Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.man wie bei Völkern neben der rein positiven Auffassung in einem gewissen 34*
man wie bei Völkern neben der rein positiven Auffassung in einem gewissen 34*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0271" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189895"/> <p xml:id="ID_974" prev="#ID_973" next="#ID_975"> man wie bei Völkern neben der rein positiven Auffassung in einem gewissen<lb/> Maße bestehen kann. — Comtes zweites Zeitalter ist das der Metaphysik, un¬<lb/> ter welcher er diejenige Gestalt der theologischen Betrachtungsart versteht, in<lb/> welcher bereits der kritisch zersetzende Verstand wirksam ist, aber noch immer<lb/> auf halbem Wege stehen bleibt. Durch den Fortschritt der Erkenntniß und<lb/> durch die Ausbildung von etwas wirklicher Wissenschaft muß die ursprüngliche<lb/> Phantastik, die dem ersten Verkehr des menschlichen Sinnes mit den Dingen<lb/> ganz unwillkürlich und gemäß war, zum Theil berichtigt und so mit sich selbst<lb/> in Widerspruch gesetzt werden. Das Gebiet der so entstehenden Unvereinbar¬<lb/> keiten des Verstandes und der Phantasie heißt man Metaphysik. Die meta¬<lb/> physischen Theorien sind daher ihrem Wesen nach (nur reden hier immer im<lb/> cvmteschen Sinne) zwitterhafte Mischbildungen. Sie verüben stets auf irgend¬<lb/> welchen für die Dauer unhaltbaren Transaktionen. In ihnen bekämpfen sich<lb/> zwei ihrer Natur nach antagonistische Principien, nämlich einerseits die unmittel¬<lb/> bare naive Vorstellungsart der Phantasie und andererseits die durch den Zu¬<lb/> wachs an erfahrungsmäßigen Einsichten immer schärfer werdende Kritik des zer¬<lb/> gliedernden und combinirenden Verstandes. Die durch die Wissenschaft immer<lb/> besser orientirte Intelligenz sucht sich mit ihren ursprünglichen Auffassungen und<lb/> mit den Ueberlieferungen ihres roheren Stadiums auseinanderzusetzen, und<lb/> die vermeinte Wissenschaft, welche das jeweilige Ergebniß dieser an sich selbst<lb/> unmöglichen Vereinbarungen darstellt, ist eben die Metaphysik. Hieraus erklärt<lb/> es sich denn auch, daß die metaphysischen Lehren der Tummelplatz nie enden¬<lb/> der Streitigkeiten sein müssen. Nach Comte kann innerhalb der Metaphysik<lb/> keine einzige Frage entschieden werden; der Geist muß sich aus diesem mit Na-<lb/> turnvthwcndigt'eit von unlösbaren Widersprüchen durchzogenen Gebiete aus einen<lb/> neuen Standpunkt erheben, und dieser ist derjenige der positiven Philo¬<lb/> sophie oder überhaupt der positiven Auffassung der Dinge und Vorgänge, In<lb/> dem positiven Stadium werden die theologischen Vorstufen in ihrer wahren Na¬<lb/> tur erkannt, und es wird daher selbstverständlich das Bestreben aufgegeben, das<lb/> Unvereinbare zu vereinigen und das kritische Element der Erkenntniß mit dem<lb/> unkritischen zu einem harmonischen System zu verschmelzen. Die Kritik vollendet<lb/> sich erst, indem sie alle Bestandtheile des menschlichen Gedankenkreises, welche<lb/> aus der Phantastik entspringen, beseitigt und die ungemischte Wissenschaft aus<lb/> den Thron erhebt. Dann ist es aber auch mit der Herrschaft der Metaphysik<lb/> im Allgemeinen zu Ende; die Astronomie tritt an die Stelle der deutelnden<lb/> Astrologie, und die goldmachcrische Alchymie muß der nüchternen Chemie eines<lb/> Lavoisier weichen. Allerdings kann man sagen, daß das sich vollendende meta¬<lb/> physische Stadium zum positiven werde. Denn in dem Maße als sich inner-<lb/> halb der Metaphysik die Kritik steigert, nähert sich die metaphysische Ausfassung<lb/> gleichsam um der Größe des kritischen Elements willen dein rein positiven Ver-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 34*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0271]
