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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Diesen Bestimmungen entsprechen andere weitgehende Rechte der Landes¬
versammlung, z. B. das in Art. 73 niedergelegte, nach welchem sie "in Aus¬
führung der ihr in Betreff des Staatshaushalts und sonst zustehender Befug¬
nisse Ausschüsse zur Untersuchung von Thatsachen zu ernennen und denselben
das Recht verleihen kann, allein oder unter Zuziehung von richterlichen Beam¬
ten Vernehmungen vorzunehmen und die Behörden zur Hilfe zu requiriren." Fer¬
ner gehört in diesen Zusammenhang die scharfe Betonung des Jndigenats bei
Minister- und andern Beamten- sowie bei Ofsiziersstellen, die sorgfältig berzu-
gesuchtcn Bürgschaften für die Unabhängigkeit der Gerichte, der selbst den Ver¬
waltungsbeamten zugesagte Schutz gegen willkürliche Entlassung oder Versetzung,
die Bestimmung des Art. 115: "Jeder, der sich durch eine Handlung der Staats¬
gewalt in seinem Rechte verletzt glaubt, hat Anspruch auf gerichtliches Verfah¬
ren", endlich das in Art. 44 enthaltene Verbot, nach welchem der Herzog Adel
und persönliche Titel überhaupt nicht und Orden und Ehrenzeichen nur an Mi¬
litärpersonen verleihen darf, und der damit correspondirende Art, 32, welcher
den Schleswig-holsteinischen Staatsbürgern untersagt, von fremden Mächten Titel
oder Orden anzunehmen.

Niemand wird läugnen wollen, daß die angeführten Punkte der September¬
verfassung die Tendenz haben, die Regierungsgewalt nach Möglichkeit zu schwä¬
chen. Und diese Absicht hat in der That bestanden, sie gründete sich aber nicht,
wie man wohl behauptet hat, auf die 1848 die deutsche Welt bewegenden de¬
mokratischen Meinungen, von denen die Luft in Schleswig-Holstein damals viel¬
mehr reiner war als irgendwo anders, sondern auf nationale Rücksichten, auf
die Nothwendigkeit, der damaligen Personalunion mit Dänemark gegenüber
möglichst starke Widerstandsmittel für den Fall zu schaffen, daß Schleswig-Hol¬
stein von seinem Herzog in seiner Eigenschaft als König von Dänemark Ge¬
walt erleide, was um so mehr zu befürchten war als die dänische Verfassung
den König fast willenlos machte, ihn beinahe völlig in die Hand der Volks¬
vertretung gab.

Das Schleswig-holsteinische Staatsgrundgesetz vom 16. Seprember 1848
erklärt sich mit einem Worte aus den Umständen, unter denen es berathen und
beschlossen wurde. Es ist in den angeführten Beschränkungen der Macht des
Souveräns ein Kind der Noth. Dasselbe entstand in der Zeit, wo die Ver¬
handlungen über den Waffenstillstand von Malmö schwebten und man den
Rücktritt der provisorischen Regierung mit jedem Tage zu erwarten hatte. Diese
Regierung mußte die Aufgabe empfinden, die Rechte des Landes, bevor ihr die
Gelegenheit dazu entzogen wurde, in möglichst weitem Umfang und mit möglichst
starken Stützen hinzustellen, um damit ihrerseits eine Friedensbasis zu Präcisiren.
Dies geschah am 6. und 7. September in vier rasch von Antrag zu Be¬
schluß fortschreitenden Versammlungen der Landesrepräsentation. Und eS ver-


Diesen Bestimmungen entsprechen andere weitgehende Rechte der Landes¬
versammlung, z. B. das in Art. 73 niedergelegte, nach welchem sie „in Aus¬
führung der ihr in Betreff des Staatshaushalts und sonst zustehender Befug¬
nisse Ausschüsse zur Untersuchung von Thatsachen zu ernennen und denselben
das Recht verleihen kann, allein oder unter Zuziehung von richterlichen Beam¬
ten Vernehmungen vorzunehmen und die Behörden zur Hilfe zu requiriren." Fer¬
ner gehört in diesen Zusammenhang die scharfe Betonung des Jndigenats bei
Minister- und andern Beamten- sowie bei Ofsiziersstellen, die sorgfältig berzu-
gesuchtcn Bürgschaften für die Unabhängigkeit der Gerichte, der selbst den Ver¬
waltungsbeamten zugesagte Schutz gegen willkürliche Entlassung oder Versetzung,
die Bestimmung des Art. 115: „Jeder, der sich durch eine Handlung der Staats¬
gewalt in seinem Rechte verletzt glaubt, hat Anspruch auf gerichtliches Verfah¬
ren", endlich das in Art. 44 enthaltene Verbot, nach welchem der Herzog Adel
und persönliche Titel überhaupt nicht und Orden und Ehrenzeichen nur an Mi¬
litärpersonen verleihen darf, und der damit correspondirende Art, 32, welcher
den Schleswig-holsteinischen Staatsbürgern untersagt, von fremden Mächten Titel
oder Orden anzunehmen.

