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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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praktisch sehr wichtige und gesunde Gestaltungen verleiten lassen. Doch wir
wollen ihm mit unsern Einreden nicht vorgreifen und erst näher die Art be¬
trachten, wie er den Vergleich'der Metaphysik und des Constitutionalismus durch¬
zuführen sucht.

Die comtesche Kritik des Constttutionalismus behauptet, daß in den moder¬
nen Verfassungsgcstaltungen unverträgliche Principien zusammengebracht wür¬
den. Die Antriebe, aus denen die einzelnen Bestimmungen hervorgehn, durch
welche die Theilnahme an der Staatsgewalt geordnet wird, sollen so wenig
ebenbürtig sein, daß, so zu sagen eine gedeihliche Ehe derselben unmöglich ist.
Die einzigen Früchte, welche von diesen Vereinigungen zu gewärtigen wären,
sollen nicht eigentliche Schöpfungen und positive Gestaltungen, sondern nur
gegenseitige Zersetzungen sein. Die heterogenen Mächte, die sich so viel an
ihnen ist in den bestehenden Verfassungen einen Ausdruck gegeben haben, sollen
nicht von jener Art sein, wie sie gerade zur Förderung der Entwickelung zu
dienen Pflegt. Comte läugnet durchaus acht die Fruchtbarkeit praktischer Gegen¬
sätze; er ist weit davon entfernt, die Verschiedenheit der Tendenz sogleich
für einen eigentlichen Widerspruch zu erklären; er weiß sehr jwohl zwischen
einem chimärischen Widerspruch und einer Vereinigung von Gegensätzen zu unter¬
scheiden; eine Dialektik, die sich vielleicht gerade an die Doppelheit der in den
Verfassungen vertretenen Principien halten möchte, beirrt ihn nicht. Allerdings
liegt es sehr nahe, Comtes Angriff auf die constitutionellen Doctrinen dadurch
abschlagen zu wollen, daß man sagt, es sei das, was von Comte für einen
Mangel ausgegeben werde, gerade ein Vorzug. Wenn die gemischten Ver¬
fassungen von widersprechenden Antrieben gebildet seien, so liege gerade in dem
Widerspruch selbst die Gewähr der Regsamkeit und Lebensfülle. Allein Comte
läßt sich dieses Raisonnement nicht gefallen; er, der Denker in den höchsten
Gebieten der Mechanik, weiß den Kräftewidcrstreit sehr gut von imaginären
Combinationen zu unterscheiden. Der Widerspruch ist etwas Unmögliches; der
lebendige Gegensatz aber ist die Grundform, in welcher die schaffenden Kräfte
thätig sind. Die einfachste statische Kraft muß bereits zweiseitig gedacht werden,
wenn sie überhaupt als in Wirksamkeit begriffen vorgestellt wird. Jede thätige
Kraft äußert sich in der doppelten Richtung von Druck und Gegendruck, und
wie sollte ein Comte, dem bei allen seinen Untersuchungen und Speculationen
die Schemata des mechanischen Denkens unwillkürlich vorschwebten, jene Wahr¬
heit auf dem politischen Gebiet vergessen? Wie sollte er das Gleichgewicht der
Gewalten mißverstehen, da er ja gerade in der Grundlegung seines Systems
die besten Vorbereitungen getroffen hatte, um eine haltbare Auffassung dieses
Gleichgewichts vermitteln zu können? Sehen wir recht zu. so scheint über der
comteschcn Kritik ein eigenthümliches Schicksal gewaltet zu haben. Ganz dazu
angethan, die gesunden constitutionellen Begriffe zu stützen und vor Anfechtungen


praktisch sehr wichtige und gesunde Gestaltungen verleiten lassen. Doch wir
wollen ihm mit unsern Einreden nicht vorgreifen und erst näher die Art be¬
trachten, wie er den Vergleich'der Metaphysik und des Constitutionalismus durch¬
zuführen sucht.

