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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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der Verfassung, nach welchem "über jeden Gesetzvorschlag sowie über alle An¬
träge, zu deren Annahme eine größere als die absolute Stimmenmehrheit er¬
fordert wird, regelmäßig an zwei nicht aufeinanderfolgenden Tagen berathen
werden muß."

Wir denken, das find unzweifelhaft ausreichende Bürgschaften im conser-
vativen Sinne, angesichts deren eine besondere erste Kammer recht wohl zu ent¬
behren ist. Und um noch einmal auf das allgemeine Stimmrecht zurückzukom¬
men, so tritt zu dem auf die Hälfte der Abgeordneten beschränkten Umfang
desselben noch zunächst die Vorschrift, daß die Stimmgcbung öffentlich sein soll,
und was nach dieser noch an jenem Rechte gefährlich scheinen kann, verliert
vollends alle Bedeutung, wenn wir die Natur, das Temperament und die con-
stitutionelle Tradition, der Schleswig-Holsteiner ins Auge fassen. Dieselben sind
ruhige, besonnene, mehr von Verstandesrücksichten als Impulsen des Gefühls
und der Phantasie bewegte Naturen, wie alle Niederdeutschen. Ihr durchschnitt¬
lich phlegmatisches Temperament läßt sie eher zu langsam als zu rasch fortschreiten.
Selbst in der Erhebungszeit, selbst der hauptsächlich gegen ihr altes Landesrecht
gerichteten dänischen Revolution gegenüber bewahrten sie Loyalität gegen ihren
Herzog, verblieben sie innerhalb der Schranken, welche jenes Recht ihnen steckte,
und niemals in der Folgezeit verfuhren sie bei den Verhandlungen der Pro-
vinziallandtage anders als maßvoll, niemals ist es selbst in der erregten Pe¬
riode von Mitte November v. I. bis heute unter ihnen zu Auflehnungen gegen
die Autorität gekommen.

Die Schleswig-Holsteiner sind endlich vorwiegend ein Bauernvolk, ihre
Städte wenig zahlreich, großentheils klein und durchgehends ohne Fabrikprole¬
tariat. Der kleine Bauer aber hängt wie der große, wie der Gutsbesitzer, der
Ritter vom Lande am Bestehenden, achtet das Herkommen oft mehr als ihm
gut ist, und bildet so in der Regel eher einen Hemmschuh als ein Treibrad,
wenn er constitutionelle 'Rechte ausübt. Die sächsischen Kammern, wo er nur
ausnahmsweise zur Opposition hält, wo er das Haupthinderniß von Reformen
ist, wo er die Hauptstütze des Systems des Herrn v. Beust ausmacht, liefern
den Beweis dafür. In Schleswig-Holstein wird dieses Element der Bevölke¬
rung gerade durch die allgemeinen Wahlen hervortreten, sobald nur erst der
Gährungsstvff, der jetzt im Lande erhalten wird, durch die Constituirung des
Staates beseitigt ist, und nicht die Konservativen, eher vielleicht die der libe¬
ralen Partei Angehörigen werden dann mit Betrübniß auf die neue Entwicke¬
lung blicken.

Sei dem aber, wie ihm wolle, jedenfalls beruht das oben geschilderte" Wahl¬
system auf solideren Grundlagen als das preußische Gesetz vom 30. Mai 1849,
Welches die Wahlen zum Abgeordnetenhause regelt. Denn das bier beliebte
Dreiclasscnsystem giebt bekanntermaßen durchaus keine Gewähr, daß die höher


Grenzboten IV. 1864. 26

der Verfassung, nach welchem „über jeden Gesetzvorschlag sowie über alle An¬
träge, zu deren Annahme eine größere als die absolute Stimmenmehrheit er¬
fordert wird, regelmäßig an zwei nicht aufeinanderfolgenden Tagen berathen
werden muß."

Wir denken, das find unzweifelhaft ausreichende Bürgschaften im conser-
vativen Sinne, angesichts deren eine besondere erste Kammer recht wohl zu ent¬
behren ist. Und um noch einmal auf das allgemeine Stimmrecht zurückzukom¬
men, so tritt zu dem auf die Hälfte der Abgeordneten beschränkten Umfang
desselben noch zunächst die Vorschrift, daß die Stimmgcbung öffentlich sein soll,
und was nach dieser noch an jenem Rechte gefährlich scheinen kann, verliert
vollends alle Bedeutung, wenn wir die Natur, das Temperament und die con-
stitutionelle Tradition, der Schleswig-Holsteiner ins Auge fassen. Dieselben sind
ruhige, besonnene, mehr von Verstandesrücksichten als Impulsen des Gefühls
und der Phantasie bewegte Naturen, wie alle Niederdeutschen. Ihr durchschnitt¬
lich phlegmatisches Temperament läßt sie eher zu langsam als zu rasch fortschreiten.
Selbst in der Erhebungszeit, selbst der hauptsächlich gegen ihr altes Landesrecht
gerichteten dänischen Revolution gegenüber bewahrten sie Loyalität gegen ihren
Herzog, verblieben sie innerhalb der Schranken, welche jenes Recht ihnen steckte,
und niemals in der Folgezeit verfuhren sie bei den Verhandlungen der Pro-
vinziallandtage anders als maßvoll, niemals ist es selbst in der erregten Pe¬
riode von Mitte November v. I. bis heute unter ihnen zu Auflehnungen gegen
die Autorität gekommen.

