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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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das, Verfassungen vorhanden sind, deren einfacher Inhalt wirklich gar keinen
Schwerpunkt kenntlich macht. Alsdann muß das wirkliche Verfassungsleben
zeigen, wohin das Centrum der Gewalt zu fallen habe. Ein solches Gleich¬
gewicht oder eine solche Theilung der Gewalt, bei welcher man nicht wüßte,
>vo die eigentlich bewegende Kraft des Ganzen zu suchen ist, würde allerdings
eine unhaltbare Mißbildung sein. Gegen derartige Gebilde mag man die Ana¬
logien der Mechanik ins Feld führen, und man wird damit ebenso wenig Anstoß
erregen, als wenn man sich weigert, die Erfindung des Herrn Von Schmerling,
nämlich "den politischen Körper mit zwei Schwerpunkten" anzuerkennen, für
welchen Deutschland sich nehmen lassen soll.

So lange Comte die überlieferte Fürstengewalt als eine Consequenz der poli¬
tischen Theologie auffaßt, hängt er ihr allerdings eine Eigenschaft an, die den mo¬
dernen politischen Systemen widerspricht. Allein wer sagt ihm, daß die con-
stitutionellen Lehren diese Ansicht vertreten? Die Zustände und Theorien der
Restauration mochten ihm allerdings als Beispiel dienen. Aber schon das Juli¬
königthum stimmte nicht zu jeuer Vorstellungsart. Hierzu kommt nun aber noch
der entscheidende Umstand, daß der Gegensatz, den Comte zwischen der politischen
Theologie und der modernen Ableitungsart der Staatsgewalt aufreckt hält,
viel allgemeiner und von den religiösen Ansichten in einem gewissen Grade un¬
abhängig gemacht werden muß. Ja man sollte eigentlich sagen, daß dieser Ge¬
gensatz zwischen den zwei Stadien Comtes durch eine aus anderm Gesichtspunkt
hervorgehende Unterscheidung ersetzt werden müsse. Es giebt nämlich für alle
Zeiten und unter allen Verhältnissen eine doppelte Entstehungsart jedweder
Gattung von Autorität zu berücksichtigen. Einerseits ist es der übereinstimmende
Wille derer, die einer ordnenden Gewalt bedürfen, und andererseits ist es die
Initiative der überwiegenden Macht, was zur Errichtung von Herrschaften und
Staatsordnungen führt. Beide Principien mögen einander häusig entgegenkom¬
men; allein man darf ihre Verschiedenheit darum nicht bemänteln und sie etwa
in eine confuse Einheit oder einheitliche Confusion verschmelzen wollen. Wenn
es noch irgendeinen Grund giebt, in einem gewissen Maße Von einem eignen
Recht irgendeiner Art Autorität zu reden, so ist es die Initiative der Kraft,
die sich auf das Bedürfniß der Umstände und auf die Nothwendigkeit im Gange
der Dinge beruft. Uebrigens haben die allen so zu sagen innerlichen Vcgrün-
dungsarten der Staatsgewalt mit ihren Vertragsidcen noch immer einen guten
Sinn, wenn man dieselben nur nicht allzu äußerlich versieht und ihnen plumpe
Anschauungen unterschiebt, gegen die Von ihren Vertretern (z. B. Von Rousseau)
ausdrücklich protestirt wurde. Die Initiative der Kraft und der aus dem Be¬
dürfniß gleichsam Von unten entgegenkommende Wille werden den sehr Verträg¬
lichen Gegensatz, welcher der Errichtung fast aller Autorität zu Grunde liegt,
ausmachen und sogar die Befugniß geben, in einem gewissen beschränkten Sinne


das, Verfassungen vorhanden sind, deren einfacher Inhalt wirklich gar keinen
Schwerpunkt kenntlich macht. Alsdann muß das wirkliche Verfassungsleben
zeigen, wohin das Centrum der Gewalt zu fallen habe. Ein solches Gleich¬
gewicht oder eine solche Theilung der Gewalt, bei welcher man nicht wüßte,
>vo die eigentlich bewegende Kraft des Ganzen zu suchen ist, würde allerdings
eine unhaltbare Mißbildung sein. Gegen derartige Gebilde mag man die Ana¬
logien der Mechanik ins Feld führen, und man wird damit ebenso wenig Anstoß
erregen, als wenn man sich weigert, die Erfindung des Herrn Von Schmerling,
nämlich „den politischen Körper mit zwei Schwerpunkten" anzuerkennen, für
welchen Deutschland sich nehmen lassen soll.

So lange Comte die überlieferte Fürstengewalt als eine Consequenz der poli¬
tischen Theologie auffaßt, hängt er ihr allerdings eine Eigenschaft an, die den mo¬
dernen politischen Systemen widerspricht. Allein wer sagt ihm, daß die con-
stitutionellen Lehren diese Ansicht vertreten? Die Zustände und Theorien der
Restauration mochten ihm allerdings als Beispiel dienen. Aber schon das Juli¬
königthum stimmte nicht zu jeuer Vorstellungsart. Hierzu kommt nun aber noch
der entscheidende Umstand, daß der Gegensatz, den Comte zwischen der politischen
Theologie und der modernen Ableitungsart der Staatsgewalt aufreckt hält,
viel allgemeiner und von den religiösen Ansichten in einem gewissen Grade un¬
abhängig gemacht werden muß. Ja man sollte eigentlich sagen, daß dieser Ge¬
gensatz zwischen den zwei Stadien Comtes durch eine aus anderm Gesichtspunkt
hervorgehende Unterscheidung ersetzt werden müsse. Es giebt nämlich für alle
Zeiten und unter allen Verhältnissen eine doppelte Entstehungsart jedweder
Gattung von Autorität zu berücksichtigen. Einerseits ist es der übereinstimmende
Wille derer, die einer ordnenden Gewalt bedürfen, und andererseits ist es die
Initiative der überwiegenden Macht, was zur Errichtung von Herrschaften und
Staatsordnungen führt. Beide Principien mögen einander häusig entgegenkom¬
men; allein man darf ihre Verschiedenheit darum nicht bemänteln und sie etwa
in eine confuse Einheit oder einheitliche Confusion verschmelzen wollen. Wenn
es noch irgendeinen Grund giebt, in einem gewissen Maße Von einem eignen
Recht irgendeiner Art Autorität zu reden, so ist es die Initiative der Kraft,
die sich auf das Bedürfniß der Umstände und auf die Nothwendigkeit im Gange
der Dinge beruft. Uebrigens haben die allen so zu sagen innerlichen Vcgrün-
dungsarten der Staatsgewalt mit ihren Vertragsidcen noch immer einen guten
Sinn, wenn man dieselben nur nicht allzu äußerlich versieht und ihnen plumpe
Anschauungen unterschiebt, gegen die Von ihren Vertretern (z. B. Von Rousseau)
ausdrücklich protestirt wurde. Die Initiative der Kraft und der aus dem Be¬
dürfniß gleichsam Von unten entgegenkommende Wille werden den sehr Verträg¬
lichen Gegensatz, welcher der Errichtung fast aller Autorität zu Grunde liegt,
ausmachen und sogar die Befugniß geben, in einem gewissen beschränkten Sinne


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/275>, abgerufen am 03.07.2024.