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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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lich gelitten worden sein, wäre dasselbe nicht zu einer Zeit ausgeführt, wo
sein Einfluß noch galt. Lehrreich ist ferner der Umstand, daß er nicht im
Kostüm der Priori erscheint, obwohl ihm die Nachbarschaft des Fürsten gegönnt
ist. Dem Concilium der Regenten aber hatte er im Sommer 1300 angehört,
seine Vertreibung erfolgte im Frühjahr 1302; so gewinnt sich der Zeitpunkt
des Bildes genau, wenn man hinzunimmt, daß Karl v. Valois am 1. November
1301 und Acquasparta ebenfalls im Winter dieses Jahres nach Florenz ge¬
kommen war.

Wichtiger für unsern Gesichtspunkt aber ist, daß die hier gegebenen
Porträts eine außerordentliche Vervollkommnung Mottos in der Kunst der In-
dividualisirung bezeichnen. Sie enthüllen den sichtbarsten Fortschritt des Meisters
seit Assisi und Rom und bilden den directen Vermittlungspunkt zur Periode
von Padua.

An dieser Stelle berichtigt unser Werk zunächt einen landläufigen Irrthum.
Die meisten Kunsthistoriker haben dem Vasari die Notiz nachgeschrieben, daß
Giotto in der Zwischenzeit zwischen dem Aufenthalt in Florenz und dem in
Padua nach Avignon gegangen sei und dort sowohl wie in andern Orten Frank¬
reichs zahlreiche Bilder ausgeführt habe, ein Factum, welches allerdings schon
della Volle in Zweifel zog. Unsere Autoren bringen den Beweis bei. daß Giotto
niemals Italien verlassen hat. Vasari hatte wieder läuten gehört aber nicht
zusammenschlagen. Denn die Sache verhielt sich folgender Maßen: Papst
Benedict der Elfte hatte Giotto allerdings in jener Zeit für ein sehr ansehnliches
Salär dazu engagirt. in Avignon eine Reihe von Darstellungen zum Leben der
Märtyrer zu malen. Aber ehe Giotto reisefertig war, trat der Tod des Papstes
zwischen Plan und Ausführung der Sache. Wie unser Werk sich überhaupt
selten daran genügen läßt das Falsche als solches zu erweisen, sondern das
Positiv Nichtige an seine Stelle seht, so auch hier; denn es wird weiterhin zur
Evidenz erhoben, daß die Fresken in der Kathedrale und im päpstlichen Palaste
zu Avignon von Simone Martins da Siena herrühren und daß sie um 1340
entstanden sind. Giottos Alibi würde sich übrigens schon aus dem Umstände
beweisen lassen, daß erst 1305 die Uebersiedlung des päpstlichen Hofes nach
Avignon erfolgte, während wir unsern Meister im folgenden Jahre schon in
Padua thätig finden. Ein knappes Jahr aber, wie diese Differenz ergiebt,
würde selbst für ihn nicht ausgereicht haben, um in Avignon und "sonst in
Frankreich" die ihm dort zugeschriebenen Gemälde zu vollenden. Das Datum
1306 für den Beginn seiner Thätigkeit in Sta Maria dell'Arena zu Padua
folgert sich aus der constatirten Gleichzeitigkeit des Aufenthalts von Dante in
dieser Stadt, wo er kurze Zeit verweilte, nachdem er im Januar 1306 Bologna
verlassen hatte.

.Die Behauptung, daß Giotto die Scrovegno-Kapelle in jener Kirche selbst


lich gelitten worden sein, wäre dasselbe nicht zu einer Zeit ausgeführt, wo
sein Einfluß noch galt. Lehrreich ist ferner der Umstand, daß er nicht im
Kostüm der Priori erscheint, obwohl ihm die Nachbarschaft des Fürsten gegönnt
ist. Dem Concilium der Regenten aber hatte er im Sommer 1300 angehört,
seine Vertreibung erfolgte im Frühjahr 1302; so gewinnt sich der Zeitpunkt
des Bildes genau, wenn man hinzunimmt, daß Karl v. Valois am 1. November
1301 und Acquasparta ebenfalls im Winter dieses Jahres nach Florenz ge¬
kommen war.

Wichtiger für unsern Gesichtspunkt aber ist, daß die hier gegebenen
Porträts eine außerordentliche Vervollkommnung Mottos in der Kunst der In-
dividualisirung bezeichnen. Sie enthüllen den sichtbarsten Fortschritt des Meisters
seit Assisi und Rom und bilden den directen Vermittlungspunkt zur Periode
von Padua.

An dieser Stelle berichtigt unser Werk zunächt einen landläufigen Irrthum.
Die meisten Kunsthistoriker haben dem Vasari die Notiz nachgeschrieben, daß
Giotto in der Zwischenzeit zwischen dem Aufenthalt in Florenz und dem in
Padua nach Avignon gegangen sei und dort sowohl wie in andern Orten Frank¬
reichs zahlreiche Bilder ausgeführt habe, ein Factum, welches allerdings schon
della Volle in Zweifel zog. Unsere Autoren bringen den Beweis bei. daß Giotto
niemals Italien verlassen hat. Vasari hatte wieder läuten gehört aber nicht
zusammenschlagen. Denn die Sache verhielt sich folgender Maßen: Papst
Benedict der Elfte hatte Giotto allerdings in jener Zeit für ein sehr ansehnliches
Salär dazu engagirt. in Avignon eine Reihe von Darstellungen zum Leben der
Märtyrer zu malen. Aber ehe Giotto reisefertig war, trat der Tod des Papstes
zwischen Plan und Ausführung der Sache. Wie unser Werk sich überhaupt
selten daran genügen läßt das Falsche als solches zu erweisen, sondern das
Positiv Nichtige an seine Stelle seht, so auch hier; denn es wird weiterhin zur
Evidenz erhoben, daß die Fresken in der Kathedrale und im päpstlichen Palaste
zu Avignon von Simone Martins da Siena herrühren und daß sie um 1340
entstanden sind. Giottos Alibi würde sich übrigens schon aus dem Umstände
beweisen lassen, daß erst 1305 die Uebersiedlung des päpstlichen Hofes nach
Avignon erfolgte, während wir unsern Meister im folgenden Jahre schon in
Padua thätig finden. Ein knappes Jahr aber, wie diese Differenz ergiebt,
würde selbst für ihn nicht ausgereicht haben, um in Avignon und „sonst in
Frankreich" die ihm dort zugeschriebenen Gemälde zu vollenden. Das Datum
1306 für den Beginn seiner Thätigkeit in Sta Maria dell'Arena zu Padua
folgert sich aus der constatirten Gleichzeitigkeit des Aufenthalts von Dante in
dieser Stadt, wo er kurze Zeit verweilte, nachdem er im Januar 1306 Bologna
verlassen hatte.

.Die Behauptung, daß Giotto die Scrovegno-Kapelle in jener Kirche selbst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/27>, abgerufen am 01.07.2024.