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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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heimniß seiner europäischen Stellung; daß er allein mit diesem welthistorischen
Bewußtsein über der ewigen Stadt brütet, macht ihn zum Herrn der römischen
Frage: es ist sein kolossaler Ehrgeiz, den Sturz des weltlichen Papstthums, den
er als unabwendbar Voraussicht, an seinen Namen zu knüpfen.

An diesem Punkt zeigt sich wie nirgends die ganze Weite des Gegensatzes
zwischen dem Oheim und dem Neffen. Louis Napoleon begnügt sich nicht mit
dem Ruhm, eine altehrwürdige, welthistorische Institution, an der die Jahr¬
tausende vergebens gerüttelt haben, zu jähem Fall zu bringen. Er geizt nach
dem größeren Ruhme, ihren Fall so einzurichten, daß sie sich nicht wieder davon
erholen soll. Um aber einen Abschnitt der Geschichte zu bezeichnen, um defini¬
tiv zu sein, darf dieser Sturz nicht auf tumultuarischen Weg herbeigeführt
werden, wie es die Methode des alten Napoleon war, er darf nicht einem Hand¬
streich überlassen werden, wie ihn Gciribaldi führen möchte, er muß vielmehr
so eingerichtet werden, daß er schließlich ganz von selber erfolgt, als selbstver¬
ständlich, als einfache Nothwendigkeit. Zu diesem Zwecke giebt es nur ein Mittel:
das Papstthum auf sich selbst zu stellen, ihm die Möglichkeit zu gewähren, sich
aus eigenen Kräften zu erhalten, ihm aber auch alle künstlichen Stützen zu ent¬
ziehen, falls es dies nicht im Stande sein sollte. Für den einen wie für den
andern Fall mußte Vorsorge getroffen sein. Damit sich das Papstthum aus
eigenen Füßen erhalten könne, mußte es gegen jeden auswärtigen Angriff ge¬
sichert werden. Wenn es aber gleichwohl kraftlos in sich zusammenfiele, mußte
eine feste Gestaltung vorhanden sein, welche das anfallende Erbe dauernd in
sich aufnahm. Erst nachdem das Königreich Italien bis auf einen gewissen
Grad seine Lebensfähigkeit erwiesen, konnte die entscheidende Probe mit dem
Papstthum angestellt werden; aber damit es eine wirkliche Probe sei, mußte
Italien sich verpflichten, jeder gewaltsamen Einmischung zu entsagen. Dies ist
die Bedeutung des Septembervcrtrags: er zwingt das Papstthum die entscheidende
Probe zu bestehen, und er ruft alle Welt auf, Zeuge des interessanten Schau¬
spiels zu sein.

Es ist eine müßige Frage, ob Louis Napoleon von Anfang an mit seiner
römischen Politik diesem Ziele zusteuerte. Er ist weder ein tastender, roher
Experimentator, noch ein steifer Doctrinär, der sich ein Strickes System vor¬
zeichnet. Es ist wahr, seine römische Politik zeigt seit dem Tage, da ihm ohne
sein Zuthun diese Frage zufiel. -- im Grunde hat Oestreich selbst die Schlüssel
der ewigen Stadt Frankreich in die Hand gedrückt -- auffallende Schwankungen.
Er wird bald vom Papst, bald von Italien sollicitirt. seine Truppen zurück¬
zuziehen, knüpft bald mit jenem bald mit diesem Verhandlungen an und kann
zu keinem Entschlüsse kommen; er dringt in die Curie, die Staatsverwaltung
zu reformiren. und beruhigt sich als es nicht geschieht; er denkt sich den hei¬
ligen Vater bald als Präsidenten der italienischen Föderation, bald beschränkt


heimniß seiner europäischen Stellung; daß er allein mit diesem welthistorischen
Bewußtsein über der ewigen Stadt brütet, macht ihn zum Herrn der römischen
Frage: es ist sein kolossaler Ehrgeiz, den Sturz des weltlichen Papstthums, den
er als unabwendbar Voraussicht, an seinen Namen zu knüpfen.

An diesem Punkt zeigt sich wie nirgends die ganze Weite des Gegensatzes
zwischen dem Oheim und dem Neffen. Louis Napoleon begnügt sich nicht mit
dem Ruhm, eine altehrwürdige, welthistorische Institution, an der die Jahr¬
tausende vergebens gerüttelt haben, zu jähem Fall zu bringen. Er geizt nach
dem größeren Ruhme, ihren Fall so einzurichten, daß sie sich nicht wieder davon
erholen soll. Um aber einen Abschnitt der Geschichte zu bezeichnen, um defini¬
tiv zu sein, darf dieser Sturz nicht auf tumultuarischen Weg herbeigeführt
werden, wie es die Methode des alten Napoleon war, er darf nicht einem Hand¬
streich überlassen werden, wie ihn Gciribaldi führen möchte, er muß vielmehr
so eingerichtet werden, daß er schließlich ganz von selber erfolgt, als selbstver¬
ständlich, als einfache Nothwendigkeit. Zu diesem Zwecke giebt es nur ein Mittel:
das Papstthum auf sich selbst zu stellen, ihm die Möglichkeit zu gewähren, sich
aus eigenen Kräften zu erhalten, ihm aber auch alle künstlichen Stützen zu ent¬
ziehen, falls es dies nicht im Stande sein sollte. Für den einen wie für den
andern Fall mußte Vorsorge getroffen sein. Damit sich das Papstthum aus
eigenen Füßen erhalten könne, mußte es gegen jeden auswärtigen Angriff ge¬
sichert werden. Wenn es aber gleichwohl kraftlos in sich zusammenfiele, mußte
eine feste Gestaltung vorhanden sein, welche das anfallende Erbe dauernd in
sich aufnahm. Erst nachdem das Königreich Italien bis auf einen gewissen
Grad seine Lebensfähigkeit erwiesen, konnte die entscheidende Probe mit dem
Papstthum angestellt werden; aber damit es eine wirkliche Probe sei, mußte
Italien sich verpflichten, jeder gewaltsamen Einmischung zu entsagen. Dies ist
die Bedeutung des Septembervcrtrags: er zwingt das Papstthum die entscheidende
Probe zu bestehen, und er ruft alle Welt auf, Zeuge des interessanten Schau¬
spiels zu sein.

