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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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hier ausstellenden Malern wenigstens zur vollständigen Herrschaft gelangt, eine
ähnliche Vielseitigkeit der Richtungen, der Auffassungs- und Behandlungsarten
künstlerischer Themata und der Natur selbst wie sie z. B. jede französische Aus¬
stellung aufweist, suchen wir hier vergebens. Wie verschieden das Vermögen
und Können der Einzelnen ist, in den malerischen Zielen, denen sie nachstreben,
ist zwischen den Meisten der Unterschied sehr gering. Unverkennbar macht sich
ein großer Fortschritt in allem, was die Malerei als solche anbetrifft, in wir¬
kungsvoller Haltung, Tonstimmung, Colorit und Handhabung der Technik gel-
tend. Die besten unter unsern Malern haben das alte Vorurtheil längst wider¬
legt, das dem deutschen Künstlernaturell im Gegensatz zum französische" die
rechte Befähigung für diese Seiten der Kunst absprechen wollte. Die Meister¬
stücke der Wirkung und der vollendeten Mache, denen wir hier mehrfach be¬
gegnen, würden in dieser Hinsicht von den Leistungen keiner pariser Berühmt¬
heit übertroffen und das gilt auch von solchen, deren Urheber keineswegs aus
dieser Quelle geschöpft haben, die so lange bei uns als die alleinseligmachende
galt, sondern ihre Bildung und Entwicklung einzig sich selbst verdanken. Wir
hören häufig von Seiten hochgestimmter Geister schmerzliche Wehklagen über
diese Richtung zur technischen Meisterschaft, über diese Herrschaft des Realismus
und des Genres; sie sind so überflüssig als vergeblich. Man kann von der
Kunst nicht verlangen, daß sie nicht hin und wieder die Hauptrichtungen der zeit¬
genössischen Gesellschaft in ihren Schöpfungen spiegeln und ihren Neigungen
entsprechen oder dienen sollte, wie sehr es auch in der Macht der Künstler steht,
dabei zugleich wandelnd auf dieselben zurückzuwirken. Und daß diese Neigung
gegenwärtig nicht der "großen und idealen Historienmalerei" gilt -- wer kann
sich dieser Erkenntniß verschließen?

Mögen kunstsinnige, trefflich strebende Fürsten mit bedeutenden Mitteln
und offenbarer Gunst derartige Richtungen zu fördern und das künstlerische Schaf¬
fen in diese Bahnen zu lenken suchen, wir haben das Beispiel erlebt, daß das
Resultat davon kaum ein anderes als die Erzeugung kränklicher Treibhauspflanzen
ist, welche die Mühe, die Kosten und die Pflege kaum verkohltem, die an ihre
Entwicklung gewandt wurden. Uebrigens ist der auffällige Mangel auch profan-
geschichtlicher großer Bilder auf dieser Ausstellung -- zum Trost der darüber Weh¬
klagenden sei es gesagt -- nur wie die Windstille vor dem Sturm. Die Zeit
zwischen Düppel und Alsen und zwischen dem Einsendungstermin war eine zu kurze.
Warten wir die nächsten zwei Jahre ab, dann werden diese Säle überfluthet
werden von den Bildern preußischer Heldenthaten und wir werden so viel "Hi¬
storie" erhalten, daß das weiteste ästhetisch-patriotische Verlangen nach solcher
Malerei vollständigst befriedigt werden wird. Ob die Kunst gerade dabei ge¬
winnt, ist eine andre Frage. Die Vorbereitungen dafür sind schon gegenwär¬
tig stark im Gange; die Concurrenzen für die großen Bilder des Schanzensturms


hier ausstellenden Malern wenigstens zur vollständigen Herrschaft gelangt, eine
ähnliche Vielseitigkeit der Richtungen, der Auffassungs- und Behandlungsarten
künstlerischer Themata und der Natur selbst wie sie z. B. jede französische Aus¬
stellung aufweist, suchen wir hier vergebens. Wie verschieden das Vermögen
und Können der Einzelnen ist, in den malerischen Zielen, denen sie nachstreben,
ist zwischen den Meisten der Unterschied sehr gering. Unverkennbar macht sich
ein großer Fortschritt in allem, was die Malerei als solche anbetrifft, in wir¬
kungsvoller Haltung, Tonstimmung, Colorit und Handhabung der Technik gel-
tend. Die besten unter unsern Malern haben das alte Vorurtheil längst wider¬
legt, das dem deutschen Künstlernaturell im Gegensatz zum französische» die
rechte Befähigung für diese Seiten der Kunst absprechen wollte. Die Meister¬
stücke der Wirkung und der vollendeten Mache, denen wir hier mehrfach be¬
gegnen, würden in dieser Hinsicht von den Leistungen keiner pariser Berühmt¬
heit übertroffen und das gilt auch von solchen, deren Urheber keineswegs aus
dieser Quelle geschöpft haben, die so lange bei uns als die alleinseligmachende
galt, sondern ihre Bildung und Entwicklung einzig sich selbst verdanken. Wir
hören häufig von Seiten hochgestimmter Geister schmerzliche Wehklagen über
diese Richtung zur technischen Meisterschaft, über diese Herrschaft des Realismus
und des Genres; sie sind so überflüssig als vergeblich. Man kann von der
Kunst nicht verlangen, daß sie nicht hin und wieder die Hauptrichtungen der zeit¬
genössischen Gesellschaft in ihren Schöpfungen spiegeln und ihren Neigungen
entsprechen oder dienen sollte, wie sehr es auch in der Macht der Künstler steht,
dabei zugleich wandelnd auf dieselben zurückzuwirken. Und daß diese Neigung
gegenwärtig nicht der „großen und idealen Historienmalerei" gilt — wer kann
sich dieser Erkenntniß verschließen?

