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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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einzelnen Kirchspielen in größere, durch Zusammenlegung mehrer Kirchspiele
gebildete Arnrenverbände (Denous) gelegt, die ganz nach Gutdünken des Armen¬
amts gebildet und auch wieder verändert werden können; jede Union hat
ein Arbeitshaus zu erhalten. Die einzelnen Kirchspiele wählen "ach classi-
sicirtem Stimmrecht (ZluaictiMs, die zu einem Kreisarmenrathc zusammentreten,
unter Theilnahme der Friedensrichter des Bezirkes, die dem Collegium ex vürcio
angehören. Dieser Kreisarmenrath hat die sehr zahlreichen besoldeten Beamten
anzustellen, die Unterstützuugsgcsuche zu prüfen, bei dem Neubau von Armen¬
häusern mitzuwirken u. tgi. Die Ernennung der Beamten durch den Kra>>
armenrath erfolgt auf specielle Aufforderung des Armenamtes, dem das unbe¬
dingte Entlassungsrecht zusteht. Das alte Ehrenamt des Aufsehers (Oveirsvor)
wurde durch die zahlreichen besoldeten Beamten völlig in den Schatten gestellt;
von den ausgedehnten Befugnissen der Armenaufscher blieb nichts übrig, als
die Armensteuererhebung, und selbst für diese sind ihnen schon vielfach besol¬
dete OolIoetviL an die Seite gestellt.

Als -von der bisherigen Praxis abweichende Grundsätze stellen sich also
heraus: 1) die Arbeitstheilung in der Verwaltung; die Vertheilung und Er¬
hebung der Steuern ist von der Verwendung derselben gänzlich getrennt; 2) das
System der Arbeitshäuser, das bei der Nachlässigkeit und Ungleichheit, mit
welcher die persönliche Unterstützung von Seiten der alten Beamten ausgeübt
wurde, allerdings als eine wesentliche Verbesserung angesehen ward, wobei
aber die humane Berücksichtigung der Verhältnisse, die in einem kleinen Ge-
mcindeverbande den Armen zu Theil werden kann, natürlich ganz verschwindet*);
ein Arbeitshaus wird unter allen Umständen den Charakter einer Strafanstalt
annehmen; 3) die büreaukratische Centralisation im Armenamtc. Das friedcns-
richterliche Decernat ist auf Dringlichkeitsfälle beschränkt. Die höchste Instanz
ist das Armenaml. allerdings concurrirend mit den Reichsgerichten. Da jedoch
die Gerichte streng "ach den Buchstaben des Gesetzes erkennen müssen, das
Armenamt aber bei Gesuchen und Beschwerden auch Billigkeitsrücksichtcu walten
lassen darf, so wird vorkommenden Falles in der Negel an das letztere recurrirt.
Somit liegt also die ganze hochwichtige Leitung des Armenwesens gegenwärtig
in den Händen einer durchaus nach bureaukratischen Grundsätzen verwaltenden
Oberbchörde; das Wahlrecht der Gemeinden, weit entfernt, die communale
Thätigkeit in der Verwaltung zu ersetzen, dient nur dazu, der Centralisation
einen unverfänglichen Schein zu geben.

Gneist steht nicht an. die außerordentlichen Vorzüge der gegenwärtigen
Armenvcrwaltung anzuerkennender hebt namentlich hervor, daß sie die neueste



') Uebrigens erhalten Arbeitsunfähige auch außer dem Arbeitshaus- Unterstützung.

einzelnen Kirchspielen in größere, durch Zusammenlegung mehrer Kirchspiele
gebildete Arnrenverbände (Denous) gelegt, die ganz nach Gutdünken des Armen¬
amts gebildet und auch wieder verändert werden können; jede Union hat
ein Arbeitshaus zu erhalten. Die einzelnen Kirchspiele wählen »ach classi-
sicirtem Stimmrecht (ZluaictiMs, die zu einem Kreisarmenrathc zusammentreten,
unter Theilnahme der Friedensrichter des Bezirkes, die dem Collegium ex vürcio
angehören. Dieser Kreisarmenrath hat die sehr zahlreichen besoldeten Beamten
anzustellen, die Unterstützuugsgcsuche zu prüfen, bei dem Neubau von Armen¬
häusern mitzuwirken u. tgi. Die Ernennung der Beamten durch den Kra>>
armenrath erfolgt auf specielle Aufforderung des Armenamtes, dem das unbe¬
dingte Entlassungsrecht zusteht. Das alte Ehrenamt des Aufsehers (Oveirsvor)
wurde durch die zahlreichen besoldeten Beamten völlig in den Schatten gestellt;
von den ausgedehnten Befugnissen der Armenaufscher blieb nichts übrig, als
die Armensteuererhebung, und selbst für diese sind ihnen schon vielfach besol¬
dete OolIoetviL an die Seite gestellt.