Es ist eine müßige Frage, ob Louis Napoleon von Anfang an mit seiner
römischen Politik diesem Ziele zusteuerte. Er ist weder ein tastender, roher
Experimentator, noch ein steifer Doctrinär, der sich ein Strickes System vor¬
zeichnet. Es ist wahr, seine römische Politik zeigt seit dem Tage, da ihm ohne
sein Zuthun diese Frage zufiel. — im Grunde hat Oestreich selbst die Schlüssel
der ewigen Stadt Frankreich in die Hand gedrückt — auffallende Schwankungen.
Er wird bald vom Papst, bald von Italien sollicitirt. seine Truppen zurück¬
zuziehen, knüpft bald mit jenem bald mit diesem Verhandlungen an und kann
zu keinem Entschlüsse kommen; er dringt in die Curie, die Staatsverwaltung
zu reformiren. und beruhigt sich als es nicht geschieht; er denkt sich den hei¬
ligen Vater bald als Präsidenten der italienischen Föderation, bald beschränkt


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[0148] heimniß seiner europäischen Stellung; daß er allein mit diesem welthistorischen Bewußtsein über der ewigen Stadt brütet, macht ihn zum Herrn der römischen Frage: es ist sein kolossaler Ehrgeiz, den Sturz des weltlichen Papstthums, den er als unabwendbar Voraussicht, an seinen Namen zu knüpfen. An diesem Punkt zeigt sich wie nirgends die ganze Weite des Gegensatzes zwischen dem Oheim und dem Neffen. Louis Napoleon begnügt sich nicht mit dem Ruhm, eine altehrwürdige, welthistorische Institution, an der die Jahr¬ tausende vergebens gerüttelt haben, zu jähem Fall zu bringen. Er geizt nach dem größeren Ruhme, ihren Fall so einzurichten, daß sie sich nicht wieder davon erholen soll. Um aber einen Abschnitt der Geschichte zu bezeichnen, um defini¬ tiv zu sein, darf dieser Sturz nicht auf tumultuarischen Weg herbeigeführt werden, wie es die Methode des alten Napoleon war, er darf nicht einem Hand¬ streich überlassen werden, wie ihn Gciribaldi führen möchte, er muß vielmehr so eingerichtet werden, daß er schließlich ganz von selber erfolgt, als selbstver¬ ständlich, als einfache Nothwendigkeit. Zu diesem Zwecke giebt es nur ein Mittel: das Papstthum auf sich selbst zu stellen, ihm die Möglichkeit zu gewähren, sich aus eigenen Kräften zu erhalten, ihm aber auch alle künstlichen Stützen zu ent¬ ziehen, falls es dies nicht im Stande sein sollte. Für den einen wie für den andern Fall mußte Vorsorge getroffen sein. Damit sich das Papstthum aus eigenen Füßen erhalten könne, mußte es gegen jeden auswärtigen Angriff ge¬ sichert werden. Wenn es aber gleichwohl kraftlos in sich zusammenfiele, mußte eine feste Gestaltung vorhanden sein, welche das anfallende Erbe dauernd in sich aufnahm. Erst nachdem das Königreich Italien bis auf einen gewissen Grad seine Lebensfähigkeit erwiesen, konnte die entscheidende Probe mit dem Papstthum angestellt werden; aber damit es eine wirkliche Probe sei, mußte Italien sich verpflichten, jeder gewaltsamen Einmischung zu entsagen. Dies ist die Bedeutung des Septembervcrtrags: er zwingt das Papstthum die entscheidende Probe zu bestehen, und er ruft alle Welt auf, Zeuge des interessanten Schau¬ spiels zu sein. Es ist eine müßige Frage, ob Louis Napoleon von Anfang an mit seiner römischen Politik diesem Ziele zusteuerte. Er ist weder ein tastender, roher Experimentator, noch ein steifer Doctrinär, der sich ein Strickes System vor¬ zeichnet. Es ist wahr, seine römische Politik zeigt seit dem Tage, da ihm ohne sein Zuthun diese Frage zufiel. — im Grunde hat Oestreich selbst die Schlüssel der ewigen Stadt Frankreich in die Hand gedrückt — auffallende Schwankungen. Er wird bald vom Papst, bald von Italien sollicitirt. seine Truppen zurück¬ zuziehen, knüpft bald mit jenem bald mit diesem Verhandlungen an und kann zu keinem Entschlüsse kommen; er dringt in die Curie, die Staatsverwaltung zu reformiren. und beruhigt sich als es nicht geschieht; er denkt sich den hei¬ ligen Vater bald als Präsidenten der italienischen Föderation, bald beschränkt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/148>, abgerufen am 01.10.2024.