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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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demselben einen Sterbefall. Wo die Sargträger beim Zug nach dem Grabe
Rast machen, wo der Spaten, mit dem man dasselbe zuwirft, nachdem er
weggelegt worden, hinzeigt, stirbt nächstens eine Person. Beim Fortschaffen
der Leiche gießt man ihr einen Eimer Wasser nacb, damit sie nicht wieder¬
kommt und das Haus als Spuk belästigt, u. s. w.

Der Aberglaube, der sich an die Taufe Neugeborner heftet, ist ungemein
vielgestaltig. Einiges wurde bereits erwähnt. Im Folgendem noch ein paar
Proben. Vor der Taufe darf man den Namen, der dem Kinde bestimmt ist,
nicht nennen, sonst lernt es schwer sprechen. Zwei Kinder verschiedenen Ge¬
schlechts mit demselben Wasser zu taufen macht den Knaben zu einem Mädchen¬
jäger, das Mädchen mannstoll, auch bekommt letztere dann leicht einen Bart.
Damit der Täufling behend und rasch werde, muß der jüngste Gevatter bei
der Heimkehr aus der Kirche so schnell wie möglich mit ihm über die Tenne
nacb der Stube der Mutter laufen. Eine Frau in gesegneten Umständen darf
keinen Wagen schmieren, sonst wird das Kind schmutzig, sich beim Vorbeigehen
an etwas Uebelriechendcn nicht Mund und Nase zuhalten, sonst kriegt es einen
schlechten Athem, nicht direct aus der Flasche trinken, sonst wird es an Be-
klemung beim Athemholen leiden. Kocht sie, was spritzt, so giebts bei dem
Kinde Maale, schabt sie gelbe Wurzeln, so bekommt dasselbe Sommersprossen,
gute sie durch ein Schlüsselloch. so lernt es schielen. Ist eine Frau, welche
säugt, so unbedachtsam, wenn sie sich Essen aus dein Schranke holt, es vor
demselben zu verzehren, so wird ihr Kind nicht mehr satt. Doch läßt sich dieser
Zauber unschädlich machen, wenn man das Kind in den Schrank legt und die
Mutter dann neun verschiedene Arbeiten verrichten läßt. Kann ein neugebornes
nicht schlafen, so thut man ihm Eulenfedern in die Wiege; damit es erwachsen
hübsch im Lande bleibe, nicht weit wegkomme, behalten die Gevattern beim
Kindtaufsschmausc die Hüte auf, und so fort ins Unendliche.

Auch an die Hochzeiten knüpft sich mancher eigne alte Brauch. Um dem
neuen Haushalt Glück und Gedeihen zu sichern, reicht man dem Brautpaar bei der
Rückkehr von der Trauung einen Teller mit Suppe, die aus allen möglichen
Getreidearten und Proben von Viehfutter bereitet ist. Ein gutes Mittel, sich
reichlich Ernten zu sichern, ist, daß Bräutigam oder Braut sich vor dem Gang
zur Kirche einige Körner Weizen, Roggen oder Hafer in die Schuhe legen.
Prügel kann die Frau von ihrem Manne nie bekommen, wenn es ihr gelingt,
dem Bräutigam unbemerkt ein Stöckchen in das Halstuch zu schieben. Verlangt
sie nach der Herrschaft im Hause, so braucht sie nur in der Brautnacht sich
heimlich der Hosen ihres Jan Jöcher oder Jochen Hinncrk zu bemächtigen und
darauf zu schlafen. Daß ihr so das Regiment nicht entgehen kann, zeigen,
wie unsre Quelle sagt, im Wendland zahlreiche Exempel von Ehemännern, die
unter dem Pantoffel find.


demselben einen Sterbefall. Wo die Sargträger beim Zug nach dem Grabe
Rast machen, wo der Spaten, mit dem man dasselbe zuwirft, nachdem er
weggelegt worden, hinzeigt, stirbt nächstens eine Person. Beim Fortschaffen
der Leiche gießt man ihr einen Eimer Wasser nacb, damit sie nicht wieder¬
kommt und das Haus als Spuk belästigt, u. s. w.

Der Aberglaube, der sich an die Taufe Neugeborner heftet, ist ungemein
vielgestaltig. Einiges wurde bereits erwähnt. Im Folgendem noch ein paar
Proben. Vor der Taufe darf man den Namen, der dem Kinde bestimmt ist,
nicht nennen, sonst lernt es schwer sprechen. Zwei Kinder verschiedenen Ge¬
schlechts mit demselben Wasser zu taufen macht den Knaben zu einem Mädchen¬
jäger, das Mädchen mannstoll, auch bekommt letztere dann leicht einen Bart.
Damit der Täufling behend und rasch werde, muß der jüngste Gevatter bei
der Heimkehr aus der Kirche so schnell wie möglich mit ihm über die Tenne
nacb der Stube der Mutter laufen. Eine Frau in gesegneten Umständen darf
keinen Wagen schmieren, sonst wird das Kind schmutzig, sich beim Vorbeigehen
an etwas Uebelriechendcn nicht Mund und Nase zuhalten, sonst kriegt es einen
schlechten Athem, nicht direct aus der Flasche trinken, sonst wird es an Be-
klemung beim Athemholen leiden. Kocht sie, was spritzt, so giebts bei dem
Kinde Maale, schabt sie gelbe Wurzeln, so bekommt dasselbe Sommersprossen,
gute sie durch ein Schlüsselloch. so lernt es schielen. Ist eine Frau, welche
säugt, so unbedachtsam, wenn sie sich Essen aus dein Schranke holt, es vor
demselben zu verzehren, so wird ihr Kind nicht mehr satt. Doch läßt sich dieser
Zauber unschädlich machen, wenn man das Kind in den Schrank legt und die
Mutter dann neun verschiedene Arbeiten verrichten läßt. Kann ein neugebornes
nicht schlafen, so thut man ihm Eulenfedern in die Wiege; damit es erwachsen
hübsch im Lande bleibe, nicht weit wegkomme, behalten die Gevattern beim
Kindtaufsschmausc die Hüte auf, und so fort ins Unendliche.

Auch an die Hochzeiten knüpft sich mancher eigne alte Brauch. Um dem
neuen Haushalt Glück und Gedeihen zu sichern, reicht man dem Brautpaar bei der
Rückkehr von der Trauung einen Teller mit Suppe, die aus allen möglichen
Getreidearten und Proben von Viehfutter bereitet ist. Ein gutes Mittel, sich
reichlich Ernten zu sichern, ist, daß Bräutigam oder Braut sich vor dem Gang
zur Kirche einige Körner Weizen, Roggen oder Hafer in die Schuhe legen.
Prügel kann die Frau von ihrem Manne nie bekommen, wenn es ihr gelingt,
dem Bräutigam unbemerkt ein Stöckchen in das Halstuch zu schieben. Verlangt
sie nach der Herrschaft im Hause, so braucht sie nur in der Brautnacht sich
heimlich der Hosen ihres Jan Jöcher oder Jochen Hinncrk zu bemächtigen und
darauf zu schlafen. Daß ihr so das Regiment nicht entgehen kann, zeigen,
wie unsre Quelle sagt, im Wendland zahlreiche Exempel von Ehemännern, die
unter dem Pantoffel find.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/219>, abgerufen am 01.10.2024.