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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Constituirung des neuen Staats dessen Verfassung beseitigt oder mindestens
revidirt zu sehen wünschen, und an diese wenden wir uns mit der nachstehenden
Erörterung. Die Vorwürfe der Offiziösen, Gerede, das halb Truthahnsphilo-
svphie, halb Heuchelei ist, mögen mit dem Bisherigen abgethan sein. Das
Folgende hat nur den Zweck, die Bedenken zu zerstreuen, welche unter Conser-
vativen der besseren Art laut geworden sind. Diese Conservativen haben es
beifällig aufgenommen, als Preußen in Kuvhesscn das alte Verfassungsrecht mit
starker Hand wiederherstellte. Sie werden, so hoffen wir, nach unsrer Aus¬
einandersetzung einsehen, daß in Schleswig-Holstein ein ähnlicher, wo nicht ein
gleicher Fall vorliegt, und daß es Gleichen mit verschiedenem Maße messen
hieße, wenn man hier anders verfahren wollte als dort geschehn.

Zunächst ist entschieden zu bestreiten, daß die Verfassung vom 15. Septem¬
ber 1848 den Staatsbürgern ein zu großes Maß von Rechten verliehen habe.
Die hierher bezüglichen Paragraphen sind vielmehr von einem durchaus ma߬
vollen Geiste eingegeben. Man helle den dritten Abschnitt des Staatsgrund-
gcsetzcs aufmerksam an und man vergleiche ihn mit den hierher gehörigen Be¬
stimmungen von ähnlichen gesetzgeberischen Arbeiten des Jahres 1848, man
halte an ihn z. B. die Grundrechte des deutschen Volkes. Kein unparteiisch
Prüfender wird in Abrede stellen wollen, daß die Rechte der Schleswig-Hol¬
steiner durch jene Gruppe von Paragraphen weit weniger reichlich und mit
viel mehr Rücksicht auf die realen Verhältnisse bemessen sind, als die der An¬
gehörigen anderer Staaten. Selbst die Artikel der preußischen Vcrfassungs-
mkunde von 1850 gehen in nicht wenigen Punkten viel weiter. Man lege das
Schleswig-holsteinische Staatsgrundgesetz neben diese und man wird uns bei¬
pflichten. In der Septcmbervcrfassung der Herzogthümer ist nichts von der
Civilehe zu lesen. Sie enthält nichts von andern Bestimmungen zur Einschrän¬
kung des Wirkens der Kirche. Sie richtet sich mit keinem ihrer Paragraphen
gegen das consolidirte Grundeigenthum, hat keinerlei Artikel über Aufhebung
von Lehen und Fidcicommissen, über Theilbarkeit des Grundbesitzes, unent¬
geltliche Ablösung von Rechten, die mit letzterem verbunden sind u. tgi. Ebenso¬
wenig weiß sie etwas Von einer Aufhebung der Grundlasten und Bannrechte
ohne Entschädigung, wie sie fast in allen in der Bewcgungszeit entstandenen
Verfassungen vorkommt, sondern lediglich von der Ablösbarkeit jener Lasten und
Rechte ist in ihr die Rede (vgl. §. 29). Die Ausübung des Jagdrechts aus
eigenem Grund und Boden (auf fremdem wurde es durch ein früheres Gesetz,
nicht durch die Septembcrverfassung abgeschafft) soll nach Gründen des öffent¬
lichen Wohles durch das Gesetz geordnet werden.

Weniger unbedenklich erscheinen die Anordnungen des Staatsgrundgesetzes,
welche sich mit dem Staatsoberhaupte und der Landesvertretung beschäftigen
und das Verhältniß dieser beiden Factoren des Staates zu einander feststellen.


Constituirung des neuen Staats dessen Verfassung beseitigt oder mindestens
revidirt zu sehen wünschen, und an diese wenden wir uns mit der nachstehenden
Erörterung. Die Vorwürfe der Offiziösen, Gerede, das halb Truthahnsphilo-
svphie, halb Heuchelei ist, mögen mit dem Bisherigen abgethan sein. Das
Folgende hat nur den Zweck, die Bedenken zu zerstreuen, welche unter Conser-
vativen der besseren Art laut geworden sind. Diese Conservativen haben es
beifällig aufgenommen, als Preußen in Kuvhesscn das alte Verfassungsrecht mit
starker Hand wiederherstellte. Sie werden, so hoffen wir, nach unsrer Aus¬
einandersetzung einsehen, daß in Schleswig-Holstein ein ähnlicher, wo nicht ein
gleicher Fall vorliegt, und daß es Gleichen mit verschiedenem Maße messen
hieße, wenn man hier anders verfahren wollte als dort geschehn.

