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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Rechnungslegung, ferner das Personal einer großen Jury (meist den Mittel¬
ständen angehörig, nicht wie bei den Assisen der reisenden Richter aus Gent¬
lemen bestehend) und das Personal einer kleinen (Urtheils-) Jury, also eine sehr
zahlreiche Versammlung, die Gneist passend als einen Kreisverwaltungstag im
weitesten Sinne des Wortes bezeichnet. Die Geschäfte dieser Kreistage sind
denen der einzelnen Friedensrichter und der Speciaisessionen analog; die Quar¬
talscssionen bilden gewissermaßen die höchste Potenz des. Friedensrichtcramtes;
sie ernennen eine Anzahl Communalbeamter und erledigen alle Communalangc-
lcgenhciten, die in den Bezirkssijzungen oder vor den einzelnen Friedensrichtern
nicht zum Austrag gekommen sind oder -- wie die Veranlagung und gemeinde-
weise Verkeilung der Kreisstener (eouiit^ rate) -- g<n nicht zu deren Kompetenz
gehören. Sie bilden ferner eine Appellations- und Beschwerdeinstanz in Betreff
der Strafurtheile und administrativen Entscheidungen der unteren fricdensrichter-
lichen Instanzen. Endlich üben sie eine sehr ausgedehnte Criminalgerichts-
barkeit mit Zuziehung der Jury aus, die mit den Assisen der reisenden Richter
concurrirt, jedoch mit der Beschränkung, daß gewisse schwere Verbrechen aus¬
schließlich von den Assisen avgcuttheilt werde". --

Somit ist die Beiseitigung der Gentry an der localen Verwaltung eine ebenso
vielseitige wie e>ufte und gründliche, eine wahre Vorschule für die Verwaltung
der höchsten Staatsämter. Die öffentliche Thätigkeit der Mitlclclassen findet
ein ziemlich weites Feld in den Jurys und der Verwaltung der unteren Ge¬
meindeämter, unter denen zunächst die High-Constables (Kreisschulzen) und die
Constables (Gemciudcschulzen) zu erwähnen sind. Indessen ist das Amt der
Constabler in sichtbaren Verfall gerathen. Der wichtigste Theil ihrer Obliegen¬
heiten war im Laufe der Zeit abgezweigt und besonderen Beamten, wie Kir¬
chenvorstehern und Armenaufsehern, übertragen worden. Auch die ihnen noch ver¬
bleibende polizeiliche Befugniß verlor an Bedeutung seit die Friedensrichter sich
besoldeter Polizeileute bedienten. Jeder ordentliche Mann suchte sich der Ueber¬
nahme des Amtes zu entziehen. Versuche, die in neuster Zeit gemacht wurden,
das Amt zu heben, blieben fruchtlos; zum Theil wohl, weil sie zusammenhangs¬
los waren, zum Theil aber auch deshalb, weil die gegenwärtige verhältnißmä¬
ßige Schwäche der ländlichen Mittelclassen einer mit den Bedürfnissen der Zeit
Schritt haltenden Entwicklung der unteren, localen Gemeindeämter im Sinne
des Selfgovernments wenig günstig ist.

Wir haben in unserem freien, wohlhabenden und zähen Bauernstande ganz
andere Elemente für eine freie Gemeindeverwaltung, die sich allerdings nicht
leicht in stärkerem Maße als es bis jetzt geschieht zum öffentlichen Dienste wird
heranziehen lassen, die aber durch eine umsichtige und durchgreifende Ge-
setzgebung einmal herangezogen, auch die sicherste Garantie für eine gedeih-
Uche Communalverwaltung bietet. Die Elemente für den Ehrendienst des


Rechnungslegung, ferner das Personal einer großen Jury (meist den Mittel¬
ständen angehörig, nicht wie bei den Assisen der reisenden Richter aus Gent¬
lemen bestehend) und das Personal einer kleinen (Urtheils-) Jury, also eine sehr
zahlreiche Versammlung, die Gneist passend als einen Kreisverwaltungstag im
weitesten Sinne des Wortes bezeichnet. Die Geschäfte dieser Kreistage sind
denen der einzelnen Friedensrichter und der Speciaisessionen analog; die Quar¬
talscssionen bilden gewissermaßen die höchste Potenz des. Friedensrichtcramtes;
sie ernennen eine Anzahl Communalbeamter und erledigen alle Communalangc-
lcgenhciten, die in den Bezirkssijzungen oder vor den einzelnen Friedensrichtern
nicht zum Austrag gekommen sind oder — wie die Veranlagung und gemeinde-
weise Verkeilung der Kreisstener (eouiit^ rate) — g<n nicht zu deren Kompetenz
gehören. Sie bilden ferner eine Appellations- und Beschwerdeinstanz in Betreff
der Strafurtheile und administrativen Entscheidungen der unteren fricdensrichter-
lichen Instanzen. Endlich üben sie eine sehr ausgedehnte Criminalgerichts-
barkeit mit Zuziehung der Jury aus, die mit den Assisen der reisenden Richter
concurrirt, jedoch mit der Beschränkung, daß gewisse schwere Verbrechen aus¬
schließlich von den Assisen avgcuttheilt werde». —

