kirche des heiligen Antonius)
die sogenannte schöne Kapelle ausgemalt hat, ist zweifellos. Aber was die


erbaut habe, wird schwer zu beweisen sein, so sehr auch die meisterhafte Confor-
mität, welche das Innere des Raumes mit dem malerischen Schmucke zeigt,
diese Annahme unterstützen mag. Die Conception des Ganzen weist eine bis
dahin unerhörte organische Geschlossenheit und eine Durchführung auf, welche den
jugendlichen Meister gleich groß als Dichter wie als Maler erscheinen läßt. In
der Geschichte des Gedankenganges, der seit den Anfängen christlicher Kunst
die Ausschmückung der Kirchen leitete, nimmt dieses Werk einen bedeutsamen
Platz ein. Denn es bezeichnet einen sehr bemerkenswerthen Fortschritt in der
Verherrlichung der reinchristlichen Tradition im Gegensatz zu der gesammt-
biblischen, welche bisher vorwaltete. Hier nimmt die Darstellung des Erlösers
in der Rangordnung der Gegenstände den vornehmsten Platz ein; daneben erst
die Jungfrau mit dem Engel der Verkündigung; zu den Seiten Scenen aus¬
schließlich aus dem neuen Testament; unter diesen reihen sich die Allegorien
der christlichen Tugenden und der Laster. Während die letzteren sujets noch
in Assisi in die Deckenornamente verwiesen waren, wird jetzt diese vermögeihrer
Eigenschaft als Moment der Verbindung und Unterstützung zwar wichtige,
aber im Ganzen doch untergeordnete Stelle vielmehr für Momente aus dem
alten Testament benutzt. Die Idee der Erlösung durch den Opfertod Christi
für die Sünden der Welt kam bei dieser Anordnung reiner und voller als je¬
mals zur Anschauung.

Als das Genialste und Eigenthümlichste in dem großen Cyklus der Arena
behaupten sich die grau in grau gemalten allegorischen Darstellungen der Tugenden
und Laster, denen auch ein architektonisch hervortretender Platz gegeben ist. Hier
in der That hört die Relativität als Maßstab der Würdigung fast auf. Die sinn¬
volle Erfindung, die erschöpfende und unmittelbar verständliche Symbolik, das er¬
greifende, nicht selten drastische Pathos dieser Figuren erregt die höchste Be¬
wunderung. Denn trotz aller Spuren traditioneller scholastischer Vorstellungen
waltet in der Formgebung Geschmack und künstlerische Phantasie in ungewöhn¬
lichem Maße. Wir erinnern nur beispielsweise an die Allegorisirung der Un¬
beständigkeit, welche ein Mädchen vorstellt, die vergeblich Versucht, sich auf einem
Rade aufrecht zu erhalten, das über glatten Marmor dahinläuft; der verlorene
Schleier flattert hinweg und erhöht die Wirkung des Beweglichen. Die Gestalt
der Gerechtigkeit ist umgeben von reliefartig gemalten Scenen behaglicher
Lustbarkeit und Werken des Friedens; Ungerechtigkeit, Geiz und Habsucht zu¬
gleich mit versinnbildcnd, sitzt in einer Festung, deren Zugang Bäume wehren.
Zur Folie dienen dieser Gestalt Reliefs, welche die scheußliche Unbill des
Krieges und die nächtlichen Verbrechen, Mord und Diebstahl zeigen: alles Züge
von echter künstlerischer Sinnlichkeit.

Daß Giotto im Santo zu Padua (d. i. an der Kirche des heiligen Antonius)
die sogenannte schöne Kapelle ausgemalt hat, ist zweifellos. Aber was die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/28>, abgerufen am 01.07.2024.