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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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von einem eignen Recht der geschichtlich überlieferten Gewalten zu reden. Die
politische Theologie ist also nur das Beiwerk einer ganz besondern Spielart der
überlieferten Zustände, und Comte hat daher fein Recht, mit dieser politischen
Theologie die ganze geschichtliche Gestaltung der Fürstengewalt als etwas mit
der gesunden Logik Unverträgliches auszukehren. Er befindet sich in dieser Hin¬
sicht nicht blos mit der politischen Seite, sondern mit dem Ganzen seines ge¬
schichtlichen Entwicklungsgesetzes in einem principiellen Irrthum. Jener theo¬
logische Vorstellungskreis, dessen Phantastik und spätere verstandesmäßige Aus-
spinnung wir mit Recht angreifen, enthält denn dock einen Bestandtheil, der
in allen Wandlungen bestehen wird und von der wissenschaftlichen Erkenntniß unbe¬
rührt bleibt. Die erste" Auffassungen des Gemüths, so verkeilte auch die daran
geknüpften Vorstellungen sein mögen, enthalten gewisse Grundformen der Be¬
trachtungsart der Dinge, wie sie durch keine spätere Kritik zersetzt werden kön¬
nen. Was aufgelöst und berichtigt wird, ist nur die verstandesmäßige Ausstat¬
tung der ersten rohen Anschauungen. Die Grundform der in ihnen enthaltenen
Bcttachtungsart bleibt bestehen. Aehnlich verhält es sich nun auch mit der Ge¬
schichte der politischen Gestaltungen. Die ursprünglichen Schemata von Herr¬
schaft und Unterwerfung sind, sobald man sie ganz allgemein betrachtet, keine
Eigenthümlichkeit dieser oder jener Epoche, sondern gehen in alle späteren ge¬
schichtlichen Bildungen ein. Bei Comte dagegen ist in der That gar kein Grund¬
stock der Entwicklungen vorhanden. Bei ihn, läßt die geschichtliche Kritik von
dem, was sie vorfindet, gar nichts bestehen; sie bringt alles Alte in der Philo¬
sophie wie in der Politik auf Null, und das "Positive" erscheint als eine
ganz neue Schöpfung. Hierin liegt offenbar der Fehler des ganzen Systems.

Die sich durch mehre starke Bände auespinnende politische Philosophie
Comtes enthält neben manchem geschichtsphilosvphlschen Material, welches den
Deutschen weniger interessirt, eine Menge zutreffender Anschauungen, in denen
sich zum Theil Fragen des allerneuesten Datums, wie z. B. der Widerstreit
zwischen den socialistischen und nichtsvcialistischen Motiven der Volkswirtschaft
in ziemlich zutreffender Behandlung vorweggenommen finden. Uns kam es
jedoch nur darauf an, über Comte und seine wenn auch nicht richtige, so doch
geistvolle Parallele zwischen Metaphysik und constitutioneller Dogmatik einige
Rechenschaft zu geben und in einer Zeit, in welcher bei uns eine neue Methode,
das Versassungsleben träge zu machen, erfunden worden ist, auf die ernsten
und von keinen persönlichen Zwecken getrübten Betrachtungen eines würdigen
französischen Denkers hinzuweisen. Das Julikönigthum ist mehr den Weg der
Erschleichungen gegangen; der deutsche Charakter ist etwas derber und geht
offener zu Werte. Allein sollte consequente Vernachlässigung oder offene Abbrechung
der grundgcsctzlichen Formen des politischen Lebens nicht auch bei uns manche
Dg. Geister auf die Irrwege einer Kritik g, 1u Lvmw verlocken können? ---




von einem eignen Recht der geschichtlich überlieferten Gewalten zu reden. Die
politische Theologie ist also nur das Beiwerk einer ganz besondern Spielart der
überlieferten Zustände, und Comte hat daher fein Recht, mit dieser politischen
Theologie die ganze geschichtliche Gestaltung der Fürstengewalt als etwas mit
der gesunden Logik Unverträgliches auszukehren. Er befindet sich in dieser Hin¬
sicht nicht blos mit der politischen Seite, sondern mit dem Ganzen seines ge¬
schichtlichen Entwicklungsgesetzes in einem principiellen Irrthum. Jener theo¬
logische Vorstellungskreis, dessen Phantastik und spätere verstandesmäßige Aus-
spinnung wir mit Recht angreifen, enthält denn dock einen Bestandtheil, der
in allen Wandlungen bestehen wird und von der wissenschaftlichen Erkenntniß unbe¬
rührt bleibt. Die erste» Auffassungen des Gemüths, so verkeilte auch die daran
geknüpften Vorstellungen sein mögen, enthalten gewisse Grundformen der Be¬
trachtungsart der Dinge, wie sie durch keine spätere Kritik zersetzt werden kön¬
nen. Was aufgelöst und berichtigt wird, ist nur die verstandesmäßige Ausstat¬
tung der ersten rohen Anschauungen. Die Grundform der in ihnen enthaltenen
Bcttachtungsart bleibt bestehen. Aehnlich verhält es sich nun auch mit der Ge¬
schichte der politischen Gestaltungen. Die ursprünglichen Schemata von Herr¬
schaft und Unterwerfung sind, sobald man sie ganz allgemein betrachtet, keine
Eigenthümlichkeit dieser oder jener Epoche, sondern gehen in alle späteren ge¬
schichtlichen Bildungen ein. Bei Comte dagegen ist in der That gar kein Grund¬
stock der Entwicklungen vorhanden. Bei ihn, läßt die geschichtliche Kritik von
dem, was sie vorfindet, gar nichts bestehen; sie bringt alles Alte in der Philo¬
sophie wie in der Politik auf Null, und das „Positive" erscheint als eine
ganz neue Schöpfung. Hierin liegt offenbar der Fehler des ganzen Systems.

Die sich durch mehre starke Bände auespinnende politische Philosophie
Comtes enthält neben manchem geschichtsphilosvphlschen Material, welches den
Deutschen weniger interessirt, eine Menge zutreffender Anschauungen, in denen
sich zum Theil Fragen des allerneuesten Datums, wie z. B. der Widerstreit
zwischen den socialistischen und nichtsvcialistischen Motiven der Volkswirtschaft
in ziemlich zutreffender Behandlung vorweggenommen finden. Uns kam es
jedoch nur darauf an, über Comte und seine wenn auch nicht richtige, so doch
geistvolle Parallele zwischen Metaphysik und constitutioneller Dogmatik einige
Rechenschaft zu geben und in einer Zeit, in welcher bei uns eine neue Methode,
das Versassungsleben träge zu machen, erfunden worden ist, auf die ernsten
und von keinen persönlichen Zwecken getrübten Betrachtungen eines würdigen
französischen Denkers hinzuweisen. Das Julikönigthum ist mehr den Weg der
Erschleichungen gegangen; der deutsche Charakter ist etwas derber und geht
offener zu Werte. Allein sollte consequente Vernachlässigung oder offene Abbrechung
der grundgcsctzlichen Formen des politischen Lebens nicht auch bei uns manche
Dg. Geister auf die Irrwege einer Kritik g, 1u Lvmw verlocken können? —-




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/276>, abgerufen am 01.07.2024.