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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Dem Tode sieht der Wende ohne Furcht entgegen. Alte Leute halten oft
Jahre lang das zu ihrem Sarge bestimmte Holz bereit. Der Verstorbene wird in
seinem besten Staat begraben und durch einen Leichenschmaus geehrt. Bevor der
Leichenzug sich in Bewegung setzt, treten die nächsten männlichen und weiblichen
Verwandten des Todten, letztere in weiße Betttücher gehüllt (auch in der Lausitz
trauert man weiß) an die Bahre und nehmen laut jammernd von ihm Abschied.

Von Volksfesten der Wenden find zunächst die "Bauerbierc" zu erwähnen,
welche in die Zeit zwischen Ostern und Johannis fallen, gewöhnlich drei
Tage dauern und mit fleißigem Trinken und Tanzen gefeiert werden. Das
ganze Dorf ist dann mit Laub und Blumen geschmückt und bisweilen giebt es
ein Wettreiten nach einem von den Mädchen gelieferten Kranze. Eine andere
Festlichkeit ist der "Aust", der Tag, wo unter Musikbegleitung der letzte Roggen
oder Weizen in der Feldmark gemäht und dann der Reihe nach in jedem Ge¬
höft getanzt wird. Wieder ein anderes Fest ist das "Kreienbier", welches acht
Tage nach Ostern, am sogenannten weißen Sonntag gefeiert wird und, von
dem früheren Gebrauch, durch die Knechte um diese Zeit die Nester der Krähen
zerstören zu lassen, herstammend, vorzüglich für die Dienstleute der Bauern
bestimmt ist. Endlich sind auch die Jahrmärkte in Lüchow und Trebel, das
Schützenfest zu Lüchow und das Erntefest zu Wustrow als Volksfeste des
Wendlandes anzusehen.

Zum Schluß noch einige Mittheilungen über die unter den Wenden
Hannovers herrschenden abergläubischen Meinungen und Gebräuche. Dahin
gehört vor allem der Glaube an sogenannte "Dubbelsüger" oder Vampyre.
Die Entstehung eines solchen wird folgendermaßen erklärt: Wird ein bereits
entwöhntes Kind nochmals an die Brust der Mutter gelegt, so bekommt es die
Eigenschaft, nach seinem Tode im Grabe mit den nicht verwesenden Lippen die
fleischigen Theile der eignen Brust aufzusaugen und auf diese Weise seinen
nächsten Angehörigen die Lebenskraft zu entziehen. Weih man von einem Ver¬
storbenen, daß er ein Dubbelsüger ist, so steckt man ihm vor der Beerdigung
ein Geldstück, auf dem sich ein Andreaskreuz befindet, zwischen die Zähne oder
legt ihm, ein halbkreisförmig ausgehegtes Brot wie einen Kragen unter das
Kinn, so daß Mund und Brust vollständig getrennt sind. Damit der Vampyr
nicht wieder ins Haus komme, hebt man beim Heraustragen der Leiche die be¬
wegliche Schwelle von der Hauptthür der Diele ("de sull") empor und läßt
die Träger mit dem Sarge unter ihr hindurch, worauf man die Schwelle wieder
fest in das Fundament hincindrückt. So ist die Rückkehr zur Unmöglichkeit
gemacht; denn der Dubbelsüger kann sie nur auf dein Wege bewerkstelligen,
auf welchem er hinausgelangt ist. ,

Andere hierher gehörige Vorstellungen und Regeln der Altgläubischen sind
folgende: Eulengeschrei und Hundegeheul in der Nähe eines Hauses verkündet


Dem Tode sieht der Wende ohne Furcht entgegen. Alte Leute halten oft
Jahre lang das zu ihrem Sarge bestimmte Holz bereit. Der Verstorbene wird in
seinem besten Staat begraben und durch einen Leichenschmaus geehrt. Bevor der
Leichenzug sich in Bewegung setzt, treten die nächsten männlichen und weiblichen
Verwandten des Todten, letztere in weiße Betttücher gehüllt (auch in der Lausitz
trauert man weiß) an die Bahre und nehmen laut jammernd von ihm Abschied.

Von Volksfesten der Wenden find zunächst die „Bauerbierc" zu erwähnen,
welche in die Zeit zwischen Ostern und Johannis fallen, gewöhnlich drei
Tage dauern und mit fleißigem Trinken und Tanzen gefeiert werden. Das
ganze Dorf ist dann mit Laub und Blumen geschmückt und bisweilen giebt es
ein Wettreiten nach einem von den Mädchen gelieferten Kranze. Eine andere
Festlichkeit ist der „Aust", der Tag, wo unter Musikbegleitung der letzte Roggen
oder Weizen in der Feldmark gemäht und dann der Reihe nach in jedem Ge¬
höft getanzt wird. Wieder ein anderes Fest ist das „Kreienbier", welches acht
Tage nach Ostern, am sogenannten weißen Sonntag gefeiert wird und, von
dem früheren Gebrauch, durch die Knechte um diese Zeit die Nester der Krähen
zerstören zu lassen, herstammend, vorzüglich für die Dienstleute der Bauern
bestimmt ist. Endlich sind auch die Jahrmärkte in Lüchow und Trebel, das
Schützenfest zu Lüchow und das Erntefest zu Wustrow als Volksfeste des
Wendlandes anzusehen.