man wie bei Völkern neben der rein positiven Auffassung in einem gewissen
Maße bestehen kann. — Comtes zweites Zeitalter ist das der Metaphysik, un¬
ter welcher er diejenige Gestalt der theologischen Betrachtungsart versteht, in
welcher bereits der kritisch zersetzende Verstand wirksam ist, aber noch immer
auf halbem Wege stehen bleibt. Durch den Fortschritt der Erkenntniß und
durch die Ausbildung von etwas wirklicher Wissenschaft muß die ursprüngliche
Phantastik, die dem ersten Verkehr des menschlichen Sinnes mit den Dingen
ganz unwillkürlich und gemäß war, zum Theil berichtigt und so mit sich selbst
in Widerspruch gesetzt werden. Das Gebiet der so entstehenden Unvereinbar¬
keiten des Verstandes und der Phantasie heißt man Metaphysik. Die meta¬
physischen Theorien sind daher ihrem Wesen nach (nur reden hier immer im
cvmteschen Sinne) zwitterhafte Mischbildungen. Sie verüben stets auf irgend¬
welchen für die Dauer unhaltbaren Transaktionen. In ihnen bekämpfen sich
zwei ihrer Natur nach antagonistische Principien, nämlich einerseits die unmittel¬
bare naive Vorstellungsart der Phantasie und andererseits die durch den Zu¬
wachs an erfahrungsmäßigen Einsichten immer schärfer werdende Kritik des zer¬
gliedernden und combinirenden Verstandes. Die durch die Wissenschaft immer
besser orientirte Intelligenz sucht sich mit ihren ursprünglichen Auffassungen und
mit den Ueberlieferungen ihres roheren Stadiums auseinanderzusetzen, und
die vermeinte Wissenschaft, welche das jeweilige Ergebniß dieser an sich selbst
unmöglichen Vereinbarungen darstellt, ist eben die Metaphysik. Hieraus erklärt
es sich denn auch, daß die metaphysischen Lehren der Tummelplatz nie enden¬
der Streitigkeiten sein müssen. Nach Comte kann innerhalb der Metaphysik
keine einzige Frage entschieden werden; der Geist muß sich aus diesem mit Na-
turnvthwcndigt'eit von unlösbaren Widersprüchen durchzogenen Gebiete aus einen
neuen Standpunkt erheben, und dieser ist derjenige der positiven Philo¬
sophie oder überhaupt der positiven Auffassung der Dinge und Vorgänge, In
dem positiven Stadium werden die theologischen Vorstufen in ihrer wahren Na¬
tur erkannt, und es wird daher selbstverständlich das Bestreben aufgegeben, das
Unvereinbare zu vereinigen und das kritische Element der Erkenntniß mit dem
unkritischen zu einem harmonischen System zu verschmelzen. Die Kritik vollendet
sich erst, indem sie alle Bestandtheile des menschlichen Gedankenkreises, welche
aus der Phantastik entspringen, beseitigt und die ungemischte Wissenschaft aus
den Thron erhebt. Dann ist es aber auch mit der Herrschaft der Metaphysik
im Allgemeinen zu Ende; die Astronomie tritt an die Stelle der deutelnden
Astrologie, und die goldmachcrische Alchymie muß der nüchternen Chemie eines
Lavoisier weichen. Allerdings kann man sagen, daß das sich vollendende meta¬
physische Stadium zum positiven werde. Denn in dem Maße als sich inner-
halb der Metaphysik die Kritik steigert, nähert sich die metaphysische Ausfassung
gleichsam um der Größe des kritischen Elements willen dein rein positiven Ver-
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