Die Schleswig-Holsteiner sind endlich vorwiegend ein Bauernvolk, ihre
Städte wenig zahlreich, großentheils klein und durchgehends ohne Fabrikprole¬
tariat. Der kleine Bauer aber hängt wie der große, wie der Gutsbesitzer, der
Ritter vom Lande am Bestehenden, achtet das Herkommen oft mehr als ihm
gut ist, und bildet so in der Regel eher einen Hemmschuh als ein Treibrad,
wenn er constitutionelle 'Rechte ausübt. Die sächsischen Kammern, wo er nur
ausnahmsweise zur Opposition hält, wo er das Haupthinderniß von Reformen
ist, wo er die Hauptstütze des Systems des Herrn v. Beust ausmacht, liefern
den Beweis dafür. In Schleswig-Holstein wird dieses Element der Bevölke¬
rung gerade durch die allgemeinen Wahlen hervortreten, sobald nur erst der
Gährungsstvff, der jetzt im Lande erhalten wird, durch die Constituirung des
Staates beseitigt ist, und nicht die Konservativen, eher vielleicht die der libe¬
ralen Partei Angehörigen werden dann mit Betrübniß auf die neue Entwicke¬
lung blicken.

Sei dem aber, wie ihm wolle, jedenfalls beruht das oben geschilderte« Wahl¬
system auf solideren Grundlagen als das preußische Gesetz vom 30. Mai 1849,
Welches die Wahlen zum Abgeordnetenhause regelt. Denn das bier beliebte
Dreiclasscnsystem giebt bekanntermaßen durchaus keine Gewähr, daß die höher


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[0197] der Verfassung, nach welchem „über jeden Gesetzvorschlag sowie über alle An¬ träge, zu deren Annahme eine größere als die absolute Stimmenmehrheit er¬ fordert wird, regelmäßig an zwei nicht aufeinanderfolgenden Tagen berathen werden muß." Wir denken, das find unzweifelhaft ausreichende Bürgschaften im conser- vativen Sinne, angesichts deren eine besondere erste Kammer recht wohl zu ent¬ behren ist. Und um noch einmal auf das allgemeine Stimmrecht zurückzukom¬ men, so tritt zu dem auf die Hälfte der Abgeordneten beschränkten Umfang desselben noch zunächst die Vorschrift, daß die Stimmgcbung öffentlich sein soll, und was nach dieser noch an jenem Rechte gefährlich scheinen kann, verliert vollends alle Bedeutung, wenn wir die Natur, das Temperament und die con- stitutionelle Tradition, der Schleswig-Holsteiner ins Auge fassen. Dieselben sind ruhige, besonnene, mehr von Verstandesrücksichten als Impulsen des Gefühls und der Phantasie bewegte Naturen, wie alle Niederdeutschen. Ihr durchschnitt¬ lich phlegmatisches Temperament läßt sie eher zu langsam als zu rasch fortschreiten. Selbst in der Erhebungszeit, selbst der hauptsächlich gegen ihr altes Landesrecht gerichteten dänischen Revolution gegenüber bewahrten sie Loyalität gegen ihren Herzog, verblieben sie innerhalb der Schranken, welche jenes Recht ihnen steckte, und niemals in der Folgezeit verfuhren sie bei den Verhandlungen der Pro- vinziallandtage anders als maßvoll, niemals ist es selbst in der erregten Pe¬ riode von Mitte November v. I. bis heute unter ihnen zu Auflehnungen gegen die Autorität gekommen. Die Schleswig-Holsteiner sind endlich vorwiegend ein Bauernvolk, ihre Städte wenig zahlreich, großentheils klein und durchgehends ohne Fabrikprole¬ tariat. Der kleine Bauer aber hängt wie der große, wie der Gutsbesitzer, der Ritter vom Lande am Bestehenden, achtet das Herkommen oft mehr als ihm gut ist, und bildet so in der Regel eher einen Hemmschuh als ein Treibrad, wenn er constitutionelle 'Rechte ausübt. Die sächsischen Kammern, wo er nur ausnahmsweise zur Opposition hält, wo er das Haupthinderniß von Reformen ist, wo er die Hauptstütze des Systems des Herrn v. Beust ausmacht, liefern den Beweis dafür. In Schleswig-Holstein wird dieses Element der Bevölke¬ rung gerade durch die allgemeinen Wahlen hervortreten, sobald nur erst der Gährungsstvff, der jetzt im Lande erhalten wird, durch die Constituirung des Staates beseitigt ist, und nicht die Konservativen, eher vielleicht die der libe¬ ralen Partei Angehörigen werden dann mit Betrübniß auf die neue Entwicke¬ lung blicken. Sei dem aber, wie ihm wolle, jedenfalls beruht das oben geschilderte« Wahl¬ system auf solideren Grundlagen als das preußische Gesetz vom 30. Mai 1849, Welches die Wahlen zum Abgeordnetenhause regelt. Denn das bier beliebte Dreiclasscnsystem giebt bekanntermaßen durchaus keine Gewähr, daß die höher Grenzboten IV. 1864. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/197>, abgerufen am 03.07.2024.