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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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machte seinem Minister bittere Vorwürfe über die Rathschläge, die er ihm seit
dem Aufenthalt des Hofes in Regensburg ertheilt, erinnerte daran, wie schwer
er die Bedenken überwunden habe, neue Verpflichtungen gegen Oestreich einzu-
gehn, während er noch an Frankreich gebunden war, und verhehlte nicht, daß
er es schwer bereue, von dem früher eingehaltenen Wege abgewichen zu sein.
Die Folgen von Napoleons Zorne traten in schreckhaftester Gestalt vor seine
Einbildung und nichts schien ihn mehr zu beschäftigen, als die Sorge, ob es
auch möglich sein werde, sich die Freundschaft des Kaisers von neuem zu er¬
werben. Vielleicht wäre es noch gelungen, den König bei dem Bündniß
mit Oestreich zu erhalten, wenn Hr. v. Senfft auf die Verlegenheiten hinge¬
deutet hätte, die durch den Rücktritt von dem schon so gut wie abgeschlossenen
Vertrag entstehen mußten; aber er ging auf den Gedanken einer Systemändc-
rung durch die Erklärung ein, daß er für diesen Fall nicht länger mit Ehren
seinen Posten bekleiden könne. Zwar wollte der König anfangs nichts von
dieser Andeutung wissen und bot dann Hrn. v. Senfft das Ministerium des
Innern an, das dieser ebenfalls ablehnte; aber die einmal angeregte Idee, sich
durch einen Wiederanschluß an Frankreich zu retten, schwand nicht wieder aus seinem
Geiste und wurde rasch zum festen Entschluß. Man mußte jetzt Torgau und
die sächsische Reiterei zur Verfügung der Franzosen stellen, den General Gers¬
dorf mit diesen Entschlüssen in das Hauptquartier des Kaisers senden, sich selbst
auf den Weg nach Dresden machen und endlich Oestreich erklären, daß die
Schnelligkeit der Ereignisse nicht gestatte, die Bahn einzuhalten, der es selbst
noch nicht im Stande sei zu folgen, und die es in einen Krieg verwickeln müsse,
der vielleicht jetzt noch zu vermeiden sei. Hr. v. Senfft wünschte diese Ent¬
schlüsse wenigstens bis zur Ankunft des bereits angemeldeten Grafen Stadion
verschoben zu sehen, der über Prag in das Hauptquartier des Kaisers von Nu߬
land reisen sollte und von dem wiener Hofe Eröffnungen für den König mit¬
brachte. Er hoffte, daß wenn man sich mit diesem Diplomaten verständigte,
sich vielleicht Mittel darböten, über die Krisis hinwegzukommen ohne mit Oest-
reich zu brechen, daß sogar möglicherweise Hr. v. Stadion durch seinen Einfluß
den König an der in Regensburg angenommenen Politik festhalten könnte.
Aber andere noch denselben Abend von Dresden eintreffende Briefe und Graf
Hohenthal-Döllkau, ein Augenzeuge der Schlacht von Lützen, der die Nieder¬
lage der Verbündeten und das wiederhergestellte Uebergewicht der französischen
Waffen in sehr lebhaften Farben schilderte, verstärkten nur den Eindruck der
ersten Nachrichten. Die Königin und die Prinzessin Auguste, welche schon der
Verkehr mit ihren bayrischen Verwandten in Regensburg von ihrer kurzen, eigent¬
lich nur durch die Kunde von der Sprengung der dresdner Brücke hervorge¬
brachten Franzosenfeindschaft geheilt hatte, sprachen mit Lebhaftigkeit für das
französische Bündniß, und als Hr. V. Senfft am anderen Morgen zum König


Grenzboten IV. 1864. 33

machte seinem Minister bittere Vorwürfe über die Rathschläge, die er ihm seit
dem Aufenthalt des Hofes in Regensburg ertheilt, erinnerte daran, wie schwer
er die Bedenken überwunden habe, neue Verpflichtungen gegen Oestreich einzu-
gehn, während er noch an Frankreich gebunden war, und verhehlte nicht, daß
er es schwer bereue, von dem früher eingehaltenen Wege abgewichen zu sein.
Die Folgen von Napoleons Zorne traten in schreckhaftester Gestalt vor seine
Einbildung und nichts schien ihn mehr zu beschäftigen, als die Sorge, ob es
auch möglich sein werde, sich die Freundschaft des Kaisers von neuem zu er¬
werben. Vielleicht wäre es noch gelungen, den König bei dem Bündniß
mit Oestreich zu erhalten, wenn Hr. v. Senfft auf die Verlegenheiten hinge¬
deutet hätte, die durch den Rücktritt von dem schon so gut wie abgeschlossenen
Vertrag entstehen mußten; aber er ging auf den Gedanken einer Systemändc-
rung durch die Erklärung ein, daß er für diesen Fall nicht länger mit Ehren
seinen Posten bekleiden könne. Zwar wollte der König anfangs nichts von
dieser Andeutung wissen und bot dann Hrn. v. Senfft das Ministerium des
Innern an, das dieser ebenfalls ablehnte; aber die einmal angeregte Idee, sich
durch einen Wiederanschluß an Frankreich zu retten, schwand nicht wieder aus seinem
Geiste und wurde rasch zum festen Entschluß. Man mußte jetzt Torgau und
die sächsische Reiterei zur Verfügung der Franzosen stellen, den General Gers¬
dorf mit diesen Entschlüssen in das Hauptquartier des Kaisers senden, sich selbst
auf den Weg nach Dresden machen und endlich Oestreich erklären, daß die
Schnelligkeit der Ereignisse nicht gestatte, die Bahn einzuhalten, der es selbst
noch nicht im Stande sei zu folgen, und die es in einen Krieg verwickeln müsse,
der vielleicht jetzt noch zu vermeiden sei. Hr. v. Senfft wünschte diese Ent¬
schlüsse wenigstens bis zur Ankunft des bereits angemeldeten Grafen Stadion
verschoben zu sehen, der über Prag in das Hauptquartier des Kaisers von Nu߬
land reisen sollte und von dem wiener Hofe Eröffnungen für den König mit¬
brachte. Er hoffte, daß wenn man sich mit diesem Diplomaten verständigte,
sich vielleicht Mittel darböten, über die Krisis hinwegzukommen ohne mit Oest-
reich zu brechen, daß sogar möglicherweise Hr. v. Stadion durch seinen Einfluß
den König an der in Regensburg angenommenen Politik festhalten könnte.
Aber andere noch denselben Abend von Dresden eintreffende Briefe und Graf
Hohenthal-Döllkau, ein Augenzeuge der Schlacht von Lützen, der die Nieder¬
lage der Verbündeten und das wiederhergestellte Uebergewicht der französischen
Waffen in sehr lebhaften Farben schilderte, verstärkten nur den Eindruck der
ersten Nachrichten. Die Königin und die Prinzessin Auguste, welche schon der
Verkehr mit ihren bayrischen Verwandten in Regensburg von ihrer kurzen, eigent¬
lich nur durch die Kunde von der Sprengung der dresdner Brücke hervorge¬
brachten Franzosenfeindschaft geheilt hatte, sprachen mit Lebhaftigkeit für das
französische Bündniß, und als Hr. V. Senfft am anderen Morgen zum König


