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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Häufig begegnet man unter den Wenden noch dem Glauben an bösartige
"Unnererdsche", weiche ungetauften Kindern nachstellen und sie mit ihren Wechsel¬
bälgen vertauschen, wogegen man sich dadurch sicherstellen kann, das man bei
der Wiege Tag und Nacht ein Licht brennt; indeß wird das jetzt nicht mehr
beobachtet, da die dösen Zwerge nicht mehr bemerkt werden. Vermuthlich scheuen
sie das große Licht der Aufklärung, welches auch in die Höfe dieser Bauern
schon ziemlich helle Strahlen wirft.

Eigen ist die Meinung, daß die Zimmergesellen mehr als Brot essen, daß
sie namentlich "bannen" tonnen, so daß derjenige, welcher ihnen von ihren
Gerathen etwas entwendet, sich durch unerklärlichen Zwang getrieben fühlt, es
zurückzubringen. Ist sonst ein Diebstahl verübt, so rathen die "klugen Leute"
die Erde der Fußspuren in einen Sack zu thun und in den Rauch zu hängen;
der Dieb muß darauf jämmerlich vergehen. Frevel ist es, einen Becher zu ver¬
brennen. Kralle das Heerdfeuer, so muß man sogleich dreimal hineinspucken,
sonst giebt es Streit in der Wirthschaft. Bei körperlichen Gebrechen wird viel
mit Sympathie und Besprechen zu heilen versucht und es giebt zahllose Sprüche
gegen das kalte Fieber, gegen 'Reißen, Rose, Zahnweh u. tgi. Blutunter¬
laufene Augen werden besser, wenn mau rohes Fleisch auflegt, welches aber
gestohlen sein muß. Unter dem altheiliger Hollunder werden nächtlich entweder
stillschweigend oder mit Bannsprüchen großartige Kuren gemacht, wobei man
in Töpfen Lappen und Bandagen schlimmer Wunden oder Hemden von Kranken
an seinem Stamme vergräbt. Namentlich wird man auf diese Weise die "Tehrcr"
(Zehrer) los, von denen sich nur ermittln läßt, daß es geheimnißvolle kleine
Wesen sind, welche in den Kranken zu sitzen und die Ursache seines Leidens
zu sein scheinen -- vielleicht die "Mitesser", welche in Sachsen die Kinder
haben, die nicht gedeihen wollen. Heißt es von einem Siechen "he hett Tehrcr"
so begiebt sich eines von seinen Angehörigen mit etwas Flachs, Garn und
Grütze unter den Hollunderbusch im Garten und spricht, diese Gaben hinlegend
den Spruch:

Also ein Opfer wird gebracht zur Beschwichtigung. Dann schneidet der Be¬
treffende einige Zweige von dem Hollunderbusch. steckt dieselben in die Erde,
und alsbald ist (woran, sagt unsre Quelle nicht) zu sehen, wieviele "Tehrer"
der Kranke gehabt hat, die ihn nunmehr verlassen haben.

Unter den Vögeln gilt, wie überall, die Schwalbe und ebenso der Storch
-- hier "Heinotter" genannt -- für besonders glückbringend. Wie der Wende
sein Wetter macht, wie er Zeit und Stunde seiner Feldarbeiten abergläubisch


Häufig begegnet man unter den Wenden noch dem Glauben an bösartige
„Unnererdsche", weiche ungetauften Kindern nachstellen und sie mit ihren Wechsel¬
bälgen vertauschen, wogegen man sich dadurch sicherstellen kann, das man bei
der Wiege Tag und Nacht ein Licht brennt; indeß wird das jetzt nicht mehr
beobachtet, da die dösen Zwerge nicht mehr bemerkt werden. Vermuthlich scheuen
sie das große Licht der Aufklärung, welches auch in die Höfe dieser Bauern
schon ziemlich helle Strahlen wirft.

