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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Vasari sprach noch alle Gemälde aus dem Leben des heiligen Franz im Flügel
der obern Kirche, welche florentinische Hand verrathen, auf Cimabues Namen
an. Aber einem aufmerksamen Auge kann es kaum entgehen, wie mechanisch
die ersten dieser 28 Scenen sich ausnehmen, verglichen mit den folgenden, in
welchen zugleich mit der weiteren Entfaltung der Geschichte des Heiligen auch
die Kunst der Darstellung an Präcision in den Formen, an Leben und Jndivi-
dualistrung zunimmt, bis gegen das Ende der Reihe hin ein offenbar neues
Kunstidiom, eine andre Sprache von bedeutenderem Gcdankeninhalte zu uns
redet. Und dies ist Giotto.

Die erste zusammenhängende und selbständige Arbeit des jugendlichen Mei¬
sters bietet sich in den Allegorien auf die Tugenden des franziskanischen Ge¬
lübdes, die er an der Decke der unteren Kirche zu Assise in Fresko malte. Es
kann dem Urtheile Rumohrs nicht füglich widersprochen werden, wenn er diese
Gegenstände "mönchisch-kindisch" nennt. Deshalb ist es dem empfindlichen Aesthe¬
tiker darum zu thun, die Verantwortlichkeit für den Inhalt der Bilder von Giotto
hinwegzunehmen. Wenn er zu diesem Ende behauptet, daß sie lediglich als
Illustrationen der vorgeschriebenen franziskanischen Auffassung anzusehen seien,
welcher der Künstler eben nur die ausführende Hand zu leihen gehabt habe,
so ist auch dies billig zuzugeben; wenn er jedoch aus diesem Grunde jenen
Gemälden den Werth für die Beurtheilung Giottos und seines Geistes abspricht,
so thut er entschieden Unrecht. Denn allerdings bleibt trotz jener Einschrän¬
kungen noch Raum genug für eine Würdigung des Künstlers. War seine eigene
schöpferische Thätigkeit durch die Art der Aufgabe eingeengt, so fällt das Ge¬
wicht um so mehr auf das Wie der Ausführung. Nun aber wird jeder auf¬
merksame Beschauer zugestehn, daß man den Sinn dieses Cyklus in seiner gan¬
zen franziskanischen Mystik fast genau so deutlich von diesen Bildern ablesen kann,
Wie wenn die Ausdrucksweise Poesie oder Prosa wäre. Das absolute Verdienst
einer zutreffenden Illustration mag man so gering achten, wie man wolle; das
Verdienst eines guten Illustrators in dieser Zeit ist sehr erheblich. Denn man
darf nicht vergessen, daß die Kunst sich damals eben erst loszureißen begann
von dem erstarrten Schematismus einer fast nur ornamentalen Tendenz und
daß die Annäherung an die Formen des wirklichen Lebens, wie sie hier her¬
vortritt, einen ganz außerordentlichen Fortschritt bezeichnet und zwar nicht blos
einen technischen, sondern gerade einen geistigen. Ueberdies ist es bemerkens¬
werth, wie sich hier auch des Künstlers eigene Entwicklung in den Proportionen,
in der Naturempfindung, überhaupt in der harmonischen Durchbildung der Fi¬
guren kund giebt. Auch die lichtgraue Untermalung gegenüber der früheren
dunkelgrünlichen gehört hierher; sie bringt namentlich die Fleischpartien in rich¬
tigere Wirkung.

Und zwar ist diese Seite von Giottos Entwicklung von durchschlagender


3*

Vasari sprach noch alle Gemälde aus dem Leben des heiligen Franz im Flügel
der obern Kirche, welche florentinische Hand verrathen, auf Cimabues Namen
an. Aber einem aufmerksamen Auge kann es kaum entgehen, wie mechanisch
die ersten dieser 28 Scenen sich ausnehmen, verglichen mit den folgenden, in
welchen zugleich mit der weiteren Entfaltung der Geschichte des Heiligen auch
die Kunst der Darstellung an Präcision in den Formen, an Leben und Jndivi-
dualistrung zunimmt, bis gegen das Ende der Reihe hin ein offenbar neues
Kunstidiom, eine andre Sprache von bedeutenderem Gcdankeninhalte zu uns
redet. Und dies ist Giotto.

