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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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durch moralische Mittel gelöst werden kann, dies ist die Frage. Nicht blos für
das Papstthum ist die Convention eine Probe, sondern auch für das König¬
reich Italien.

Und die Probe ist schwer. Denn es ist wirklich kein Kleines, was in der
Bedingung des Umzugs nach Florenz liegt. Es wäre eine kindliche Vorstellung
zu glauben, daß, sobald die Römer nach dem Abzug der Franzosen sich er¬
hoben haben, die Piemontesen einrücken, die Miethen in Florenz gekündigt,
die Bureaux und Archive schleunigst wieder eingepackt und nach Rom spedirt
und Victor Emanuel aufs Capitol ziehen werde. Mit einer solchen Farce
würde Louis Napoleon am wenigsten glauben, das römische Drama abschließen
zu können. Nein, wir sind der Ansicht, der Verzicht Italiens auf Rom als
Hauptstadt ist wirklich unbedingt; die italienische Negierung ist aufrichtig
Willens, die Hauptstadt definitiv nach Florenz zu verlegen. Nur unter dieser
Bedingung, so war die Meinung Louis Napoleons, ist der Papst wahrhaft frei,
und sind die Rücksichten auch ihm gegenüber erschöpft, nur unter dieser Be¬
dingung ist später die Aussöhnung zwischen Italien und dem Papstthum, welche
das letzte Ziel sein muß, möglich. Die Residenzen des Königs von Italien
und des Hauptes der Christenheit sollen für immer getrennt sein. Rom soll
-- das ist unvermeidlich -- allerdings an das Königreich Italien fallen, aber
nicht als die Hauptstadt. Um Rom zu gewinnen, dies ist der letzte Gedanke
der Convention, verzichtet Italien auf die Hauptstadt Rom.

Die Idee, Florenz zur Hauptstadt des Reichs zu machen, ist bekanntlich
nichts Neues. Massimo d'Azcglio hat schon vor mehren Jahren diesen Aus¬
weg empfohlen. Es ist immerhin möglich, daß noch ohne den von Frankreich
dafür in Aussicht gestellten Preis die Negierung mit einer solchen Veränderung
umging. Gründe für diese Wahl lassen sich unschwer aufzählen und fallen auch
gegen Rom ins Gewicht. Niemand, der das heutige Rom kennt, wird es für
eine passende moderne Hauptstadt halten; es wäre auch Schade darum. Im
Grunde war es doch wesentlich ein Stück Romantik, an die Ruinenstadt, deren
Glanz und Bedeutung von den. vergangenen Jahrhunderten erborgt ist, die
Zukunft des Reichs zu knüpfen. Es war eigentlich selbst ein ächt römischer
Zug, diese Sehnsucht nach der alten Mitte des Cäsarreichs und der mittelalter¬
lichen Hierarchie, und vielleicht wäre es ein Schritt weiter auch aus der Bahn
der geistigen Emancipation von Rom, wenn Italien auf diesen Fiebertraum,
für den Garibaldi bei Aspromonte blutete, verzichten könnte. Aber gleichwohl,
es ist ein schweres Opfer, das von Italien verlangt wird; es verzichtet damit
auf nichts Geringeres, als auf das bisherige Symbol seiner Einheit. Seitdem
Mazzini es ausgesprochen hat: In Rom muß man das Centrum der alten
Einheit zerstören, folglich muß in Rom die neue Einheit geboren werden, seit¬
dem galt es als Dogma aller unitarischen Parteien, daß die Einheit Italiens


durch moralische Mittel gelöst werden kann, dies ist die Frage. Nicht blos für
das Papstthum ist die Convention eine Probe, sondern auch für das König¬
reich Italien.

Und die Probe ist schwer. Denn es ist wirklich kein Kleines, was in der
Bedingung des Umzugs nach Florenz liegt. Es wäre eine kindliche Vorstellung
zu glauben, daß, sobald die Römer nach dem Abzug der Franzosen sich er¬
hoben haben, die Piemontesen einrücken, die Miethen in Florenz gekündigt,
die Bureaux und Archive schleunigst wieder eingepackt und nach Rom spedirt
und Victor Emanuel aufs Capitol ziehen werde. Mit einer solchen Farce
würde Louis Napoleon am wenigsten glauben, das römische Drama abschließen
zu können. Nein, wir sind der Ansicht, der Verzicht Italiens auf Rom als
Hauptstadt ist wirklich unbedingt; die italienische Negierung ist aufrichtig
Willens, die Hauptstadt definitiv nach Florenz zu verlegen. Nur unter dieser
Bedingung, so war die Meinung Louis Napoleons, ist der Papst wahrhaft frei,
und sind die Rücksichten auch ihm gegenüber erschöpft, nur unter dieser Be¬
dingung ist später die Aussöhnung zwischen Italien und dem Papstthum, welche
das letzte Ziel sein muß, möglich. Die Residenzen des Königs von Italien
und des Hauptes der Christenheit sollen für immer getrennt sein. Rom soll
— das ist unvermeidlich — allerdings an das Königreich Italien fallen, aber
nicht als die Hauptstadt. Um Rom zu gewinnen, dies ist der letzte Gedanke
der Convention, verzichtet Italien auf die Hauptstadt Rom.

Die Idee, Florenz zur Hauptstadt des Reichs zu machen, ist bekanntlich
nichts Neues. Massimo d'Azcglio hat schon vor mehren Jahren diesen Aus¬
weg empfohlen. Es ist immerhin möglich, daß noch ohne den von Frankreich
dafür in Aussicht gestellten Preis die Negierung mit einer solchen Veränderung
umging. Gründe für diese Wahl lassen sich unschwer aufzählen und fallen auch
gegen Rom ins Gewicht. Niemand, der das heutige Rom kennt, wird es für
eine passende moderne Hauptstadt halten; es wäre auch Schade darum. Im
Grunde war es doch wesentlich ein Stück Romantik, an die Ruinenstadt, deren
Glanz und Bedeutung von den. vergangenen Jahrhunderten erborgt ist, die
Zukunft des Reichs zu knüpfen. Es war eigentlich selbst ein ächt römischer
Zug, diese Sehnsucht nach der alten Mitte des Cäsarreichs und der mittelalter¬
lichen Hierarchie, und vielleicht wäre es ein Schritt weiter auch aus der Bahn
der geistigen Emancipation von Rom, wenn Italien auf diesen Fiebertraum,
für den Garibaldi bei Aspromonte blutete, verzichten könnte. Aber gleichwohl,
es ist ein schweres Opfer, das von Italien verlangt wird; es verzichtet damit
auf nichts Geringeres, als auf das bisherige Symbol seiner Einheit. Seitdem
Mazzini es ausgesprochen hat: In Rom muß man das Centrum der alten
Einheit zerstören, folglich muß in Rom die neue Einheit geboren werden, seit¬
dem galt es als Dogma aller unitarischen Parteien, daß die Einheit Italiens


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/150>, abgerufen am 03.07.2024.