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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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gar keine Einsprache erheben durfte, daß die zu erzielende Dividende unter dem
Minimum bleiben würde, so konnten sie ganz nach Belieben wirthschaften und
dann sich ihre festgesetzten Procente vom Staate auszahlen lassen. Ferner ge¬
hörten die östreichischen Eisenbahntarifc von jeher zu den theuersten, so mußten
sie nach dem Zuschlagen des Agios vollends exorbitant werden, abgesehen von
den Nachtheilen, welche das sottwährende Schwanken der Tarife für den Han¬
del mit sich bringen mußte. Der Grundsatz, daß ein Kaufmann seine Waare
unter allen Umständen fixiren dürfe, wurde hier wohl das erste Mal aufgestellt.
Am allerschlimmste" aber war, daß die Negierung durch.dieses Zugeständniß
den abnormen Zustand ihrer Finanzen als den normalen hinstellte oder wenig¬
stens eine lange Dauer des Agios erwartete und damit aussprach, daß sie selbst
keine Hoffnung auf eine baldige Besserung der Finanzlage hegte.

Die Leitung des Betriebes übernahm der Franzose Marlet, welcher dafür
eine bis dahin in Oestreich unerhörte Besoldung und außerdem die Zusicherung
einer ihm nach seinem Rücktritte auszubezahlenden hohen Summe erhielt. Herr
Marlet war übrigens ganz der rechte Mann, um aus der ihm übertragenen
Anstalt den höchsten Gewinn herauszuschlagen. Was kümmerte deu Franzosen
das Wohl und Wehe des ihm untergebenen Personals, was kümmerten ihn
die Beschwerden des Publicums, wenn er seinen Auftraggebern nur die ge¬
wohnte Dividende in klingender Münze übersenden und für sich selbst eine
artige Summe als Tantieme einstreichen konnte! Die Negierung aber, welche
ihr Geld erhalten hatte, nahm sich weder ihrer ehemaligen Diener an, noch
gab sie den wiederholten Klagen des Publicums Gehör.

Der einmal eingeschlagene Weg wurde nun sowohl von den Kapitalisten
als von der Regierung weiter verfolgt. Mehre Bahnen wurden in Angriff ge¬
nommen und alle erhielten die Bewilligung zum EinHeben des Agiozuschlages
oder wenigstens die Zinsengarantie. Der Schwindel bemächtigte sich der Sache
und die Papiere wurden in die Höhe getrieben, um -- wie es meistens der
Fall war -- nach eröffnetem Verkehr weit unter den Nennwcrth hinabzusinken.

Zugleich übt>e der Mißbrauch, welcher mit der Zahl und Besoldung der
Verwaltungsräthe getrieben wurde, in mehrfacher Hinsicht einen nachtheiligen
Einfluß aus. Kleine Bahnen mit geringem Ertrag hatten gleichwohl fünf¬
zehn bis achtzehn Verwaltungsräthe, deren hohe Tantiemen (eigentlich sind es
fixe Besoldungen) oft den dritten Theil des Neingewinnes aufzehrten. Auch
gab es Persönlichkeiten, welche bei zehn verschiedenen Anstalten als Verwal¬
tungsräthe fungirten und sonach ein wahrhaft dorrendes Einkommen bezogen.
War der Dienst anstrengend, so mußte nothwendig ein solcher Verwaltungsrath
über dem Einen das Andere vernachlässigen, wenn nicht etwa gar das Interesse
der einen von ihm vertretenen Anstalt jenem einer anderen direkt entgegenstand;
War aber die Stellung eines Verwaltungsrathes mehr Titel als wirkliches Amt.


Grenzboten IV. 1864. 29

gar keine Einsprache erheben durfte, daß die zu erzielende Dividende unter dem
Minimum bleiben würde, so konnten sie ganz nach Belieben wirthschaften und
dann sich ihre festgesetzten Procente vom Staate auszahlen lassen. Ferner ge¬
hörten die östreichischen Eisenbahntarifc von jeher zu den theuersten, so mußten
sie nach dem Zuschlagen des Agios vollends exorbitant werden, abgesehen von
den Nachtheilen, welche das sottwährende Schwanken der Tarife für den Han¬
del mit sich bringen mußte. Der Grundsatz, daß ein Kaufmann seine Waare
unter allen Umständen fixiren dürfe, wurde hier wohl das erste Mal aufgestellt.
Am allerschlimmste» aber war, daß die Negierung durch.dieses Zugeständniß
den abnormen Zustand ihrer Finanzen als den normalen hinstellte oder wenig¬
stens eine lange Dauer des Agios erwartete und damit aussprach, daß sie selbst
keine Hoffnung auf eine baldige Besserung der Finanzlage hegte.

Die Leitung des Betriebes übernahm der Franzose Marlet, welcher dafür
eine bis dahin in Oestreich unerhörte Besoldung und außerdem die Zusicherung
einer ihm nach seinem Rücktritte auszubezahlenden hohen Summe erhielt. Herr
Marlet war übrigens ganz der rechte Mann, um aus der ihm übertragenen
Anstalt den höchsten Gewinn herauszuschlagen. Was kümmerte deu Franzosen
das Wohl und Wehe des ihm untergebenen Personals, was kümmerten ihn
die Beschwerden des Publicums, wenn er seinen Auftraggebern nur die ge¬
wohnte Dividende in klingender Münze übersenden und für sich selbst eine
artige Summe als Tantieme einstreichen konnte! Die Negierung aber, welche
ihr Geld erhalten hatte, nahm sich weder ihrer ehemaligen Diener an, noch
gab sie den wiederholten Klagen des Publicums Gehör.

Der einmal eingeschlagene Weg wurde nun sowohl von den Kapitalisten
als von der Regierung weiter verfolgt. Mehre Bahnen wurden in Angriff ge¬
nommen und alle erhielten die Bewilligung zum EinHeben des Agiozuschlages
oder wenigstens die Zinsengarantie. Der Schwindel bemächtigte sich der Sache
und die Papiere wurden in die Höhe getrieben, um — wie es meistens der
Fall war — nach eröffnetem Verkehr weit unter den Nennwcrth hinabzusinken.

Zugleich übt>e der Mißbrauch, welcher mit der Zahl und Besoldung der
Verwaltungsräthe getrieben wurde, in mehrfacher Hinsicht einen nachtheiligen
Einfluß aus. Kleine Bahnen mit geringem Ertrag hatten gleichwohl fünf¬
zehn bis achtzehn Verwaltungsräthe, deren hohe Tantiemen (eigentlich sind es
fixe Besoldungen) oft den dritten Theil des Neingewinnes aufzehrten. Auch
gab es Persönlichkeiten, welche bei zehn verschiedenen Anstalten als Verwal¬
tungsräthe fungirten und sonach ein wahrhaft dorrendes Einkommen bezogen.
War der Dienst anstrengend, so mußte nothwendig ein solcher Verwaltungsrath
über dem Einen das Andere vernachlässigen, wenn nicht etwa gar das Interesse
der einen von ihm vertretenen Anstalt jenem einer anderen direkt entgegenstand;
War aber die Stellung eines Verwaltungsrathes mehr Titel als wirkliches Amt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/229>, abgerufen am 01.10.2024.