Die erste zusammenhängende und selbständige Arbeit des jugendlichen Mei¬
sters bietet sich in den Allegorien auf die Tugenden des franziskanischen Ge¬
lübdes, die er an der Decke der unteren Kirche zu Assise in Fresko malte. Es
kann dem Urtheile Rumohrs nicht füglich widersprochen werden, wenn er diese
Gegenstände „mönchisch-kindisch" nennt. Deshalb ist es dem empfindlichen Aesthe¬
tiker darum zu thun, die Verantwortlichkeit für den Inhalt der Bilder von Giotto
hinwegzunehmen. Wenn er zu diesem Ende behauptet, daß sie lediglich als
Illustrationen der vorgeschriebenen franziskanischen Auffassung anzusehen seien,
welcher der Künstler eben nur die ausführende Hand zu leihen gehabt habe,
so ist auch dies billig zuzugeben; wenn er jedoch aus diesem Grunde jenen
Gemälden den Werth für die Beurtheilung Giottos und seines Geistes abspricht,
so thut er entschieden Unrecht. Denn allerdings bleibt trotz jener Einschrän¬
kungen noch Raum genug für eine Würdigung des Künstlers. War seine eigene
schöpferische Thätigkeit durch die Art der Aufgabe eingeengt, so fällt das Ge¬
wicht um so mehr auf das Wie der Ausführung. Nun aber wird jeder auf¬
merksame Beschauer zugestehn, daß man den Sinn dieses Cyklus in seiner gan¬
zen franziskanischen Mystik fast genau so deutlich von diesen Bildern ablesen kann,
Wie wenn die Ausdrucksweise Poesie oder Prosa wäre. Das absolute Verdienst
einer zutreffenden Illustration mag man so gering achten, wie man wolle; das
Verdienst eines guten Illustrators in dieser Zeit ist sehr erheblich. Denn man
darf nicht vergessen, daß die Kunst sich damals eben erst loszureißen begann
von dem erstarrten Schematismus einer fast nur ornamentalen Tendenz und
daß die Annäherung an die Formen des wirklichen Lebens, wie sie hier her¬
vortritt, einen ganz außerordentlichen Fortschritt bezeichnet und zwar nicht blos
einen technischen, sondern gerade einen geistigen. Ueberdies ist es bemerkens¬
werth, wie sich hier auch des Künstlers eigene Entwicklung in den Proportionen,
in der Naturempfindung, überhaupt in der harmonischen Durchbildung der Fi¬
guren kund giebt. Auch die lichtgraue Untermalung gegenüber der früheren
dunkelgrünlichen gehört hierher; sie bringt namentlich die Fleischpartien in rich¬
tigere Wirkung.

Und zwar ist diese Seite von Giottos Entwicklung von durchschlagender


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[0023] Vasari sprach noch alle Gemälde aus dem Leben des heiligen Franz im Flügel der obern Kirche, welche florentinische Hand verrathen, auf Cimabues Namen an. Aber einem aufmerksamen Auge kann es kaum entgehen, wie mechanisch die ersten dieser 28 Scenen sich ausnehmen, verglichen mit den folgenden, in welchen zugleich mit der weiteren Entfaltung der Geschichte des Heiligen auch die Kunst der Darstellung an Präcision in den Formen, an Leben und Jndivi- dualistrung zunimmt, bis gegen das Ende der Reihe hin ein offenbar neues Kunstidiom, eine andre Sprache von bedeutenderem Gcdankeninhalte zu uns redet. Und dies ist Giotto. Die erste zusammenhängende und selbständige Arbeit des jugendlichen Mei¬ sters bietet sich in den Allegorien auf die Tugenden des franziskanischen Ge¬ lübdes, die er an der Decke der unteren Kirche zu Assise in Fresko malte. Es kann dem Urtheile Rumohrs nicht füglich widersprochen werden, wenn er diese Gegenstände „mönchisch-kindisch" nennt. Deshalb ist es dem empfindlichen Aesthe¬ tiker darum zu thun, die Verantwortlichkeit für den Inhalt der Bilder von Giotto hinwegzunehmen. Wenn er zu diesem Ende behauptet, daß sie lediglich als Illustrationen der vorgeschriebenen franziskanischen Auffassung anzusehen seien, welcher der Künstler eben nur die ausführende Hand zu leihen gehabt habe, so ist auch dies billig zuzugeben; wenn er jedoch aus diesem Grunde jenen Gemälden den Werth für die Beurtheilung Giottos und seines Geistes abspricht, so thut er entschieden Unrecht. Denn allerdings bleibt trotz jener Einschrän¬ kungen noch Raum genug für eine Würdigung des Künstlers. War seine eigene schöpferische Thätigkeit durch die Art der Aufgabe eingeengt, so fällt das Ge¬ wicht um so mehr auf das Wie der Ausführung. Nun aber wird jeder auf¬ merksame Beschauer zugestehn, daß man den Sinn dieses Cyklus in seiner gan¬ zen franziskanischen Mystik fast genau so deutlich von diesen Bildern ablesen kann, Wie wenn die Ausdrucksweise Poesie oder Prosa wäre. Das absolute Verdienst einer zutreffenden Illustration mag man so gering achten, wie man wolle; das Verdienst eines guten Illustrators in dieser Zeit ist sehr erheblich. Denn man darf nicht vergessen, daß die Kunst sich damals eben erst loszureißen begann von dem erstarrten Schematismus einer fast nur ornamentalen Tendenz und daß die Annäherung an die Formen des wirklichen Lebens, wie sie hier her¬ vortritt, einen ganz außerordentlichen Fortschritt bezeichnet und zwar nicht blos einen technischen, sondern gerade einen geistigen. Ueberdies ist es bemerkens¬ werth, wie sich hier auch des Künstlers eigene Entwicklung in den Proportionen, in der Naturempfindung, überhaupt in der harmonischen Durchbildung der Fi¬ guren kund giebt. Auch die lichtgraue Untermalung gegenüber der früheren dunkelgrünlichen gehört hierher; sie bringt namentlich die Fleischpartien in rich¬ tigere Wirkung. Und zwar ist diese Seite von Giottos Entwicklung von durchschlagender 3*

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/23>, abgerufen am 01.07.2024.