Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.trotzige Ausdruck seines dichtlockigen Kopfes, die der Natur abgelauschte un¬ Fast von allen seinen Ausstellungsgenossen ist Vegas wie durch eine tiefe Kluft trotzige Ausdruck seines dichtlockigen Kopfes, die der Natur abgelauschte un¬ Fast von allen seinen Ausstellungsgenossen ist Vegas wie durch eine tiefe Kluft <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0172" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189796"/> <p xml:id="ID_640" prev="#ID_639"> trotzige Ausdruck seines dichtlockigen Kopfes, die der Natur abgelauschte un¬<lb/> beschreiblich naive und wahre Bewegung seiner Händchen, deren eines mit dem<lb/> Rücken und gespreizten Fingern über die schmerzende Stelle des Unterärmchens<lb/> hinstreicht — das alles deutet mehr auf ein kleines Prachtgeschöpf dieser Erde,<lb/> als auf einen jungen ambrosiagenährten Olympier. So wäre es aber immer<lb/> nur der Titel, den man bemäkeln könnte. Und auch das nicht mit Recht,<lb/> denn diese Gestalten haben „jeden Zeugen irdischer Bedürftigkeit" fo gänzlich<lb/> abgeworfen, sind so urwüchsig herrlich, so über das gewohnte Maß kümmer¬<lb/> licher Menschennatur hinausgehoben, athmen so reiches, gesteigertes und insofern<lb/> ideales Leben, sind mit so holdem, schwelgerischen Liebreiz geschmückt, daß man<lb/> auch ihre Götternamen nicht anfechten soll. Die beiden köstlichsten Gaben und<lb/> Gnaden einer Künstlernatur, mit denen das heutige nüchterne und verständige<lb/> Geschlecht so selten und kärglich ausgestattet wird, sind dem Autor dieses Wer¬<lb/> kes in Fülle verliehen: Naivetät und schöne Sinnlichkeit, und dem Reichthum<lb/> seiner schaffenden Phantasie, der Wärme seines Empfindens entspricht eine er¬<lb/> staunliche Kraft fast mühelosem plastischen Gestaltens! Wenn ihn dieses sein<lb/> künstlerisches Wesen den großen Meistern der Renaissance nähert, ihn zu einer<lb/> so fremdartigen Erscheinung inmitten unsrer ganz anders gearteten Zeit macht,<lb/> so sollten wir uns dessen freuen, statt ihn als „Nachahmer einer von den reinen<lb/> Zielen der Sculptur bereits abgeirrten Kunstepoche" zu verlästern. Denn in Wahrheit<lb/> krankt unsre Bildhauerkunst kaum weniger als unsre Architektur, bei der der<lb/> Schaden nur offner vor aller Augen und Erkenntniß daliegt, an jenem clas¬<lb/> sischen „Griechenthum", das oft nur ein Deckmantel für Phantasielosigkeit<lb/> und innerste Nüchternheit und Armuth geworden ist; und wenn diese einmal<lb/> wieder durch etwas von der Ueppigkeit und dem Feuer jener herrlichen Renais¬<lb/> sanceperiode unterbrochen und abgelöst wird, so wollen wir es als einen hohen<lb/> Segen preisen.</p><lb/> <p xml:id="ID_641" next="#ID_642"> Fast von allen seinen Ausstellungsgenossen ist Vegas wie durch eine tiefe Kluft<lb/> geschieden. Er allein scheint schon im Schaffen, „mit seines Geistes Aug'" sein<lb/> Werk als ein lebendiges, als Fleisch und Farbe zu sehn (vielleicht ist es gerade<lb/> das. was ihn zumal den Malern so theuer und aus den ersten Meistern dar¬<lb/> unter seine wärmsten Verehrer und Propheten gemacht hat); die andern alle<lb/> als Gips oder Marmor, als weißes Modell oder Statue. Doch dieser innerste<lb/> Unterschied soll uns nicht zur Ungerechtigkeit verleiten. Es sind ein paar vor¬<lb/> treffliche, aller Anerkennung werthe Arbeiten daneben aufzuführen. Das Modell<lb/> einer Kvlossalgruppe, „die Nacht", von Schilling in Dresden ist. bei etwas<lb/> decorativer Behandlung (es ist zum Schmuck einer Terrassentrcppe bestimmt und<lb/> jene daher ganz am Platz) von einer seltnen und höchst imposanten Größe des<lb/> Stils, voll Ernst, Adel und Schönheit in der Composition, wie in jeder der<lb/> drei Gestalten, welche die Gruppe bilden. Diese „Nacht" ist als eine mächtige,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0172]
