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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Hiermit steht die besondere Betonung der "freiheitlichen Seite" des Ver¬
einsprogramms, der wir diesmal überall begegnen, natürlich im engsten Zu¬
sammenhang.

Es bedarf kaum des Nachweises, daß alle diese Pläne, weit entfernt das
Ansehen des Vereins wiederherzustellen, denselben in der öffentlichen Meinung
discreditiren müssen, falls sie von der Generalversammlung gebilligt werden.
Was zunächst die Fortführung der rein theoretischen Agitation für Reichsver-
fassung und Parlament betrifft, so ist ja gerade deren (in den Verhältnissen
der letzten Jahre liegende) Unfruchtbarkeit, wie sich gezeigt hat, Schuld, daß
der Nativnalvercin seinen Einfluß auf die deutsche Bewegung verloren hat.
Alle Politik ist ihrem Wesen nach praktischer Natur. Der Erfolg bestimmt --
immer vorausgesetzt, daß ihre Ziele sittliche d. h. wahrhaft nationale sind --
ihren Werth und damit die Achtung, welche ihr gezollt wird. Eine Fortsetzung
der bisherigen Agitation müßte uns demnach jetzt als baare Thorheit erscheinen.
-- Ebensowenig wird der Verein seine Ziele fordern, wenn er die Massen zu
seinen Berathungen heranzöge. Die Kraft einer Partei pflegt nicht im Ver¬
hältniß ihrer Kopfzahl zu wachsen. Die Vetheiligung der Massen an der
Thätigkeit des Vereines wäre nur dann von Bedeutung, wenn man sie fana-
tisiren könnte, was wir keinem der Herrn zutrauen, welche sür die Herabsetzung
des Eintrittsgeldes schwärmen. Die Massen lassen sich wohl fauaiisircn, nur
nicht sür so weit aussehende Zwecke als die des Nationalvereins sind. Einst¬
weilen sind sie dem Vercinsprogramm gegenüber in tiefste Gleichgiltigkeit ver¬
sunken; ihre Heranziehung hätte augenscheinlich keinen anderen Zweck als den,
gewissen Vvllsrednern zu einer Stellung zu verhelfen, nach der sie bis jetzt
vergeblich getrachtet haben und die sie ohne Zweifel benutzen würden, um den
Mangel an Disciplin und Unterordnung, der ohnehin fühlbar genug ist, vollends
unerträglich und für die Sache des Vereins verderblich zu machen.

Wenn endlich ein besonderer Accent aus die freiheitliche Seite des Vereins¬
programms gelegt wird, so begreift sich das wohl aus der Verlegenheit um
ausreichende Beschäftigung, bleibt aber nichtsdestoweniger ein Mißgriff, der nur
aus gänzlicher Verkennung der Aufgabe der Nationalpartei erklärt werden kann.
In der That, wer nicht begreift, daß es gleichbedeutend mit Abdication ist,
wenn ein großer politischer Verein, der sich die Schaffung einer Centralgewalt
sür ganz Deutschland zur Aufgabe gemacht hat, sich aus Mangel an Stoss
mit der fortschrittlichen Agitation in den Einzelstaaten befaßt, dem ist nicht
zu helfen.

Auf diesem Wege also ist nicht vorwärts zu kommen. Was der National-
vcrcin braucht, sind Erfolge, praktische Erfolge. Solche Erfolge aber sind nicht
denkbar ohne reale Machtmittel und diese wiederum kann der Verein nur finden
in der Anlehnungan denjenigen Staat, dessen Anspruch aus die Führer-


Hiermit steht die besondere Betonung der „freiheitlichen Seite" des Ver¬
einsprogramms, der wir diesmal überall begegnen, natürlich im engsten Zu¬
sammenhang.

Es bedarf kaum des Nachweises, daß alle diese Pläne, weit entfernt das
Ansehen des Vereins wiederherzustellen, denselben in der öffentlichen Meinung
discreditiren müssen, falls sie von der Generalversammlung gebilligt werden.
Was zunächst die Fortführung der rein theoretischen Agitation für Reichsver-
fassung und Parlament betrifft, so ist ja gerade deren (in den Verhältnissen
der letzten Jahre liegende) Unfruchtbarkeit, wie sich gezeigt hat, Schuld, daß
der Nativnalvercin seinen Einfluß auf die deutsche Bewegung verloren hat.
Alle Politik ist ihrem Wesen nach praktischer Natur. Der Erfolg bestimmt —
immer vorausgesetzt, daß ihre Ziele sittliche d. h. wahrhaft nationale sind —
ihren Werth und damit die Achtung, welche ihr gezollt wird. Eine Fortsetzung
der bisherigen Agitation müßte uns demnach jetzt als baare Thorheit erscheinen.
— Ebensowenig wird der Verein seine Ziele fordern, wenn er die Massen zu
seinen Berathungen heranzöge. Die Kraft einer Partei pflegt nicht im Ver¬
hältniß ihrer Kopfzahl zu wachsen. Die Vetheiligung der Massen an der
Thätigkeit des Vereines wäre nur dann von Bedeutung, wenn man sie fana-
tisiren könnte, was wir keinem der Herrn zutrauen, welche sür die Herabsetzung
des Eintrittsgeldes schwärmen. Die Massen lassen sich wohl fauaiisircn, nur
nicht sür so weit aussehende Zwecke als die des Nationalvereins sind. Einst¬
weilen sind sie dem Vercinsprogramm gegenüber in tiefste Gleichgiltigkeit ver¬
sunken; ihre Heranziehung hätte augenscheinlich keinen anderen Zweck als den,
gewissen Vvllsrednern zu einer Stellung zu verhelfen, nach der sie bis jetzt
vergeblich getrachtet haben und die sie ohne Zweifel benutzen würden, um den
Mangel an Disciplin und Unterordnung, der ohnehin fühlbar genug ist, vollends
unerträglich und für die Sache des Vereins verderblich zu machen.