Niemand wird läugnen wollen, daß die angeführten Punkte der September¬
verfassung die Tendenz haben, die Regierungsgewalt nach Möglichkeit zu schwä¬
chen. Und diese Absicht hat in der That bestanden, sie gründete sich aber nicht,
wie man wohl behauptet hat, auf die 1848 die deutsche Welt bewegenden de¬
mokratischen Meinungen, von denen die Luft in Schleswig-Holstein damals viel¬
mehr reiner war als irgendwo anders, sondern auf nationale Rücksichten, auf
die Nothwendigkeit, der damaligen Personalunion mit Dänemark gegenüber
möglichst starke Widerstandsmittel für den Fall zu schaffen, daß Schleswig-Hol¬
stein von seinem Herzog in seiner Eigenschaft als König von Dänemark Ge¬
walt erleide, was um so mehr zu befürchten war als die dänische Verfassung
den König fast willenlos machte, ihn beinahe völlig in die Hand der Volks¬
vertretung gab.

Das Schleswig-holsteinische Staatsgrundgesetz vom 16. Seprember 1848
erklärt sich mit einem Worte aus den Umständen, unter denen es berathen und
beschlossen wurde. Es ist in den angeführten Beschränkungen der Macht des
Souveräns ein Kind der Noth. Dasselbe entstand in der Zeit, wo die Ver¬
handlungen über den Waffenstillstand von Malmö schwebten und man den
Rücktritt der provisorischen Regierung mit jedem Tage zu erwarten hatte. Diese
Regierung mußte die Aufgabe empfinden, die Rechte des Landes, bevor ihr die
Gelegenheit dazu entzogen wurde, in möglichst weitem Umfang und mit möglichst
starken Stützen hinzustellen, um damit ihrerseits eine Friedensbasis zu Präcisiren.
Dies geschah am 6. und 7. September in vier rasch von Antrag zu Be¬
schluß fortschreitenden Versammlungen der Landesrepräsentation. Und eS ver-


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[0194] Diesen Bestimmungen entsprechen andere weitgehende Rechte der Landes¬ versammlung, z. B. das in Art. 73 niedergelegte, nach welchem sie „in Aus¬ führung der ihr in Betreff des Staatshaushalts und sonst zustehender Befug¬ nisse Ausschüsse zur Untersuchung von Thatsachen zu ernennen und denselben das Recht verleihen kann, allein oder unter Zuziehung von richterlichen Beam¬ ten Vernehmungen vorzunehmen und die Behörden zur Hilfe zu requiriren." Fer¬ ner gehört in diesen Zusammenhang die scharfe Betonung des Jndigenats bei Minister- und andern Beamten- sowie bei Ofsiziersstellen, die sorgfältig berzu- gesuchtcn Bürgschaften für die Unabhängigkeit der Gerichte, der selbst den Ver¬ waltungsbeamten zugesagte Schutz gegen willkürliche Entlassung oder Versetzung, die Bestimmung des Art. 115: „Jeder, der sich durch eine Handlung der Staats¬ gewalt in seinem Rechte verletzt glaubt, hat Anspruch auf gerichtliches Verfah¬ ren", endlich das in Art. 44 enthaltene Verbot, nach welchem der Herzog Adel und persönliche Titel überhaupt nicht und Orden und Ehrenzeichen nur an Mi¬ litärpersonen verleihen darf, und der damit correspondirende Art, 32, welcher den Schleswig-holsteinischen Staatsbürgern untersagt, von fremden Mächten Titel oder Orden anzunehmen. Niemand wird läugnen wollen, daß die angeführten Punkte der September¬ verfassung die Tendenz haben, die Regierungsgewalt nach Möglichkeit zu schwä¬ chen. Und diese Absicht hat in der That bestanden, sie gründete sich aber nicht, wie man wohl behauptet hat, auf die 1848 die deutsche Welt bewegenden de¬ mokratischen Meinungen, von denen die Luft in Schleswig-Holstein damals viel¬ mehr reiner war als irgendwo anders, sondern auf nationale Rücksichten, auf die Nothwendigkeit, der damaligen Personalunion mit Dänemark gegenüber möglichst starke Widerstandsmittel für den Fall zu schaffen, daß Schleswig-Hol¬ stein von seinem Herzog in seiner Eigenschaft als König von Dänemark Ge¬ walt erleide, was um so mehr zu befürchten war als die dänische Verfassung den König fast willenlos machte, ihn beinahe völlig in die Hand der Volks¬ vertretung gab. Das Schleswig-holsteinische Staatsgrundgesetz vom 16. Seprember 1848 erklärt sich mit einem Worte aus den Umständen, unter denen es berathen und beschlossen wurde. Es ist in den angeführten Beschränkungen der Macht des Souveräns ein Kind der Noth. Dasselbe entstand in der Zeit, wo die Ver¬ handlungen über den Waffenstillstand von Malmö schwebten und man den Rücktritt der provisorischen Regierung mit jedem Tage zu erwarten hatte. Diese Regierung mußte die Aufgabe empfinden, die Rechte des Landes, bevor ihr die Gelegenheit dazu entzogen wurde, in möglichst weitem Umfang und mit möglichst starken Stützen hinzustellen, um damit ihrerseits eine Friedensbasis zu Präcisiren. Dies geschah am 6. und 7. September in vier rasch von Antrag zu Be¬ schluß fortschreitenden Versammlungen der Landesrepräsentation. Und eS ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/194>, abgerufen am 01.10.2024.