Die comtesche Kritik des Constttutionalismus behauptet, daß in den moder¬
nen Verfassungsgcstaltungen unverträgliche Principien zusammengebracht wür¬
den. Die Antriebe, aus denen die einzelnen Bestimmungen hervorgehn, durch
welche die Theilnahme an der Staatsgewalt geordnet wird, sollen so wenig
ebenbürtig sein, daß, so zu sagen eine gedeihliche Ehe derselben unmöglich ist.
Die einzigen Früchte, welche von diesen Vereinigungen zu gewärtigen wären,
sollen nicht eigentliche Schöpfungen und positive Gestaltungen, sondern nur
gegenseitige Zersetzungen sein. Die heterogenen Mächte, die sich so viel an
ihnen ist in den bestehenden Verfassungen einen Ausdruck gegeben haben, sollen
nicht von jener Art sein, wie sie gerade zur Förderung der Entwickelung zu
dienen Pflegt. Comte läugnet durchaus acht die Fruchtbarkeit praktischer Gegen¬
sätze; er ist weit davon entfernt, die Verschiedenheit der Tendenz sogleich
für einen eigentlichen Widerspruch zu erklären; er weiß sehr jwohl zwischen
einem chimärischen Widerspruch und einer Vereinigung von Gegensätzen zu unter¬
scheiden; eine Dialektik, die sich vielleicht gerade an die Doppelheit der in den
Verfassungen vertretenen Principien halten möchte, beirrt ihn nicht. Allerdings
liegt es sehr nahe, Comtes Angriff auf die constitutionellen Doctrinen dadurch
abschlagen zu wollen, daß man sagt, es sei das, was von Comte für einen
Mangel ausgegeben werde, gerade ein Vorzug. Wenn die gemischten Ver¬
fassungen von widersprechenden Antrieben gebildet seien, so liege gerade in dem
Widerspruch selbst die Gewähr der Regsamkeit und Lebensfülle. Allein Comte
läßt sich dieses Raisonnement nicht gefallen; er, der Denker in den höchsten
Gebieten der Mechanik, weiß den Kräftewidcrstreit sehr gut von imaginären
Combinationen zu unterscheiden. Der Widerspruch ist etwas Unmögliches; der
lebendige Gegensatz aber ist die Grundform, in welcher die schaffenden Kräfte
thätig sind. Die einfachste statische Kraft muß bereits zweiseitig gedacht werden,
wenn sie überhaupt als in Wirksamkeit begriffen vorgestellt wird. Jede thätige
Kraft äußert sich in der doppelten Richtung von Druck und Gegendruck, und
wie sollte ein Comte, dem bei allen seinen Untersuchungen und Speculationen
die Schemata des mechanischen Denkens unwillkürlich vorschwebten, jene Wahr¬
heit auf dem politischen Gebiet vergessen? Wie sollte er das Gleichgewicht der
Gewalten mißverstehen, da er ja gerade in der Grundlegung seines Systems
die besten Vorbereitungen getroffen hatte, um eine haltbare Auffassung dieses
Gleichgewichts vermitteln zu können? Sehen wir recht zu. so scheint über der
comteschcn Kritik ein eigenthümliches Schicksal gewaltet zu haben. Ganz dazu
angethan, die gesunden constitutionellen Begriffe zu stützen und vor Anfechtungen


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[0273] praktisch sehr wichtige und gesunde Gestaltungen verleiten lassen. Doch wir wollen ihm mit unsern Einreden nicht vorgreifen und erst näher die Art be¬ trachten, wie er den Vergleich'der Metaphysik und des Constitutionalismus durch¬ zuführen sucht. Die comtesche Kritik des Constttutionalismus behauptet, daß in den moder¬ nen Verfassungsgcstaltungen unverträgliche Principien zusammengebracht wür¬ den. Die Antriebe, aus denen die einzelnen Bestimmungen hervorgehn, durch welche die Theilnahme an der Staatsgewalt geordnet wird, sollen so wenig ebenbürtig sein, daß, so zu sagen eine gedeihliche Ehe derselben unmöglich ist. Die einzigen Früchte, welche von diesen Vereinigungen zu gewärtigen wären, sollen nicht eigentliche Schöpfungen und positive Gestaltungen, sondern nur gegenseitige Zersetzungen sein. Die heterogenen Mächte, die sich so viel an ihnen ist in den bestehenden Verfassungen einen Ausdruck gegeben haben, sollen nicht von jener Art sein, wie sie gerade zur Förderung der Entwickelung zu dienen Pflegt. Comte läugnet durchaus acht die Fruchtbarkeit praktischer Gegen¬ sätze; er ist weit davon entfernt, die Verschiedenheit der Tendenz sogleich für einen eigentlichen Widerspruch zu erklären; er weiß sehr jwohl zwischen einem chimärischen Widerspruch und einer Vereinigung von Gegensätzen zu unter¬ scheiden; eine Dialektik, die sich vielleicht gerade an die Doppelheit der in den Verfassungen vertretenen Principien halten möchte, beirrt ihn nicht. Allerdings liegt es sehr nahe, Comtes Angriff auf die constitutionellen Doctrinen dadurch abschlagen zu wollen, daß man sagt, es sei das, was von Comte für einen Mangel ausgegeben werde, gerade ein Vorzug. Wenn die gemischten Ver¬ fassungen von widersprechenden Antrieben gebildet seien, so liege gerade in dem Widerspruch selbst die Gewähr der Regsamkeit und Lebensfülle. Allein Comte läßt sich dieses Raisonnement nicht gefallen; er, der Denker in den höchsten Gebieten der Mechanik, weiß den Kräftewidcrstreit sehr gut von imaginären Combinationen zu unterscheiden. Der Widerspruch ist etwas Unmögliches; der lebendige Gegensatz aber ist die Grundform, in welcher die schaffenden Kräfte thätig sind. Die einfachste statische Kraft muß bereits zweiseitig gedacht werden, wenn sie überhaupt als in Wirksamkeit begriffen vorgestellt wird. Jede thätige Kraft äußert sich in der doppelten Richtung von Druck und Gegendruck, und wie sollte ein Comte, dem bei allen seinen Untersuchungen und Speculationen die Schemata des mechanischen Denkens unwillkürlich vorschwebten, jene Wahr¬ heit auf dem politischen Gebiet vergessen? Wie sollte er das Gleichgewicht der Gewalten mißverstehen, da er ja gerade in der Grundlegung seines Systems die besten Vorbereitungen getroffen hatte, um eine haltbare Auffassung dieses Gleichgewichts vermitteln zu können? Sehen wir recht zu. so scheint über der comteschcn Kritik ein eigenthümliches Schicksal gewaltet zu haben. Ganz dazu angethan, die gesunden constitutionellen Begriffe zu stützen und vor Anfechtungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/273>, abgerufen am 24.08.2024.