Wenn endlich ein besonderer Accent aus die freiheitliche Seite des Vereins¬
programms gelegt wird, so begreift sich das wohl aus der Verlegenheit um
ausreichende Beschäftigung, bleibt aber nichtsdestoweniger ein Mißgriff, der nur
aus gänzlicher Verkennung der Aufgabe der Nationalpartei erklärt werden kann.
In der That, wer nicht begreift, daß es gleichbedeutend mit Abdication ist,
wenn ein großer politischer Verein, der sich die Schaffung einer Centralgewalt
sür ganz Deutschland zur Aufgabe gemacht hat, sich aus Mangel an Stoss
mit der fortschrittlichen Agitation in den Einzelstaaten befaßt, dem ist nicht
zu helfen.

Auf diesem Wege also ist nicht vorwärts zu kommen. Was der National-
vcrcin braucht, sind Erfolge, praktische Erfolge. Solche Erfolge aber sind nicht
denkbar ohne reale Machtmittel und diese wiederum kann der Verein nur finden
in der Anlehnungan denjenigen Staat, dessen Anspruch aus die Führer-


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[0238] Hiermit steht die besondere Betonung der „freiheitlichen Seite" des Ver¬ einsprogramms, der wir diesmal überall begegnen, natürlich im engsten Zu¬ sammenhang. Es bedarf kaum des Nachweises, daß alle diese Pläne, weit entfernt das Ansehen des Vereins wiederherzustellen, denselben in der öffentlichen Meinung discreditiren müssen, falls sie von der Generalversammlung gebilligt werden. Was zunächst die Fortführung der rein theoretischen Agitation für Reichsver- fassung und Parlament betrifft, so ist ja gerade deren (in den Verhältnissen der letzten Jahre liegende) Unfruchtbarkeit, wie sich gezeigt hat, Schuld, daß der Nativnalvercin seinen Einfluß auf die deutsche Bewegung verloren hat. Alle Politik ist ihrem Wesen nach praktischer Natur. Der Erfolg bestimmt — immer vorausgesetzt, daß ihre Ziele sittliche d. h. wahrhaft nationale sind — ihren Werth und damit die Achtung, welche ihr gezollt wird. Eine Fortsetzung der bisherigen Agitation müßte uns demnach jetzt als baare Thorheit erscheinen. — Ebensowenig wird der Verein seine Ziele fordern, wenn er die Massen zu seinen Berathungen heranzöge. Die Kraft einer Partei pflegt nicht im Ver¬ hältniß ihrer Kopfzahl zu wachsen. Die Vetheiligung der Massen an der Thätigkeit des Vereines wäre nur dann von Bedeutung, wenn man sie fana- tisiren könnte, was wir keinem der Herrn zutrauen, welche sür die Herabsetzung des Eintrittsgeldes schwärmen. Die Massen lassen sich wohl fauaiisircn, nur nicht sür so weit aussehende Zwecke als die des Nationalvereins sind. Einst¬ weilen sind sie dem Vercinsprogramm gegenüber in tiefste Gleichgiltigkeit ver¬ sunken; ihre Heranziehung hätte augenscheinlich keinen anderen Zweck als den, gewissen Vvllsrednern zu einer Stellung zu verhelfen, nach der sie bis jetzt vergeblich getrachtet haben und die sie ohne Zweifel benutzen würden, um den Mangel an Disciplin und Unterordnung, der ohnehin fühlbar genug ist, vollends unerträglich und für die Sache des Vereins verderblich zu machen. Wenn endlich ein besonderer Accent aus die freiheitliche Seite des Vereins¬ programms gelegt wird, so begreift sich das wohl aus der Verlegenheit um ausreichende Beschäftigung, bleibt aber nichtsdestoweniger ein Mißgriff, der nur aus gänzlicher Verkennung der Aufgabe der Nationalpartei erklärt werden kann. In der That, wer nicht begreift, daß es gleichbedeutend mit Abdication ist, wenn ein großer politischer Verein, der sich die Schaffung einer Centralgewalt sür ganz Deutschland zur Aufgabe gemacht hat, sich aus Mangel an Stoss mit der fortschrittlichen Agitation in den Einzelstaaten befaßt, dem ist nicht zu helfen. Auf diesem Wege also ist nicht vorwärts zu kommen. Was der National- vcrcin braucht, sind Erfolge, praktische Erfolge. Solche Erfolge aber sind nicht denkbar ohne reale Machtmittel und diese wiederum kann der Verein nur finden in der Anlehnungan denjenigen Staat, dessen Anspruch aus die Führer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/238>, abgerufen am 03.07.2024.