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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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düster und schwermüthig blickende, in weites Mantelgewand drapirte Frauen¬
gestalt verkörpert. Sie hebt den Schleier schirmend über den neben ihrem Sessel
entschlummerten Jünglingsknaben, dessen Glieder in schöner Bewegung vom Schlase
gelöst dahingestreckt sind während sein Kopf an ihren Schenkel lehnt. Von der
andern Seite her an sie angeschmiegt beugt sich der junge Traumgott, mit den
Fledermausflügeln am mohnbelränzlen Haupt, leise über ihren Schooß herüber,
den Schläfer zu betrachten. Die Formengebung ist nicht gerade individuell, ent¬
fernt sich nicht von der traditionellen, der Unedle abgelauschten allgemeinen
Musterschönheit, aber es ist eine starke poetische Empfindung in dem Gan¬
zen, ein stolzer und großartiger Schwung der Linien, und. bei plastischen
Werken vielleicht das Seltenste: Stimmung, und zwar jene eigenthümlich ge¬
heimnißvolle, die dem Gegenstand und Inhalt der Gruppe so wohl entspricht.
Ein anderes Kvlvssalmodell ist das von v. Zamba. einem Bildhauer, der sonst
fast ausschließlich in ganz kleinen, minutiös ausgeführten Portraits und Heiligen¬
statuetten seine Aufgabe fand, Arbeiten, von denen er auch diesmal wieder
sehr hübsche zierliche Proben ausgestellt hat. Diesen überlebensgroßen Se.
Hubertus mit dem wunderbaren Hirsch, der zwischen den Geweihen das strah¬
lende Crucifix trägt und so den Schutzpatron der Jäger zum Heiligen bekehrt,
kann man eigentlich kaum eine Gruppe nennen. Mit einer sast befremdlichen
Naivetät ist Beiden als verbindende Einheit nichts als das gemeinsame, fast
naturalistisch den Waldboden nachahmende Podium gegeben, aus dem die Rü¬
den des Jägers lagern und stehn. Sonst steht Mann und Thier völlig einzeln
und getrennt, als ob sie nicht ein künstlerisch bildender Geist, sondern wirklich
ein zufälliges Begegnen in geringer Entfernung von einander zusammengebracht
hätte. Wenn das, zumal bei einer so specifisch poetischen Aufgabe wie diese heilrg-
fromme Legende sie bietet, den Naturalismus in der plastischen Kunst etwas zu
weit treiben heißt, so verläugnet sich derselbe in der Durchführung der beiden
Gestalten, des Mannes wie des Wildes, erst recht nicht und die Virtuosität,
sorgfältig liebevolles Nachbilden von allen Details der Garderobe, die Jandas
kleine Portraitfigürchen vornehmer Persönlichkeiten auszeichnet, ist ihm auch
hier im großen Maßstabe treu geblieben. Mit ersichtlich herzlichem Behagen
an der Sache wie am eignen Vermögen ist in dieser Art die ganze spätmittel¬
alterliche Jägerausrüstung des Heiligen. das Fell des Hirsches und der Hunde
ausgeführt, wenn sich auch die Naturwahrheit keineswegs nur auf diese äußerste
Oberfläche beschränkt.

Sußmann-Hellb om, ein durch seinen kolossalen Reichthum vielleicht noch
mehr als durch sein schönes Talent bekannter Bildhauer, welchem letzteren wir gleich¬
wohl manche treffliche künstlerische Schöpfung zu danken haben, tritt, nachdem
er längere Zeit gar nicht ausgestellt hatte, hier mit nicht weniger als vier
vollendeten Marmorarbeiten so verschiedenartigen Genres, so abweichend in


Grenzboten IV. 18V4. 22

düster und schwermüthig blickende, in weites Mantelgewand drapirte Frauen¬
gestalt verkörpert. Sie hebt den Schleier schirmend über den neben ihrem Sessel
entschlummerten Jünglingsknaben, dessen Glieder in schöner Bewegung vom Schlase
gelöst dahingestreckt sind während sein Kopf an ihren Schenkel lehnt. Von der
andern Seite her an sie angeschmiegt beugt sich der junge Traumgott, mit den
Fledermausflügeln am mohnbelränzlen Haupt, leise über ihren Schooß herüber,
den Schläfer zu betrachten. Die Formengebung ist nicht gerade individuell, ent¬
fernt sich nicht von der traditionellen, der Unedle abgelauschten allgemeinen
Musterschönheit, aber es ist eine starke poetische Empfindung in dem Gan¬
zen, ein stolzer und großartiger Schwung der Linien, und. bei plastischen
Werken vielleicht das Seltenste: Stimmung, und zwar jene eigenthümlich ge¬
heimnißvolle, die dem Gegenstand und Inhalt der Gruppe so wohl entspricht.
Ein anderes Kvlvssalmodell ist das von v. Zamba. einem Bildhauer, der sonst
fast ausschließlich in ganz kleinen, minutiös ausgeführten Portraits und Heiligen¬
statuetten seine Aufgabe fand, Arbeiten, von denen er auch diesmal wieder
sehr hübsche zierliche Proben ausgestellt hat. Diesen überlebensgroßen Se.
Hubertus mit dem wunderbaren Hirsch, der zwischen den Geweihen das strah¬
lende Crucifix trägt und so den Schutzpatron der Jäger zum Heiligen bekehrt,
kann man eigentlich kaum eine Gruppe nennen. Mit einer sast befremdlichen
Naivetät ist Beiden als verbindende Einheit nichts als das gemeinsame, fast
naturalistisch den Waldboden nachahmende Podium gegeben, aus dem die Rü¬
den des Jägers lagern und stehn. Sonst steht Mann und Thier völlig einzeln
und getrennt, als ob sie nicht ein künstlerisch bildender Geist, sondern wirklich
ein zufälliges Begegnen in geringer Entfernung von einander zusammengebracht
hätte. Wenn das, zumal bei einer so specifisch poetischen Aufgabe wie diese heilrg-
fromme Legende sie bietet, den Naturalismus in der plastischen Kunst etwas zu
weit treiben heißt, so verläugnet sich derselbe in der Durchführung der beiden
Gestalten, des Mannes wie des Wildes, erst recht nicht und die Virtuosität,
sorgfältig liebevolles Nachbilden von allen Details der Garderobe, die Jandas
kleine Portraitfigürchen vornehmer Persönlichkeiten auszeichnet, ist ihm auch
hier im großen Maßstabe treu geblieben. Mit ersichtlich herzlichem Behagen
an der Sache wie am eignen Vermögen ist in dieser Art die ganze spätmittel¬
alterliche Jägerausrüstung des Heiligen. das Fell des Hirsches und der Hunde
ausgeführt, wenn sich auch die Naturwahrheit keineswegs nur auf diese äußerste
Oberfläche beschränkt.