Mögen kunstsinnige, trefflich strebende Fürsten mit bedeutenden Mitteln
und offenbarer Gunst derartige Richtungen zu fördern und das künstlerische Schaf¬
fen in diese Bahnen zu lenken suchen, wir haben das Beispiel erlebt, daß das
Resultat davon kaum ein anderes als die Erzeugung kränklicher Treibhauspflanzen
ist, welche die Mühe, die Kosten und die Pflege kaum verkohltem, die an ihre
Entwicklung gewandt wurden. Uebrigens ist der auffällige Mangel auch profan-
geschichtlicher großer Bilder auf dieser Ausstellung — zum Trost der darüber Weh¬
klagenden sei es gesagt — nur wie die Windstille vor dem Sturm. Die Zeit
zwischen Düppel und Alsen und zwischen dem Einsendungstermin war eine zu kurze.
Warten wir die nächsten zwei Jahre ab, dann werden diese Säle überfluthet
werden von den Bildern preußischer Heldenthaten und wir werden so viel „Hi¬
storie" erhalten, daß das weiteste ästhetisch-patriotische Verlangen nach solcher
Malerei vollständigst befriedigt werden wird. Ob die Kunst gerade dabei ge¬
winnt, ist eine andre Frage. Die Vorbereitungen dafür sind schon gegenwär¬
tig stark im Gange; die Concurrenzen für die großen Bilder des Schanzensturms


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[0169] hier ausstellenden Malern wenigstens zur vollständigen Herrschaft gelangt, eine ähnliche Vielseitigkeit der Richtungen, der Auffassungs- und Behandlungsarten künstlerischer Themata und der Natur selbst wie sie z. B. jede französische Aus¬ stellung aufweist, suchen wir hier vergebens. Wie verschieden das Vermögen und Können der Einzelnen ist, in den malerischen Zielen, denen sie nachstreben, ist zwischen den Meisten der Unterschied sehr gering. Unverkennbar macht sich ein großer Fortschritt in allem, was die Malerei als solche anbetrifft, in wir¬ kungsvoller Haltung, Tonstimmung, Colorit und Handhabung der Technik gel- tend. Die besten unter unsern Malern haben das alte Vorurtheil längst wider¬ legt, das dem deutschen Künstlernaturell im Gegensatz zum französische» die rechte Befähigung für diese Seiten der Kunst absprechen wollte. Die Meister¬ stücke der Wirkung und der vollendeten Mache, denen wir hier mehrfach be¬ gegnen, würden in dieser Hinsicht von den Leistungen keiner pariser Berühmt¬ heit übertroffen und das gilt auch von solchen, deren Urheber keineswegs aus dieser Quelle geschöpft haben, die so lange bei uns als die alleinseligmachende galt, sondern ihre Bildung und Entwicklung einzig sich selbst verdanken. Wir hören häufig von Seiten hochgestimmter Geister schmerzliche Wehklagen über diese Richtung zur technischen Meisterschaft, über diese Herrschaft des Realismus und des Genres; sie sind so überflüssig als vergeblich. Man kann von der Kunst nicht verlangen, daß sie nicht hin und wieder die Hauptrichtungen der zeit¬ genössischen Gesellschaft in ihren Schöpfungen spiegeln und ihren Neigungen entsprechen oder dienen sollte, wie sehr es auch in der Macht der Künstler steht, dabei zugleich wandelnd auf dieselben zurückzuwirken. Und daß diese Neigung gegenwärtig nicht der „großen und idealen Historienmalerei" gilt — wer kann sich dieser Erkenntniß verschließen? Mögen kunstsinnige, trefflich strebende Fürsten mit bedeutenden Mitteln und offenbarer Gunst derartige Richtungen zu fördern und das künstlerische Schaf¬ fen in diese Bahnen zu lenken suchen, wir haben das Beispiel erlebt, daß das Resultat davon kaum ein anderes als die Erzeugung kränklicher Treibhauspflanzen ist, welche die Mühe, die Kosten und die Pflege kaum verkohltem, die an ihre Entwicklung gewandt wurden. Uebrigens ist der auffällige Mangel auch profan- geschichtlicher großer Bilder auf dieser Ausstellung — zum Trost der darüber Weh¬ klagenden sei es gesagt — nur wie die Windstille vor dem Sturm. Die Zeit zwischen Düppel und Alsen und zwischen dem Einsendungstermin war eine zu kurze. Warten wir die nächsten zwei Jahre ab, dann werden diese Säle überfluthet werden von den Bildern preußischer Heldenthaten und wir werden so viel „Hi¬ storie" erhalten, daß das weiteste ästhetisch-patriotische Verlangen nach solcher Malerei vollständigst befriedigt werden wird. Ob die Kunst gerade dabei ge¬ winnt, ist eine andre Frage. Die Vorbereitungen dafür sind schon gegenwär¬ tig stark im Gange; die Concurrenzen für die großen Bilder des Schanzensturms

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/169>, abgerufen am 03.07.2024.