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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Besteuerten gleichmäßig einen erhöhten Einfluß gewinnen. Da die Classen nach
den Stcuererträgcn der einzelnen Gemeinde, respective des Bezirkes gebil¬
det werden, so hängt es ganz von dem Zufall der Steuerkraft der Gemeinde
oder des Bezirkes ab, wie hoch der unterscheidende Census in dem einzelnen
Falle greift. Es kann geschehen und es ist ohne Zweifel schon mehrmals ge¬
schehen, daß jemand, der in einem reichen Stadtviertel, z. B. im Geheim-
rathsviertel Berlins nach seinem Steuersatz in der dritten Classe zu wählen
hätte, in einer andern Gemeinde domicilircnd in der ersten Wählcrclasse der¬
selben sigurirt, ja der einzige Wähler erster Classe in seinem Wahlbezirk ist.
Die Schleswig-holsteinische Verfassung dagegen giebt den mit einem bestimmten
Grundeigenthum Angefesselten oder mit einem bestimmten Satze Besteuerten für
alle Eventualitäten einen bestimmt bemessenen Einfluß.

Die im Obigen widerlegten Einwürfe gegen die Septemberverfassung sind
die wichtigsten, die man vom conservativen Standpunkte, sofern sich den An¬
schauungen desselben nicht andere Elemente, nicht Wünsche nach Erweiterung
de'r preußischen Machtsphcirc beigesellen, geltend machen kann. Was man sonst
etwa an dem Staatsgrundgesetz tadelt, ist weniger wichtig. So der Art. 28,
nach welchem kein Staatsbürger gezwungen werden kann, eine Abgabe an den
Staat zu zahlen, welche nicht auf die durch das Staatsgrundgcsetz angeordnete
Weise bewilligt worden ist. Und so der damit verwandte Art. 140, welcher
festsetzt, daß keine Behörde befugt ist, Steuern zu erheben und Lasten aufzule¬
gen, wenn dieselben nicht durch das Gesetz ausgeschrieben sind. Auch diese Ar¬
tikel haben bei genauerer Prüfung nichts Bedenkliches.. Sie sind, näher be¬
trachtet, nur eine Folge des constitutionellen Staatsrechts, der wir auch in dem
Grundgesetz Schleswig-Holsteins begegnen, und die dahin lautet, daß Steuern
nur auf gesetzlichem Wege, d. h, nur mit Einwilligung der Vertreter des Lan¬
des auferlegt werden dürsen. Sodann aber läßt sich diesen Artikeln sofort aus
der Verfassung selbst ein Correctiv zur Seite stellen, der Art. 113 nämlich,
welcher besagt: "Die Frage, ob ein Gesetz auf verfassungsmäßigen Wege zu
Stande gekommen, gehört nicht zur richterlichen Beurtheilung." Die Irrungen
sind bekannt, welche durch die entgegengesetzt lautende Bestimmung der Ver¬
fassung Kurhesseus von 1831 hervorgerufen wurden und welche als Haupt¬
beweis dafür gelten, daß sich mit dieser Verfassung nicht regieren ließe.

Mit dem Maße der preußischen Hochtory-Partei darf man die schleswig¬
holsteinische Verfassung freilich nicht messen, wenn sie Geltung behalten soll.
Denn daß sie liberal ist, kann nicht bezweifelt werden. Art. 11 erklärt, daß
alle Staatsbürger gleich vor dem Gesetz sind, Art. 16, daß die Freiheit der
Person unverletzlich ist; Art. 20 verleiht unbeschränktes Petitionsrecht. Art. 21
sagt: "Das Recht, Vereine zu bilden, wird anerkannt. Dasselbe darf durch
keine vorbeugende Maßregel beschränkt werden," wozu Art. 22 ein beschränktes


Besteuerten gleichmäßig einen erhöhten Einfluß gewinnen. Da die Classen nach
den Stcuererträgcn der einzelnen Gemeinde, respective des Bezirkes gebil¬
det werden, so hängt es ganz von dem Zufall der Steuerkraft der Gemeinde
oder des Bezirkes ab, wie hoch der unterscheidende Census in dem einzelnen
Falle greift. Es kann geschehen und es ist ohne Zweifel schon mehrmals ge¬
schehen, daß jemand, der in einem reichen Stadtviertel, z. B. im Geheim-
rathsviertel Berlins nach seinem Steuersatz in der dritten Classe zu wählen
hätte, in einer andern Gemeinde domicilircnd in der ersten Wählcrclasse der¬
selben sigurirt, ja der einzige Wähler erster Classe in seinem Wahlbezirk ist.
Die Schleswig-holsteinische Verfassung dagegen giebt den mit einem bestimmten
Grundeigenthum Angefesselten oder mit einem bestimmten Satze Besteuerten für
alle Eventualitäten einen bestimmt bemessenen Einfluß.

Die im Obigen widerlegten Einwürfe gegen die Septemberverfassung sind
die wichtigsten, die man vom conservativen Standpunkte, sofern sich den An¬
schauungen desselben nicht andere Elemente, nicht Wünsche nach Erweiterung
de'r preußischen Machtsphcirc beigesellen, geltend machen kann. Was man sonst
etwa an dem Staatsgrundgesetz tadelt, ist weniger wichtig. So der Art. 28,
nach welchem kein Staatsbürger gezwungen werden kann, eine Abgabe an den
Staat zu zahlen, welche nicht auf die durch das Staatsgrundgcsetz angeordnete
Weise bewilligt worden ist. Und so der damit verwandte Art. 140, welcher
festsetzt, daß keine Behörde befugt ist, Steuern zu erheben und Lasten aufzule¬
gen, wenn dieselben nicht durch das Gesetz ausgeschrieben sind. Auch diese Ar¬
tikel haben bei genauerer Prüfung nichts Bedenkliches.. Sie sind, näher be¬
trachtet, nur eine Folge des constitutionellen Staatsrechts, der wir auch in dem
Grundgesetz Schleswig-Holsteins begegnen, und die dahin lautet, daß Steuern
nur auf gesetzlichem Wege, d. h, nur mit Einwilligung der Vertreter des Lan¬
des auferlegt werden dürsen. Sodann aber läßt sich diesen Artikeln sofort aus
der Verfassung selbst ein Correctiv zur Seite stellen, der Art. 113 nämlich,
welcher besagt: „Die Frage, ob ein Gesetz auf verfassungsmäßigen Wege zu
Stande gekommen, gehört nicht zur richterlichen Beurtheilung." Die Irrungen
sind bekannt, welche durch die entgegengesetzt lautende Bestimmung der Ver¬
fassung Kurhesseus von 1831 hervorgerufen wurden und welche als Haupt¬
beweis dafür gelten, daß sich mit dieser Verfassung nicht regieren ließe.

Mit dem Maße der preußischen Hochtory-Partei darf man die schleswig¬
holsteinische Verfassung freilich nicht messen, wenn sie Geltung behalten soll.
Denn daß sie liberal ist, kann nicht bezweifelt werden. Art. 11 erklärt, daß
alle Staatsbürger gleich vor dem Gesetz sind, Art. 16, daß die Freiheit der
Person unverletzlich ist; Art. 20 verleiht unbeschränktes Petitionsrecht. Art. 21
sagt: „Das Recht, Vereine zu bilden, wird anerkannt. Dasselbe darf durch
keine vorbeugende Maßregel beschränkt werden," wozu Art. 22 ein beschränktes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/198>, abgerufen am 03.07.2024.