Sußmann-Hellb om, ein durch seinen kolossalen Reichthum vielleicht noch
mehr als durch sein schönes Talent bekannter Bildhauer, welchem letzteren wir gleich¬
wohl manche treffliche künstlerische Schöpfung zu danken haben, tritt, nachdem
er längere Zeit gar nicht ausgestellt hatte, hier mit nicht weniger als vier
vollendeten Marmorarbeiten so verschiedenartigen Genres, so abweichend in


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[0173] düster und schwermüthig blickende, in weites Mantelgewand drapirte Frauen¬ gestalt verkörpert. Sie hebt den Schleier schirmend über den neben ihrem Sessel entschlummerten Jünglingsknaben, dessen Glieder in schöner Bewegung vom Schlase gelöst dahingestreckt sind während sein Kopf an ihren Schenkel lehnt. Von der andern Seite her an sie angeschmiegt beugt sich der junge Traumgott, mit den Fledermausflügeln am mohnbelränzlen Haupt, leise über ihren Schooß herüber, den Schläfer zu betrachten. Die Formengebung ist nicht gerade individuell, ent¬ fernt sich nicht von der traditionellen, der Unedle abgelauschten allgemeinen Musterschönheit, aber es ist eine starke poetische Empfindung in dem Gan¬ zen, ein stolzer und großartiger Schwung der Linien, und. bei plastischen Werken vielleicht das Seltenste: Stimmung, und zwar jene eigenthümlich ge¬ heimnißvolle, die dem Gegenstand und Inhalt der Gruppe so wohl entspricht. Ein anderes Kvlvssalmodell ist das von v. Zamba. einem Bildhauer, der sonst fast ausschließlich in ganz kleinen, minutiös ausgeführten Portraits und Heiligen¬ statuetten seine Aufgabe fand, Arbeiten, von denen er auch diesmal wieder sehr hübsche zierliche Proben ausgestellt hat. Diesen überlebensgroßen Se. Hubertus mit dem wunderbaren Hirsch, der zwischen den Geweihen das strah¬ lende Crucifix trägt und so den Schutzpatron der Jäger zum Heiligen bekehrt, kann man eigentlich kaum eine Gruppe nennen. Mit einer sast befremdlichen Naivetät ist Beiden als verbindende Einheit nichts als das gemeinsame, fast naturalistisch den Waldboden nachahmende Podium gegeben, aus dem die Rü¬ den des Jägers lagern und stehn. Sonst steht Mann und Thier völlig einzeln und getrennt, als ob sie nicht ein künstlerisch bildender Geist, sondern wirklich ein zufälliges Begegnen in geringer Entfernung von einander zusammengebracht hätte. Wenn das, zumal bei einer so specifisch poetischen Aufgabe wie diese heilrg- fromme Legende sie bietet, den Naturalismus in der plastischen Kunst etwas zu weit treiben heißt, so verläugnet sich derselbe in der Durchführung der beiden Gestalten, des Mannes wie des Wildes, erst recht nicht und die Virtuosität, sorgfältig liebevolles Nachbilden von allen Details der Garderobe, die Jandas kleine Portraitfigürchen vornehmer Persönlichkeiten auszeichnet, ist ihm auch hier im großen Maßstabe treu geblieben. Mit ersichtlich herzlichem Behagen an der Sache wie am eignen Vermögen ist in dieser Art die ganze spätmittel¬ alterliche Jägerausrüstung des Heiligen. das Fell des Hirsches und der Hunde ausgeführt, wenn sich auch die Naturwahrheit keineswegs nur auf diese äußerste Oberfläche beschränkt. Sußmann-Hellb om, ein durch seinen kolossalen Reichthum vielleicht noch mehr als durch sein schönes Talent bekannter Bildhauer, welchem letzteren wir gleich¬ wohl manche treffliche künstlerische Schöpfung zu danken haben, tritt, nachdem er längere Zeit gar nicht ausgestellt hatte, hier mit nicht weniger als vier vollendeten Marmorarbeiten so verschiedenartigen Genres, so abweichend in Grenzboten IV. 18V4. 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/173>, abgerufen am 03.07.2024.