Grenzboten IV. 1864. 33
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[0261] machte seinem Minister bittere Vorwürfe über die Rathschläge, die er ihm seit dem Aufenthalt des Hofes in Regensburg ertheilt, erinnerte daran, wie schwer er die Bedenken überwunden habe, neue Verpflichtungen gegen Oestreich einzu- gehn, während er noch an Frankreich gebunden war, und verhehlte nicht, daß er es schwer bereue, von dem früher eingehaltenen Wege abgewichen zu sein. Die Folgen von Napoleons Zorne traten in schreckhaftester Gestalt vor seine Einbildung und nichts schien ihn mehr zu beschäftigen, als die Sorge, ob es auch möglich sein werde, sich die Freundschaft des Kaisers von neuem zu er¬ werben. Vielleicht wäre es noch gelungen, den König bei dem Bündniß mit Oestreich zu erhalten, wenn Hr. v. Senfft auf die Verlegenheiten hinge¬ deutet hätte, die durch den Rücktritt von dem schon so gut wie abgeschlossenen Vertrag entstehen mußten; aber er ging auf den Gedanken einer Systemändc- rung durch die Erklärung ein, daß er für diesen Fall nicht länger mit Ehren seinen Posten bekleiden könne. Zwar wollte der König anfangs nichts von dieser Andeutung wissen und bot dann Hrn. v. Senfft das Ministerium des Innern an, das dieser ebenfalls ablehnte; aber die einmal angeregte Idee, sich durch einen Wiederanschluß an Frankreich zu retten, schwand nicht wieder aus seinem Geiste und wurde rasch zum festen Entschluß. Man mußte jetzt Torgau und die sächsische Reiterei zur Verfügung der Franzosen stellen, den General Gers¬ dorf mit diesen Entschlüssen in das Hauptquartier des Kaisers senden, sich selbst auf den Weg nach Dresden machen und endlich Oestreich erklären, daß die Schnelligkeit der Ereignisse nicht gestatte, die Bahn einzuhalten, der es selbst noch nicht im Stande sei zu folgen, und die es in einen Krieg verwickeln müsse, der vielleicht jetzt noch zu vermeiden sei. Hr. v. Senfft wünschte diese Ent¬ schlüsse wenigstens bis zur Ankunft des bereits angemeldeten Grafen Stadion verschoben zu sehen, der über Prag in das Hauptquartier des Kaisers von Nu߬ land reisen sollte und von dem wiener Hofe Eröffnungen für den König mit¬ brachte. Er hoffte, daß wenn man sich mit diesem Diplomaten verständigte, sich vielleicht Mittel darböten, über die Krisis hinwegzukommen ohne mit Oest- reich zu brechen, daß sogar möglicherweise Hr. v. Stadion durch seinen Einfluß den König an der in Regensburg angenommenen Politik festhalten könnte. Aber andere noch denselben Abend von Dresden eintreffende Briefe und Graf Hohenthal-Döllkau, ein Augenzeuge der Schlacht von Lützen, der die Nieder¬ lage der Verbündeten und das wiederhergestellte Uebergewicht der französischen Waffen in sehr lebhaften Farben schilderte, verstärkten nur den Eindruck der ersten Nachrichten. Die Königin und die Prinzessin Auguste, welche schon der Verkehr mit ihren bayrischen Verwandten in Regensburg von ihrer kurzen, eigent¬ lich nur durch die Kunde von der Sprengung der dresdner Brücke hervorge¬ brachten Franzosenfeindschaft geheilt hatte, sprachen mit Lebhaftigkeit für das französische Bündniß, und als Hr. V. Senfft am anderen Morgen zum König Grenzboten IV. 1864. 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/261>, abgerufen am 01.10.2024.