Zunächst ist entschieden zu bestreiten, daß die Verfassung vom 15. Septem¬
ber 1848 den Staatsbürgern ein zu großes Maß von Rechten verliehen habe.
Die hierher bezüglichen Paragraphen sind vielmehr von einem durchaus ma߬
vollen Geiste eingegeben. Man helle den dritten Abschnitt des Staatsgrund-
gcsetzcs aufmerksam an und man vergleiche ihn mit den hierher gehörigen Be¬
stimmungen von ähnlichen gesetzgeberischen Arbeiten des Jahres 1848, man
halte an ihn z. B. die Grundrechte des deutschen Volkes. Kein unparteiisch
Prüfender wird in Abrede stellen wollen, daß die Rechte der Schleswig-Hol¬
steiner durch jene Gruppe von Paragraphen weit weniger reichlich und mit
viel mehr Rücksicht auf die realen Verhältnisse bemessen sind, als die der An¬
gehörigen anderer Staaten. Selbst die Artikel der preußischen Vcrfassungs-
mkunde von 1850 gehen in nicht wenigen Punkten viel weiter. Man lege das
Schleswig-holsteinische Staatsgrundgesetz neben diese und man wird uns bei¬
pflichten. In der Septcmbervcrfassung der Herzogthümer ist nichts von der
Civilehe zu lesen. Sie enthält nichts von andern Bestimmungen zur Einschrän¬
kung des Wirkens der Kirche. Sie richtet sich mit keinem ihrer Paragraphen
gegen das consolidirte Grundeigenthum, hat keinerlei Artikel über Aufhebung
von Lehen und Fidcicommissen, über Theilbarkeit des Grundbesitzes, unent¬
geltliche Ablösung von Rechten, die mit letzterem verbunden sind u. tgi. Ebenso¬
wenig weiß sie etwas Von einer Aufhebung der Grundlasten und Bannrechte
ohne Entschädigung, wie sie fast in allen in der Bewcgungszeit entstandenen
Verfassungen vorkommt, sondern lediglich von der Ablösbarkeit jener Lasten und
Rechte ist in ihr die Rede (vgl. §. 29). Die Ausübung des Jagdrechts aus
eigenem Grund und Boden (auf fremdem wurde es durch ein früheres Gesetz,
nicht durch die Septembcrverfassung abgeschafft) soll nach Gründen des öffent¬
lichen Wohles durch das Gesetz geordnet werden.

Weniger unbedenklich erscheinen die Anordnungen des Staatsgrundgesetzes,
welche sich mit dem Staatsoberhaupte und der Landesvertretung beschäftigen
und das Verhältniß dieser beiden Factoren des Staates zu einander feststellen.


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[0192] Constituirung des neuen Staats dessen Verfassung beseitigt oder mindestens revidirt zu sehen wünschen, und an diese wenden wir uns mit der nachstehenden Erörterung. Die Vorwürfe der Offiziösen, Gerede, das halb Truthahnsphilo- svphie, halb Heuchelei ist, mögen mit dem Bisherigen abgethan sein. Das Folgende hat nur den Zweck, die Bedenken zu zerstreuen, welche unter Conser- vativen der besseren Art laut geworden sind. Diese Conservativen haben es beifällig aufgenommen, als Preußen in Kuvhesscn das alte Verfassungsrecht mit starker Hand wiederherstellte. Sie werden, so hoffen wir, nach unsrer Aus¬ einandersetzung einsehen, daß in Schleswig-Holstein ein ähnlicher, wo nicht ein gleicher Fall vorliegt, und daß es Gleichen mit verschiedenem Maße messen hieße, wenn man hier anders verfahren wollte als dort geschehn. Zunächst ist entschieden zu bestreiten, daß die Verfassung vom 15. Septem¬ ber 1848 den Staatsbürgern ein zu großes Maß von Rechten verliehen habe. Die hierher bezüglichen Paragraphen sind vielmehr von einem durchaus ma߬ vollen Geiste eingegeben. Man helle den dritten Abschnitt des Staatsgrund- gcsetzcs aufmerksam an und man vergleiche ihn mit den hierher gehörigen Be¬ stimmungen von ähnlichen gesetzgeberischen Arbeiten des Jahres 1848, man halte an ihn z. B. die Grundrechte des deutschen Volkes. Kein unparteiisch Prüfender wird in Abrede stellen wollen, daß die Rechte der Schleswig-Hol¬ steiner durch jene Gruppe von Paragraphen weit weniger reichlich und mit viel mehr Rücksicht auf die realen Verhältnisse bemessen sind, als die der An¬ gehörigen anderer Staaten. Selbst die Artikel der preußischen Vcrfassungs- mkunde von 1850 gehen in nicht wenigen Punkten viel weiter. Man lege das Schleswig-holsteinische Staatsgrundgesetz neben diese und man wird uns bei¬ pflichten. In der Septcmbervcrfassung der Herzogthümer ist nichts von der Civilehe zu lesen. Sie enthält nichts von andern Bestimmungen zur Einschrän¬ kung des Wirkens der Kirche. Sie richtet sich mit keinem ihrer Paragraphen gegen das consolidirte Grundeigenthum, hat keinerlei Artikel über Aufhebung von Lehen und Fidcicommissen, über Theilbarkeit des Grundbesitzes, unent¬ geltliche Ablösung von Rechten, die mit letzterem verbunden sind u. tgi. Ebenso¬ wenig weiß sie etwas Von einer Aufhebung der Grundlasten und Bannrechte ohne Entschädigung, wie sie fast in allen in der Bewcgungszeit entstandenen Verfassungen vorkommt, sondern lediglich von der Ablösbarkeit jener Lasten und Rechte ist in ihr die Rede (vgl. §. 29). Die Ausübung des Jagdrechts aus eigenem Grund und Boden (auf fremdem wurde es durch ein früheres Gesetz, nicht durch die Septembcrverfassung abgeschafft) soll nach Gründen des öffent¬ lichen Wohles durch das Gesetz geordnet werden. Weniger unbedenklich erscheinen die Anordnungen des Staatsgrundgesetzes, welche sich mit dem Staatsoberhaupte und der Landesvertretung beschäftigen und das Verhältniß dieser beiden Factoren des Staates zu einander feststellen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/192>, abgerufen am 03.07.2024.