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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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halten, in welchem die phantastische Couccptionsweise so zu sagen auf Null ge¬
bracht und der rein wissenschaftliche Gesichtspunkt alles ist. Die Alleinherrschaft
der Consequenzen der strengen Wissenschaften ohne jegliches Zugeständnis), ja
ohne irgendwelchen Transactionsversuch ist also der Charakter des positiven
Stadiums und der von Comte als positiv bezeichneten Philosophie.

Dieser Vorstellungsart von den drei Stadien im Gange der Ideen giebt
nun Comte ein politisches Pendant. Auch in der Entwicklung der Grundgestal¬
ten des gesellschaftlichen und staatlichen Daseins soll eine ähnliche Aufeinander¬
folge von Stufen maßgebend sein. Das erste Zeitalter ist nach Comte das des
theologischen und patriarchalischen Regiments mit einer gewissen Vorherrschaft
der physischen und militärischen Kraft. Die Vorstellungen, welche sich die Vol¬
ker in diesem Stadium von der Aufgabe ihrer Regenten machen, sind eng mit
den theologischen Anschauungen verwebt. Die Regierung gilt als eine Art Vor¬
sehung und wird regelmäßig mit den Göttern in Beziehung gedacht. Wie sehr
sich auch diese Anschauungen verfeinern mögen, und wenn auch immerhin an
die Stelle eines direct auf die Götter zurückleitenden Stammbaums der Könige
eine weniger handgreifliche Vorstellung, etwa die des göttlichen Ursprungs der
Herrschergewalt gesetzt wird, so bleibt doch der wesentliche Charakter dieser gan¬
zen Stufe so lange derselbe, bis die constitutionellen Lehren (sei es nun in der
modernen oder in irgendeiner andern Gestalt) eine kritische Umbildung vor¬
nehmen. Alsdann tritt nach Comte der politische Zustand in das dem meta¬
physischen Zeitalter entsprechende Stadium ein. Die constitutionellen Doctrinen
sind in den Augen Comtes nichts als eine praktisch politische Metaphysik und-
ebenso wie die letztere von nothwendigen Widersprüchen durchzogen. Sie sind
auf die Dauer nicht haltbar, und die praktischen Gestaltungen, die ihnen ent¬
sprechen, müssen als Uebergangsbildungen zu "positiven" Zuständen angesehen
werden. Die constitutionellen Verfassungen sind daher nach Comte Mischgebilde
aus unvereinbarer Principien und müssen schließlich zur reinen Herausbildung
des in ihnen thätigen kritischen Factors führen. Das ursprüngliche System
des politischen Daseins beruht auf der einfachen und naiven Annahme, daß die
Regierungen zu den Regierten in einem ähnlichen Verhältniß stehen wie die
Götter zu den Menschen. Es ist also eine Art politischer Theologie, ohne die
sich jenes System des Absolutismus und der unbedingten Bevormundung nicht
zu rechtfertigen vermag. Die Negierung ist der politische Gott, und alle Epochen
und Phasen einer zu jenem ursprünglichen Stadium einlenkenden Reaction zei¬
gen uns auch immer wieder, wie die politische Theologie ein unentbehrliches
Rüstzeug des Absolutismus sei. Nach dieser Richtung möchte also Comte mit
seiner Parallele Recht haben. Doch was die constitutionellen Formen anbetrifft,
so hat er sich durch das Scheinwesen und die Spiegelfechtereien der Ne-
gierungssysteme, unter denen er lebte, zu einer gewissen Ungerechtigkeit gegen


halten, in welchem die phantastische Couccptionsweise so zu sagen auf Null ge¬
bracht und der rein wissenschaftliche Gesichtspunkt alles ist. Die Alleinherrschaft
der Consequenzen der strengen Wissenschaften ohne jegliches Zugeständnis), ja
ohne irgendwelchen Transactionsversuch ist also der Charakter des positiven
Stadiums und der von Comte als positiv bezeichneten Philosophie.

Dieser Vorstellungsart von den drei Stadien im Gange der Ideen giebt
nun Comte ein politisches Pendant. Auch in der Entwicklung der Grundgestal¬
ten des gesellschaftlichen und staatlichen Daseins soll eine ähnliche Aufeinander¬
folge von Stufen maßgebend sein. Das erste Zeitalter ist nach Comte das des
theologischen und patriarchalischen Regiments mit einer gewissen Vorherrschaft
der physischen und militärischen Kraft. Die Vorstellungen, welche sich die Vol¬
ker in diesem Stadium von der Aufgabe ihrer Regenten machen, sind eng mit
den theologischen Anschauungen verwebt. Die Regierung gilt als eine Art Vor¬
sehung und wird regelmäßig mit den Göttern in Beziehung gedacht. Wie sehr
sich auch diese Anschauungen verfeinern mögen, und wenn auch immerhin an
die Stelle eines direct auf die Götter zurückleitenden Stammbaums der Könige
eine weniger handgreifliche Vorstellung, etwa die des göttlichen Ursprungs der
Herrschergewalt gesetzt wird, so bleibt doch der wesentliche Charakter dieser gan¬
zen Stufe so lange derselbe, bis die constitutionellen Lehren (sei es nun in der
modernen oder in irgendeiner andern Gestalt) eine kritische Umbildung vor¬
nehmen. Alsdann tritt nach Comte der politische Zustand in das dem meta¬
physischen Zeitalter entsprechende Stadium ein. Die constitutionellen Doctrinen
sind in den Augen Comtes nichts als eine praktisch politische Metaphysik und-
ebenso wie die letztere von nothwendigen Widersprüchen durchzogen. Sie sind
auf die Dauer nicht haltbar, und die praktischen Gestaltungen, die ihnen ent¬
sprechen, müssen als Uebergangsbildungen zu „positiven" Zuständen angesehen
werden. Die constitutionellen Verfassungen sind daher nach Comte Mischgebilde
aus unvereinbarer Principien und müssen schließlich zur reinen Herausbildung
des in ihnen thätigen kritischen Factors führen. Das ursprüngliche System
des politischen Daseins beruht auf der einfachen und naiven Annahme, daß die
Regierungen zu den Regierten in einem ähnlichen Verhältniß stehen wie die
Götter zu den Menschen. Es ist also eine Art politischer Theologie, ohne die
sich jenes System des Absolutismus und der unbedingten Bevormundung nicht
zu rechtfertigen vermag. Die Negierung ist der politische Gott, und alle Epochen
und Phasen einer zu jenem ursprünglichen Stadium einlenkenden Reaction zei¬
gen uns auch immer wieder, wie die politische Theologie ein unentbehrliches
Rüstzeug des Absolutismus sei. Nach dieser Richtung möchte also Comte mit
seiner Parallele Recht haben. Doch was die constitutionellen Formen anbetrifft,
so hat er sich durch das Scheinwesen und die Spiegelfechtereien der Ne-
gierungssysteme, unter denen er lebte, zu einer gewissen Ungerechtigkeit gegen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/272>, abgerufen am 24.08.2024.