Als -von der bisherigen Praxis abweichende Grundsätze stellen sich also
heraus: 1) die Arbeitstheilung in der Verwaltung; die Vertheilung und Er¬
hebung der Steuern ist von der Verwendung derselben gänzlich getrennt; 2) das
System der Arbeitshäuser, das bei der Nachlässigkeit und Ungleichheit, mit
welcher die persönliche Unterstützung von Seiten der alten Beamten ausgeübt
wurde, allerdings als eine wesentliche Verbesserung angesehen ward, wobei
aber die humane Berücksichtigung der Verhältnisse, die in einem kleinen Ge-
mcindeverbande den Armen zu Theil werden kann, natürlich ganz verschwindet*);
ein Arbeitshaus wird unter allen Umständen den Charakter einer Strafanstalt
annehmen; 3) die büreaukratische Centralisation im Armenamtc. Das friedcns-
richterliche Decernat ist auf Dringlichkeitsfälle beschränkt. Die höchste Instanz
ist das Armenaml. allerdings concurrirend mit den Reichsgerichten. Da jedoch
die Gerichte streng »ach den Buchstaben des Gesetzes erkennen müssen, das
Armenamt aber bei Gesuchen und Beschwerden auch Billigkeitsrücksichtcu walten
lassen darf, so wird vorkommenden Falles in der Negel an das letztere recurrirt.
Somit liegt also die ganze hochwichtige Leitung des Armenwesens gegenwärtig
in den Händen einer durchaus nach bureaukratischen Grundsätzen verwaltenden
Oberbchörde; das Wahlrecht der Gemeinden, weit entfernt, die communale
Thätigkeit in der Verwaltung zu ersetzen, dient nur dazu, der Centralisation
einen unverfänglichen Schein zu geben.

Gneist steht nicht an. die außerordentlichen Vorzüge der gegenwärtigen
Armenvcrwaltung anzuerkennender hebt namentlich hervor, daß sie die neueste



') Uebrigens erhalten Arbeitsunfähige auch außer dem Arbeitshaus- Unterstützung.
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[0187] einzelnen Kirchspielen in größere, durch Zusammenlegung mehrer Kirchspiele gebildete Arnrenverbände (Denous) gelegt, die ganz nach Gutdünken des Armen¬ amts gebildet und auch wieder verändert werden können; jede Union hat ein Arbeitshaus zu erhalten. Die einzelnen Kirchspiele wählen »ach classi- sicirtem Stimmrecht (ZluaictiMs, die zu einem Kreisarmenrathc zusammentreten, unter Theilnahme der Friedensrichter des Bezirkes, die dem Collegium ex vürcio angehören. Dieser Kreisarmenrath hat die sehr zahlreichen besoldeten Beamten anzustellen, die Unterstützuugsgcsuche zu prüfen, bei dem Neubau von Armen¬ häusern mitzuwirken u. tgi. Die Ernennung der Beamten durch den Kra>> armenrath erfolgt auf specielle Aufforderung des Armenamtes, dem das unbe¬ dingte Entlassungsrecht zusteht. Das alte Ehrenamt des Aufsehers (Oveirsvor) wurde durch die zahlreichen besoldeten Beamten völlig in den Schatten gestellt; von den ausgedehnten Befugnissen der Armenaufscher blieb nichts übrig, als die Armensteuererhebung, und selbst für diese sind ihnen schon vielfach besol¬ dete OolIoetviL an die Seite gestellt. Als -von der bisherigen Praxis abweichende Grundsätze stellen sich also heraus: 1) die Arbeitstheilung in der Verwaltung; die Vertheilung und Er¬ hebung der Steuern ist von der Verwendung derselben gänzlich getrennt; 2) das System der Arbeitshäuser, das bei der Nachlässigkeit und Ungleichheit, mit welcher die persönliche Unterstützung von Seiten der alten Beamten ausgeübt wurde, allerdings als eine wesentliche Verbesserung angesehen ward, wobei aber die humane Berücksichtigung der Verhältnisse, die in einem kleinen Ge- mcindeverbande den Armen zu Theil werden kann, natürlich ganz verschwindet*); ein Arbeitshaus wird unter allen Umständen den Charakter einer Strafanstalt annehmen; 3) die büreaukratische Centralisation im Armenamtc. Das friedcns- richterliche Decernat ist auf Dringlichkeitsfälle beschränkt. Die höchste Instanz ist das Armenaml. allerdings concurrirend mit den Reichsgerichten. Da jedoch die Gerichte streng »ach den Buchstaben des Gesetzes erkennen müssen, das Armenamt aber bei Gesuchen und Beschwerden auch Billigkeitsrücksichtcu walten lassen darf, so wird vorkommenden Falles in der Negel an das letztere recurrirt. Somit liegt also die ganze hochwichtige Leitung des Armenwesens gegenwärtig in den Händen einer durchaus nach bureaukratischen Grundsätzen verwaltenden Oberbchörde; das Wahlrecht der Gemeinden, weit entfernt, die communale Thätigkeit in der Verwaltung zu ersetzen, dient nur dazu, der Centralisation einen unverfänglichen Schein zu geben. Gneist steht nicht an. die außerordentlichen Vorzüge der gegenwärtigen Armenvcrwaltung anzuerkennender hebt namentlich hervor, daß sie die neueste ') Uebrigens erhalten Arbeitsunfähige auch außer dem Arbeitshaus- Unterstützung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/187>, abgerufen am 03.07.2024.