Eigen ist die Meinung, daß die Zimmergesellen mehr als Brot essen, daß
sie namentlich „bannen" tonnen, so daß derjenige, welcher ihnen von ihren
Gerathen etwas entwendet, sich durch unerklärlichen Zwang getrieben fühlt, es
zurückzubringen. Ist sonst ein Diebstahl verübt, so rathen die „klugen Leute"
die Erde der Fußspuren in einen Sack zu thun und in den Rauch zu hängen;
der Dieb muß darauf jämmerlich vergehen. Frevel ist es, einen Becher zu ver¬
brennen. Kralle das Heerdfeuer, so muß man sogleich dreimal hineinspucken,
sonst giebt es Streit in der Wirthschaft. Bei körperlichen Gebrechen wird viel
mit Sympathie und Besprechen zu heilen versucht und es giebt zahllose Sprüche
gegen das kalte Fieber, gegen 'Reißen, Rose, Zahnweh u. tgi. Blutunter¬
laufene Augen werden besser, wenn mau rohes Fleisch auflegt, welches aber
gestohlen sein muß. Unter dem altheiliger Hollunder werden nächtlich entweder
stillschweigend oder mit Bannsprüchen großartige Kuren gemacht, wobei man
in Töpfen Lappen und Bandagen schlimmer Wunden oder Hemden von Kranken
an seinem Stamme vergräbt. Namentlich wird man auf diese Weise die „Tehrcr"
(Zehrer) los, von denen sich nur ermittln läßt, daß es geheimnißvolle kleine
Wesen sind, welche in den Kranken zu sitzen und die Ursache seines Leidens
zu sein scheinen — vielleicht die „Mitesser", welche in Sachsen die Kinder
haben, die nicht gedeihen wollen. Heißt es von einem Siechen „he hett Tehrcr"
so begiebt sich eines von seinen Angehörigen mit etwas Flachs, Garn und
Grütze unter den Hollunderbusch im Garten und spricht, diese Gaben hinlegend
den Spruch:

Also ein Opfer wird gebracht zur Beschwichtigung. Dann schneidet der Be¬
treffende einige Zweige von dem Hollunderbusch. steckt dieselben in die Erde,
und alsbald ist (woran, sagt unsre Quelle nicht) zu sehen, wieviele „Tehrer"
der Kranke gehabt hat, die ihn nunmehr verlassen haben.

Unter den Vögeln gilt, wie überall, die Schwalbe und ebenso der Storch
— hier „Heinotter" genannt — für besonders glückbringend. Wie der Wende
sein Wetter macht, wie er Zeit und Stunde seiner Feldarbeiten abergläubisch


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[0220] Häufig begegnet man unter den Wenden noch dem Glauben an bösartige „Unnererdsche", weiche ungetauften Kindern nachstellen und sie mit ihren Wechsel¬ bälgen vertauschen, wogegen man sich dadurch sicherstellen kann, das man bei der Wiege Tag und Nacht ein Licht brennt; indeß wird das jetzt nicht mehr beobachtet, da die dösen Zwerge nicht mehr bemerkt werden. Vermuthlich scheuen sie das große Licht der Aufklärung, welches auch in die Höfe dieser Bauern schon ziemlich helle Strahlen wirft. Eigen ist die Meinung, daß die Zimmergesellen mehr als Brot essen, daß sie namentlich „bannen" tonnen, so daß derjenige, welcher ihnen von ihren Gerathen etwas entwendet, sich durch unerklärlichen Zwang getrieben fühlt, es zurückzubringen. Ist sonst ein Diebstahl verübt, so rathen die „klugen Leute" die Erde der Fußspuren in einen Sack zu thun und in den Rauch zu hängen; der Dieb muß darauf jämmerlich vergehen. Frevel ist es, einen Becher zu ver¬ brennen. Kralle das Heerdfeuer, so muß man sogleich dreimal hineinspucken, sonst giebt es Streit in der Wirthschaft. Bei körperlichen Gebrechen wird viel mit Sympathie und Besprechen zu heilen versucht und es giebt zahllose Sprüche gegen das kalte Fieber, gegen 'Reißen, Rose, Zahnweh u. tgi. Blutunter¬ laufene Augen werden besser, wenn mau rohes Fleisch auflegt, welches aber gestohlen sein muß. Unter dem altheiliger Hollunder werden nächtlich entweder stillschweigend oder mit Bannsprüchen großartige Kuren gemacht, wobei man in Töpfen Lappen und Bandagen schlimmer Wunden oder Hemden von Kranken an seinem Stamme vergräbt. Namentlich wird man auf diese Weise die „Tehrcr" (Zehrer) los, von denen sich nur ermittln läßt, daß es geheimnißvolle kleine Wesen sind, welche in den Kranken zu sitzen und die Ursache seines Leidens zu sein scheinen — vielleicht die „Mitesser", welche in Sachsen die Kinder haben, die nicht gedeihen wollen. Heißt es von einem Siechen „he hett Tehrcr" so begiebt sich eines von seinen Angehörigen mit etwas Flachs, Garn und Grütze unter den Hollunderbusch im Garten und spricht, diese Gaben hinlegend den Spruch: Also ein Opfer wird gebracht zur Beschwichtigung. Dann schneidet der Be¬ treffende einige Zweige von dem Hollunderbusch. steckt dieselben in die Erde, und alsbald ist (woran, sagt unsre Quelle nicht) zu sehen, wieviele „Tehrer" der Kranke gehabt hat, die ihn nunmehr verlassen haben. Unter den Vögeln gilt, wie überall, die Schwalbe und ebenso der Storch — hier „Heinotter" genannt — für besonders glückbringend. Wie der Wende sein Wetter macht, wie er Zeit und Stunde seiner Feldarbeiten abergläubisch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/220>, abgerufen am 03.07.2024.