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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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er ihn auf die Grenzen der leoninischen Stadt. Dennoch ist unverkennbar, daß
seitdem mit der italienischen Revolution die päpstliche Frage dringender und
giobertische Träume immer unmöglicher werden, daß der Gedanke, den Papst
allein seinen Unterthanen gegenüber zu stellen, in den Vordergrund tritt. Schon
die Broschüre Laguerronniüre's läuft im Wesentlichen auf das heutige Project
hinaus. Je hartnäckiger sich das Papstthum den wiederholten Aufforderungen
zur Reform verschloß, um so deutlicher gestand es damit selbst ein, daß seine
weltliche Herrschaft nicht reformirbar ist. Entweder also die römische Bevöl¬
kerung seufzte bis ans Ende der Tage unter einem Regiment, dessen Grund¬
sätze mit denen der modernen Welt unvereinbar find, oder das Papstkvnigthum
siel selbst unter dem Einfluß der modernen Ideen. Die Geschichte des Papst¬
thums unter dem Schutz der französischen Occupation ist nichts anderes als
das "Reifen" der römischen Frage in dem Sinne, wie Cavour es verstand.

So scheint die römische Frage heute auf einfache Verhältnisse zurückgeführt,
sie scheint ein einfaches Rechenexempel. Und sie wäre es, wenn ihre Lösung
einzig in der Hand der Eabinete läge. Aber die Parteien, die Volksinstinkte
und Volksleidenschaftcn beanspruchen ihr Recht, gehört zu werden, und damit
kommt ein Unberechenbares ins Spiel. Jetzt, da die öffentliche Meinung in
Italien sich zwar im Allgemeinen für den Vertrag ausgesprochen, aber zugleich
ein nicht gering zu achtender Widerstand sich erhoben hat, begreift man. daß
das Ministerium Minghctti-Peruzzi die Unterhandlungen so geheim hielt, erst
mit der vollendeten Thatsache des Vertrags hervortrat und die Verlegung der
Hauptstadt einfach durch ein königliches Decret durchsetzen wollte. Cavour hätte
sicher ebenso gehandelt. Aber was das italienische Volk ohne Zweifel ihm zu¬
gestanden hätte, gestand es nicht ebenso seinen Nachfolgern zu. Die turiner
Erneute, welche das eine Element der Opposition reprnsentirte. zwang die Re¬
gierung, das ganze diplomatische Abkommen, die Convention nebst der Ver
legung der Hauptstadt dem Ausspruch des Parlaments und damit einer öffent¬
lichen Discussion zu unterstellen. Und darin liegt die Gefahr. Denn die
Convention ist nicht blos ein politischer, sie ist ein diplomatischer Act, der
diplomatisch verstanden werden muß. Die Verlegung der Hauptstadt ist eine
Bedingung, zu welcher sich eine ihres Ziels bewußte Staatskunst herbeilassen
konnte, die aber die heftige Kritik der Volksinstinkte herausfordert, welche nicht
gezwungen werden können, zwischen den Zeilen zu lesen. Wer in dem schein¬
baren Verzicht auf Rom nicht den Weg, Rom zu gewinnen, erblicken kann oder
mag. der ist schwer zu belehren, zumal die Regierung aus naheliegenden Rück¬
sichten gebunden ist. ihre wahren Ziele wohl ahnen zu lassen, aber hinter eine
diplomatische Sprache zu verstecken. Ob das italienische Volk den politischen
Takt besitzt, diese Sprache zu verstehen und einzusehen, daß die römische Frage
so wie sie liegt in der That nicht durch gewaltthätiges Zufahren, sondern nur


Grenzboten IV. 1864. 19

er ihn auf die Grenzen der leoninischen Stadt. Dennoch ist unverkennbar, daß
seitdem mit der italienischen Revolution die päpstliche Frage dringender und
giobertische Träume immer unmöglicher werden, daß der Gedanke, den Papst
allein seinen Unterthanen gegenüber zu stellen, in den Vordergrund tritt. Schon
die Broschüre Laguerronniüre's läuft im Wesentlichen auf das heutige Project
hinaus. Je hartnäckiger sich das Papstthum den wiederholten Aufforderungen
zur Reform verschloß, um so deutlicher gestand es damit selbst ein, daß seine
weltliche Herrschaft nicht reformirbar ist. Entweder also die römische Bevöl¬
kerung seufzte bis ans Ende der Tage unter einem Regiment, dessen Grund¬
sätze mit denen der modernen Welt unvereinbar find, oder das Papstkvnigthum
siel selbst unter dem Einfluß der modernen Ideen. Die Geschichte des Papst¬
thums unter dem Schutz der französischen Occupation ist nichts anderes als
das „Reifen" der römischen Frage in dem Sinne, wie Cavour es verstand.