Zum Schluß noch einige Mittheilungen über die unter den Wenden
Hannovers herrschenden abergläubischen Meinungen und Gebräuche. Dahin
gehört vor allem der Glaube an sogenannte „Dubbelsüger" oder Vampyre.
Die Entstehung eines solchen wird folgendermaßen erklärt: Wird ein bereits
entwöhntes Kind nochmals an die Brust der Mutter gelegt, so bekommt es die
Eigenschaft, nach seinem Tode im Grabe mit den nicht verwesenden Lippen die
fleischigen Theile der eignen Brust aufzusaugen und auf diese Weise seinen
nächsten Angehörigen die Lebenskraft zu entziehen. Weih man von einem Ver¬
storbenen, daß er ein Dubbelsüger ist, so steckt man ihm vor der Beerdigung
ein Geldstück, auf dem sich ein Andreaskreuz befindet, zwischen die Zähne oder
legt ihm, ein halbkreisförmig ausgehegtes Brot wie einen Kragen unter das
Kinn, so daß Mund und Brust vollständig getrennt sind. Damit der Vampyr
nicht wieder ins Haus komme, hebt man beim Heraustragen der Leiche die be¬
wegliche Schwelle von der Hauptthür der Diele („de sull") empor und läßt
die Träger mit dem Sarge unter ihr hindurch, worauf man die Schwelle wieder
fest in das Fundament hincindrückt. So ist die Rückkehr zur Unmöglichkeit
gemacht; denn der Dubbelsüger kann sie nur auf dein Wege bewerkstelligen,
auf welchem er hinausgelangt ist. ,

Andere hierher gehörige Vorstellungen und Regeln der Altgläubischen sind
folgende: Eulengeschrei und Hundegeheul in der Nähe eines Hauses verkündet


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[0218] Dem Tode sieht der Wende ohne Furcht entgegen. Alte Leute halten oft Jahre lang das zu ihrem Sarge bestimmte Holz bereit. Der Verstorbene wird in seinem besten Staat begraben und durch einen Leichenschmaus geehrt. Bevor der Leichenzug sich in Bewegung setzt, treten die nächsten männlichen und weiblichen Verwandten des Todten, letztere in weiße Betttücher gehüllt (auch in der Lausitz trauert man weiß) an die Bahre und nehmen laut jammernd von ihm Abschied. Von Volksfesten der Wenden find zunächst die „Bauerbierc" zu erwähnen, welche in die Zeit zwischen Ostern und Johannis fallen, gewöhnlich drei Tage dauern und mit fleißigem Trinken und Tanzen gefeiert werden. Das ganze Dorf ist dann mit Laub und Blumen geschmückt und bisweilen giebt es ein Wettreiten nach einem von den Mädchen gelieferten Kranze. Eine andere Festlichkeit ist der „Aust", der Tag, wo unter Musikbegleitung der letzte Roggen oder Weizen in der Feldmark gemäht und dann der Reihe nach in jedem Ge¬ höft getanzt wird. Wieder ein anderes Fest ist das „Kreienbier", welches acht Tage nach Ostern, am sogenannten weißen Sonntag gefeiert wird und, von dem früheren Gebrauch, durch die Knechte um diese Zeit die Nester der Krähen zerstören zu lassen, herstammend, vorzüglich für die Dienstleute der Bauern bestimmt ist. Endlich sind auch die Jahrmärkte in Lüchow und Trebel, das Schützenfest zu Lüchow und das Erntefest zu Wustrow als Volksfeste des Wendlandes anzusehen. Zum Schluß noch einige Mittheilungen über die unter den Wenden Hannovers herrschenden abergläubischen Meinungen und Gebräuche. Dahin gehört vor allem der Glaube an sogenannte „Dubbelsüger" oder Vampyre. Die Entstehung eines solchen wird folgendermaßen erklärt: Wird ein bereits entwöhntes Kind nochmals an die Brust der Mutter gelegt, so bekommt es die Eigenschaft, nach seinem Tode im Grabe mit den nicht verwesenden Lippen die fleischigen Theile der eignen Brust aufzusaugen und auf diese Weise seinen nächsten Angehörigen die Lebenskraft zu entziehen. Weih man von einem Ver¬ storbenen, daß er ein Dubbelsüger ist, so steckt man ihm vor der Beerdigung ein Geldstück, auf dem sich ein Andreaskreuz befindet, zwischen die Zähne oder legt ihm, ein halbkreisförmig ausgehegtes Brot wie einen Kragen unter das Kinn, so daß Mund und Brust vollständig getrennt sind. Damit der Vampyr nicht wieder ins Haus komme, hebt man beim Heraustragen der Leiche die be¬ wegliche Schwelle von der Hauptthür der Diele („de sull") empor und läßt die Träger mit dem Sarge unter ihr hindurch, worauf man die Schwelle wieder fest in das Fundament hincindrückt. So ist die Rückkehr zur Unmöglichkeit gemacht; denn der Dubbelsüger kann sie nur auf dein Wege bewerkstelligen, auf welchem er hinausgelangt ist. , Andere hierher gehörige Vorstellungen und Regeln der Altgläubischen sind folgende: Eulengeschrei und Hundegeheul in der Nähe eines Hauses verkündet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/218>, abgerufen am 03.07.2024.