Somit ist die Beiseitigung der Gentry an der localen Verwaltung eine ebenso
vielseitige wie e>ufte und gründliche, eine wahre Vorschule für die Verwaltung
der höchsten Staatsämter. Die öffentliche Thätigkeit der Mitlclclassen findet
ein ziemlich weites Feld in den Jurys und der Verwaltung der unteren Ge¬
meindeämter, unter denen zunächst die High-Constables (Kreisschulzen) und die
Constables (Gemciudcschulzen) zu erwähnen sind. Indessen ist das Amt der
Constabler in sichtbaren Verfall gerathen. Der wichtigste Theil ihrer Obliegen¬
heiten war im Laufe der Zeit abgezweigt und besonderen Beamten, wie Kir¬
chenvorstehern und Armenaufsehern, übertragen worden. Auch die ihnen noch ver¬
bleibende polizeiliche Befugniß verlor an Bedeutung seit die Friedensrichter sich
besoldeter Polizeileute bedienten. Jeder ordentliche Mann suchte sich der Ueber¬
nahme des Amtes zu entziehen. Versuche, die in neuster Zeit gemacht wurden,
das Amt zu heben, blieben fruchtlos; zum Theil wohl, weil sie zusammenhangs¬
los waren, zum Theil aber auch deshalb, weil die gegenwärtige verhältnißmä¬
ßige Schwäche der ländlichen Mittelclassen einer mit den Bedürfnissen der Zeit
Schritt haltenden Entwicklung der unteren, localen Gemeindeämter im Sinne
des Selfgovernments wenig günstig ist.

Wir haben in unserem freien, wohlhabenden und zähen Bauernstande ganz
andere Elemente für eine freie Gemeindeverwaltung, die sich allerdings nicht
leicht in stärkerem Maße als es bis jetzt geschieht zum öffentlichen Dienste wird
heranziehen lassen, die aber durch eine umsichtige und durchgreifende Ge-
setzgebung einmal herangezogen, auch die sicherste Garantie für eine gedeih-
Uche Communalverwaltung bietet. Die Elemente für den Ehrendienst des


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[0185] Rechnungslegung, ferner das Personal einer großen Jury (meist den Mittel¬ ständen angehörig, nicht wie bei den Assisen der reisenden Richter aus Gent¬ lemen bestehend) und das Personal einer kleinen (Urtheils-) Jury, also eine sehr zahlreiche Versammlung, die Gneist passend als einen Kreisverwaltungstag im weitesten Sinne des Wortes bezeichnet. Die Geschäfte dieser Kreistage sind denen der einzelnen Friedensrichter und der Speciaisessionen analog; die Quar¬ talscssionen bilden gewissermaßen die höchste Potenz des. Friedensrichtcramtes; sie ernennen eine Anzahl Communalbeamter und erledigen alle Communalangc- lcgenhciten, die in den Bezirkssijzungen oder vor den einzelnen Friedensrichtern nicht zum Austrag gekommen sind oder — wie die Veranlagung und gemeinde- weise Verkeilung der Kreisstener (eouiit^ rate) — g<n nicht zu deren Kompetenz gehören. Sie bilden ferner eine Appellations- und Beschwerdeinstanz in Betreff der Strafurtheile und administrativen Entscheidungen der unteren fricdensrichter- lichen Instanzen. Endlich üben sie eine sehr ausgedehnte Criminalgerichts- barkeit mit Zuziehung der Jury aus, die mit den Assisen der reisenden Richter concurrirt, jedoch mit der Beschränkung, daß gewisse schwere Verbrechen aus¬ schließlich von den Assisen avgcuttheilt werde». — Somit ist die Beiseitigung der Gentry an der localen Verwaltung eine ebenso vielseitige wie e>ufte und gründliche, eine wahre Vorschule für die Verwaltung der höchsten Staatsämter. Die öffentliche Thätigkeit der Mitlclclassen findet ein ziemlich weites Feld in den Jurys und der Verwaltung der unteren Ge¬ meindeämter, unter denen zunächst die High-Constables (Kreisschulzen) und die Constables (Gemciudcschulzen) zu erwähnen sind. Indessen ist das Amt der Constabler in sichtbaren Verfall gerathen. Der wichtigste Theil ihrer Obliegen¬ heiten war im Laufe der Zeit abgezweigt und besonderen Beamten, wie Kir¬ chenvorstehern und Armenaufsehern, übertragen worden. Auch die ihnen noch ver¬ bleibende polizeiliche Befugniß verlor an Bedeutung seit die Friedensrichter sich besoldeter Polizeileute bedienten. Jeder ordentliche Mann suchte sich der Ueber¬ nahme des Amtes zu entziehen. Versuche, die in neuster Zeit gemacht wurden, das Amt zu heben, blieben fruchtlos; zum Theil wohl, weil sie zusammenhangs¬ los waren, zum Theil aber auch deshalb, weil die gegenwärtige verhältnißmä¬ ßige Schwäche der ländlichen Mittelclassen einer mit den Bedürfnissen der Zeit Schritt haltenden Entwicklung der unteren, localen Gemeindeämter im Sinne des Selfgovernments wenig günstig ist. Wir haben in unserem freien, wohlhabenden und zähen Bauernstande ganz andere Elemente für eine freie Gemeindeverwaltung, die sich allerdings nicht leicht in stärkerem Maße als es bis jetzt geschieht zum öffentlichen Dienste wird heranziehen lassen, die aber durch eine umsichtige und durchgreifende Ge- setzgebung einmal herangezogen, auch die sicherste Garantie für eine gedeih- Uche Communalverwaltung bietet. Die Elemente für den Ehrendienst des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/185>, abgerufen am 03.07.2024.