So scheint die römische Frage heute auf einfache Verhältnisse zurückgeführt,
sie scheint ein einfaches Rechenexempel. Und sie wäre es, wenn ihre Lösung
einzig in der Hand der Eabinete läge. Aber die Parteien, die Volksinstinkte
und Volksleidenschaftcn beanspruchen ihr Recht, gehört zu werden, und damit
kommt ein Unberechenbares ins Spiel. Jetzt, da die öffentliche Meinung in
Italien sich zwar im Allgemeinen für den Vertrag ausgesprochen, aber zugleich
ein nicht gering zu achtender Widerstand sich erhoben hat, begreift man. daß
das Ministerium Minghctti-Peruzzi die Unterhandlungen so geheim hielt, erst
mit der vollendeten Thatsache des Vertrags hervortrat und die Verlegung der
Hauptstadt einfach durch ein königliches Decret durchsetzen wollte. Cavour hätte
sicher ebenso gehandelt. Aber was das italienische Volk ohne Zweifel ihm zu¬
gestanden hätte, gestand es nicht ebenso seinen Nachfolgern zu. Die turiner
Erneute, welche das eine Element der Opposition reprnsentirte. zwang die Re¬
gierung, das ganze diplomatische Abkommen, die Convention nebst der Ver
legung der Hauptstadt dem Ausspruch des Parlaments und damit einer öffent¬
lichen Discussion zu unterstellen. Und darin liegt die Gefahr. Denn die
Convention ist nicht blos ein politischer, sie ist ein diplomatischer Act, der
diplomatisch verstanden werden muß. Die Verlegung der Hauptstadt ist eine
Bedingung, zu welcher sich eine ihres Ziels bewußte Staatskunst herbeilassen
konnte, die aber die heftige Kritik der Volksinstinkte herausfordert, welche nicht
gezwungen werden können, zwischen den Zeilen zu lesen. Wer in dem schein¬
baren Verzicht auf Rom nicht den Weg, Rom zu gewinnen, erblicken kann oder
mag. der ist schwer zu belehren, zumal die Regierung aus naheliegenden Rück¬
sichten gebunden ist. ihre wahren Ziele wohl ahnen zu lassen, aber hinter eine
diplomatische Sprache zu verstecken. Ob das italienische Volk den politischen
Takt besitzt, diese Sprache zu verstehen und einzusehen, daß die römische Frage
so wie sie liegt in der That nicht durch gewaltthätiges Zufahren, sondern nur


Grenzboten IV. 1864. 19
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[0149] er ihn auf die Grenzen der leoninischen Stadt. Dennoch ist unverkennbar, daß seitdem mit der italienischen Revolution die päpstliche Frage dringender und giobertische Träume immer unmöglicher werden, daß der Gedanke, den Papst allein seinen Unterthanen gegenüber zu stellen, in den Vordergrund tritt. Schon die Broschüre Laguerronniüre's läuft im Wesentlichen auf das heutige Project hinaus. Je hartnäckiger sich das Papstthum den wiederholten Aufforderungen zur Reform verschloß, um so deutlicher gestand es damit selbst ein, daß seine weltliche Herrschaft nicht reformirbar ist. Entweder also die römische Bevöl¬ kerung seufzte bis ans Ende der Tage unter einem Regiment, dessen Grund¬ sätze mit denen der modernen Welt unvereinbar find, oder das Papstkvnigthum siel selbst unter dem Einfluß der modernen Ideen. Die Geschichte des Papst¬ thums unter dem Schutz der französischen Occupation ist nichts anderes als das „Reifen" der römischen Frage in dem Sinne, wie Cavour es verstand. So scheint die römische Frage heute auf einfache Verhältnisse zurückgeführt, sie scheint ein einfaches Rechenexempel. Und sie wäre es, wenn ihre Lösung einzig in der Hand der Eabinete läge. Aber die Parteien, die Volksinstinkte und Volksleidenschaftcn beanspruchen ihr Recht, gehört zu werden, und damit kommt ein Unberechenbares ins Spiel. Jetzt, da die öffentliche Meinung in Italien sich zwar im Allgemeinen für den Vertrag ausgesprochen, aber zugleich ein nicht gering zu achtender Widerstand sich erhoben hat, begreift man. daß das Ministerium Minghctti-Peruzzi die Unterhandlungen so geheim hielt, erst mit der vollendeten Thatsache des Vertrags hervortrat und die Verlegung der Hauptstadt einfach durch ein königliches Decret durchsetzen wollte. Cavour hätte sicher ebenso gehandelt. Aber was das italienische Volk ohne Zweifel ihm zu¬ gestanden hätte, gestand es nicht ebenso seinen Nachfolgern zu. Die turiner Erneute, welche das eine Element der Opposition reprnsentirte. zwang die Re¬ gierung, das ganze diplomatische Abkommen, die Convention nebst der Ver legung der Hauptstadt dem Ausspruch des Parlaments und damit einer öffent¬ lichen Discussion zu unterstellen. Und darin liegt die Gefahr. Denn die Convention ist nicht blos ein politischer, sie ist ein diplomatischer Act, der diplomatisch verstanden werden muß. Die Verlegung der Hauptstadt ist eine Bedingung, zu welcher sich eine ihres Ziels bewußte Staatskunst herbeilassen konnte, die aber die heftige Kritik der Volksinstinkte herausfordert, welche nicht gezwungen werden können, zwischen den Zeilen zu lesen. Wer in dem schein¬ baren Verzicht auf Rom nicht den Weg, Rom zu gewinnen, erblicken kann oder mag. der ist schwer zu belehren, zumal die Regierung aus naheliegenden Rück¬ sichten gebunden ist. ihre wahren Ziele wohl ahnen zu lassen, aber hinter eine diplomatische Sprache zu verstecken. Ob das italienische Volk den politischen Takt besitzt, diese Sprache zu verstehen und einzusehen, daß die römische Frage so wie sie liegt in der That nicht durch gewaltthätiges Zufahren, sondern nur Grenzboten IV. 1864. 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/149>, abgerufen am 03.07.2024.