trotzige Ausdruck seines dichtlockigen Kopfes, die der Natur abgelauschte un¬
beschreiblich naive und wahre Bewegung seiner Händchen, deren eines mit dem
Rücken und gespreizten Fingern über die schmerzende Stelle des Unterärmchens
hinstreicht — das alles deutet mehr auf ein kleines Prachtgeschöpf dieser Erde,
als auf einen jungen ambrosiagenährten Olympier. So wäre es aber immer
nur der Titel, den man bemäkeln könnte. Und auch das nicht mit Recht,
denn diese Gestalten haben „jeden Zeugen irdischer Bedürftigkeit" fo gänzlich
abgeworfen, sind so urwüchsig herrlich, so über das gewohnte Maß kümmer¬
licher Menschennatur hinausgehoben, athmen so reiches, gesteigertes und insofern
ideales Leben, sind mit so holdem, schwelgerischen Liebreiz geschmückt, daß man
auch ihre Götternamen nicht anfechten soll. Die beiden köstlichsten Gaben und
Gnaden einer Künstlernatur, mit denen das heutige nüchterne und verständige
Geschlecht so selten und kärglich ausgestattet wird, sind dem Autor dieses Wer¬
kes in Fülle verliehen: Naivetät und schöne Sinnlichkeit, und dem Reichthum
seiner schaffenden Phantasie, der Wärme seines Empfindens entspricht eine er¬
staunliche Kraft fast mühelosem plastischen Gestaltens! Wenn ihn dieses sein
künstlerisches Wesen den großen Meistern der Renaissance nähert, ihn zu einer
so fremdartigen Erscheinung inmitten unsrer ganz anders gearteten Zeit macht,
so sollten wir uns dessen freuen, statt ihn als „Nachahmer einer von den reinen
Zielen der Sculptur bereits abgeirrten Kunstepoche" zu verlästern. Denn in Wahrheit
krankt unsre Bildhauerkunst kaum weniger als unsre Architektur, bei der der
Schaden nur offner vor aller Augen und Erkenntniß daliegt, an jenem clas¬
sischen „Griechenthum", das oft nur ein Deckmantel für Phantasielosigkeit
und innerste Nüchternheit und Armuth geworden ist; und wenn diese einmal
wieder durch etwas von der Ueppigkeit und dem Feuer jener herrlichen Renais¬
sanceperiode unterbrochen und abgelöst wird, so wollen wir es als einen hohen
Segen preisen.
Fast von allen seinen Ausstellungsgenossen ist Vegas wie durch eine tiefe Kluft
geschieden. Er allein scheint schon im Schaffen, „mit seines Geistes Aug'" sein
Werk als ein lebendiges, als Fleisch und Farbe zu sehn (vielleicht ist es gerade
das. was ihn zumal den Malern so theuer und aus den ersten Meistern dar¬
unter seine wärmsten Verehrer und Propheten gemacht hat); die andern alle
als Gips oder Marmor, als weißes Modell oder Statue. Doch dieser innerste
Unterschied soll uns nicht zur Ungerechtigkeit verleiten. Es sind ein paar vor¬
treffliche, aller Anerkennung werthe Arbeiten daneben aufzuführen. Das Modell
einer Kvlossalgruppe, „die Nacht", von Schilling in Dresden ist. bei etwas
decorativer Behandlung (es ist zum Schmuck einer Terrassentrcppe bestimmt und
jene daher ganz am Platz) von einer seltnen und höchst imposanten Größe des
Stils, voll Ernst, Adel und Schönheit in der Composition, wie in jeder der
drei Gestalten, welche die Gruppe bilden. Diese „Nacht" ist als eine mächtige,
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |