Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

berufen können. Die römische Frage ist durch Louis Napoleon selbst wieder
auf die Tagesordnung gesetzt. Die Dinge sind im Fluß; wer mag sich vermessen,
sie im Flusse aufzuhalten. Der Stein ist im Rollen; kann, der ihm den An¬
stoß gegeben, auch befehlen, wo er anhalten soll? Dies ist das Eine. Das
Andere aber ist, daß, was auch in den nächsten zwei Jahren geschehen mag,
die bloße Existenz des Vertrags selbst mit zu den bestimmenden Factoren gehört.
Es ist wahr, es können Ereignisse eintreten, welche seine Ausführung in Frage
stellen. Aber ebenso wahr ist, daß keine politische Combination sich bilden
kann, ohne mit dieser neuen Thatsache zu rechnen. Der politische Schwerpunkt
ist mit einem Mal wieder in das französische Cabinet verlegt. Dies-ist die
Rache, welche sich Louis Napoleon für seine Niederlagen in der Congreßfrage,
in der polnischen und in der Herzogthümcrfrage nimmt, das Paroli, das er dem
Gespenst einer nordischen Allianz biegt. Und wie seine Politik nie kleinlich,
niemals blos negativ ist, so legt er seine Antwort auf das Achselzucken, dessen
Gegenstand bereits der friedliebende alternde Familienvater geworden war, in
einem Acte nieder, der, eng und sorgfältig umschrieben, doch eines der größten
Ereignisse des Jahrhunderts in sich schließt, in einem Acte, der wenn nicht
heute, so dock morgen den Sturz des weltlichen Papstthums bedeutet.

Keine Frage, daß dieser Wunsch, sein schwindendes Prestige dem In- wie
dem Auslande gegenüber wieder zu gewinnen, eines der Motive ist, aus wel¬
chen Louis Napoleon wieder zu einer activen Politik übergegangen ist. Aber
er warf sich dabei auf einen Punkt, wo er mit rein "moralischen Mitteln"
operiren konnte. Venetien kostete einen Krieg, der zwar neuen Territorial¬
gewinn, aber auch ernste Gefahren für die Dynastie bringen konnte; Rom war
für die Erledigung auf diplomatischem Wege reif. Empfand das französische
Volk unmuthig die gezwungene Unthätigkeit seines Beberrsckers in der euro¬
päischen Politik, so blieb es immerhin zweifelhaft, ob es willig in einen euro¬
päischen Krieg folgte; unzweifelhaft aber war, daß es die Stellung der fran¬
zösischen Fahne in Rom als eine unwürdige fühlte; sie beleidigte die große
Mehrheit der Nation, während sie den kleinen Krieg der mißtrauischen klerikalen
Partei doch nicht abwandte. Kleinere, persönliche Motive mochten immerhin
mitwirken.

Die Hindernisse, welche die Taufe des jungen Prinzen Napoleon fand, der
Raub des Judenknaben verstimmten. Aber man würde die römische Politik
Louis Napoleons schlecht verstehen, wenn man ihr tiefstes Motiv, einen ge¬
wissen idealen Zug in ihr verkennen wollte. Nicht zum ersten Male zeigt er
den Ehrgeiz, das, was innerlich morsch geworden ist, vollends zu Fall zu bringen,
dem, was lebenskräftig zum Dasein ringt, die hilfreiche Hand zu bieten, damit
die Geschichte seinen Namenszug untrennbar mit den großen Fortschritten unsrer
Epoche verschlinge. Daß er allein diesen Ehrgeiz besitzt, ist das ganze Ge-


berufen können. Die römische Frage ist durch Louis Napoleon selbst wieder
auf die Tagesordnung gesetzt. Die Dinge sind im Fluß; wer mag sich vermessen,
sie im Flusse aufzuhalten. Der Stein ist im Rollen; kann, der ihm den An¬
stoß gegeben, auch befehlen, wo er anhalten soll? Dies ist das Eine. Das
Andere aber ist, daß, was auch in den nächsten zwei Jahren geschehen mag,
die bloße Existenz des Vertrags selbst mit zu den bestimmenden Factoren gehört.
Es ist wahr, es können Ereignisse eintreten, welche seine Ausführung in Frage
stellen. Aber ebenso wahr ist, daß keine politische Combination sich bilden
kann, ohne mit dieser neuen Thatsache zu rechnen. Der politische Schwerpunkt
ist mit einem Mal wieder in das französische Cabinet verlegt. Dies-ist die
Rache, welche sich Louis Napoleon für seine Niederlagen in der Congreßfrage,
in der polnischen und in der Herzogthümcrfrage nimmt, das Paroli, das er dem
Gespenst einer nordischen Allianz biegt. Und wie seine Politik nie kleinlich,
niemals blos negativ ist, so legt er seine Antwort auf das Achselzucken, dessen
Gegenstand bereits der friedliebende alternde Familienvater geworden war, in
einem Acte nieder, der, eng und sorgfältig umschrieben, doch eines der größten
Ereignisse des Jahrhunderts in sich schließt, in einem Acte, der wenn nicht
heute, so dock morgen den Sturz des weltlichen Papstthums bedeutet.

Keine Frage, daß dieser Wunsch, sein schwindendes Prestige dem In- wie
dem Auslande gegenüber wieder zu gewinnen, eines der Motive ist, aus wel¬
chen Louis Napoleon wieder zu einer activen Politik übergegangen ist. Aber
er warf sich dabei auf einen Punkt, wo er mit rein „moralischen Mitteln"
operiren konnte. Venetien kostete einen Krieg, der zwar neuen Territorial¬
gewinn, aber auch ernste Gefahren für die Dynastie bringen konnte; Rom war
für die Erledigung auf diplomatischem Wege reif. Empfand das französische
Volk unmuthig die gezwungene Unthätigkeit seines Beberrsckers in der euro¬
päischen Politik, so blieb es immerhin zweifelhaft, ob es willig in einen euro¬
päischen Krieg folgte; unzweifelhaft aber war, daß es die Stellung der fran¬
zösischen Fahne in Rom als eine unwürdige fühlte; sie beleidigte die große
Mehrheit der Nation, während sie den kleinen Krieg der mißtrauischen klerikalen
Partei doch nicht abwandte. Kleinere, persönliche Motive mochten immerhin
mitwirken.

Die Hindernisse, welche die Taufe des jungen Prinzen Napoleon fand, der
Raub des Judenknaben verstimmten. Aber man würde die römische Politik
Louis Napoleons schlecht verstehen, wenn man ihr tiefstes Motiv, einen ge¬
wissen idealen Zug in ihr verkennen wollte. Nicht zum ersten Male zeigt er
den Ehrgeiz, das, was innerlich morsch geworden ist, vollends zu Fall zu bringen,
dem, was lebenskräftig zum Dasein ringt, die hilfreiche Hand zu bieten, damit
die Geschichte seinen Namenszug untrennbar mit den großen Fortschritten unsrer
Epoche verschlinge. Daß er allein diesen Ehrgeiz besitzt, ist das ganze Ge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0147" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189771"/>
          <p xml:id="ID_570" prev="#ID_569"> berufen können. Die römische Frage ist durch Louis Napoleon selbst wieder<lb/>
auf die Tagesordnung gesetzt. Die Dinge sind im Fluß; wer mag sich vermessen,<lb/>
sie im Flusse aufzuhalten. Der Stein ist im Rollen; kann, der ihm den An¬<lb/>
stoß gegeben, auch befehlen, wo er anhalten soll? Dies ist das Eine. Das<lb/>
Andere aber ist, daß, was auch in den nächsten zwei Jahren geschehen mag,<lb/>
die bloße Existenz des Vertrags selbst mit zu den bestimmenden Factoren gehört.<lb/>
Es ist wahr, es können Ereignisse eintreten, welche seine Ausführung in Frage<lb/>
stellen. Aber ebenso wahr ist, daß keine politische Combination sich bilden<lb/>
kann, ohne mit dieser neuen Thatsache zu rechnen. Der politische Schwerpunkt<lb/>
ist mit einem Mal wieder in das französische Cabinet verlegt. Dies-ist die<lb/>
Rache, welche sich Louis Napoleon für seine Niederlagen in der Congreßfrage,<lb/>
in der polnischen und in der Herzogthümcrfrage nimmt, das Paroli, das er dem<lb/>
Gespenst einer nordischen Allianz biegt. Und wie seine Politik nie kleinlich,<lb/>
niemals blos negativ ist, so legt er seine Antwort auf das Achselzucken, dessen<lb/>
Gegenstand bereits der friedliebende alternde Familienvater geworden war, in<lb/>
einem Acte nieder, der, eng und sorgfältig umschrieben, doch eines der größten<lb/>
Ereignisse des Jahrhunderts in sich schließt, in einem Acte, der wenn nicht<lb/>
heute, so dock morgen den Sturz des weltlichen Papstthums bedeutet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_571"> Keine Frage, daß dieser Wunsch, sein schwindendes Prestige dem In- wie<lb/>
dem Auslande gegenüber wieder zu gewinnen, eines der Motive ist, aus wel¬<lb/>
chen Louis Napoleon wieder zu einer activen Politik übergegangen ist. Aber<lb/>
er warf sich dabei auf einen Punkt, wo er mit rein &#x201E;moralischen Mitteln"<lb/>
operiren konnte. Venetien kostete einen Krieg, der zwar neuen Territorial¬<lb/>
gewinn, aber auch ernste Gefahren für die Dynastie bringen konnte; Rom war<lb/>
für die Erledigung auf diplomatischem Wege reif. Empfand das französische<lb/>
Volk unmuthig die gezwungene Unthätigkeit seines Beberrsckers in der euro¬<lb/>
päischen Politik, so blieb es immerhin zweifelhaft, ob es willig in einen euro¬<lb/>
päischen Krieg folgte; unzweifelhaft aber war, daß es die Stellung der fran¬<lb/>
zösischen Fahne in Rom als eine unwürdige fühlte; sie beleidigte die große<lb/>
Mehrheit der Nation, während sie den kleinen Krieg der mißtrauischen klerikalen<lb/>
Partei doch nicht abwandte. Kleinere, persönliche Motive mochten immerhin<lb/>
mitwirken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_572" next="#ID_573"> Die Hindernisse, welche die Taufe des jungen Prinzen Napoleon fand, der<lb/>
Raub des Judenknaben verstimmten. Aber man würde die römische Politik<lb/>
Louis Napoleons schlecht verstehen, wenn man ihr tiefstes Motiv, einen ge¬<lb/>
wissen idealen Zug in ihr verkennen wollte. Nicht zum ersten Male zeigt er<lb/>
den Ehrgeiz, das, was innerlich morsch geworden ist, vollends zu Fall zu bringen,<lb/>
dem, was lebenskräftig zum Dasein ringt, die hilfreiche Hand zu bieten, damit<lb/>
die Geschichte seinen Namenszug untrennbar mit den großen Fortschritten unsrer<lb/>
Epoche verschlinge. Daß er allein diesen Ehrgeiz besitzt, ist das ganze Ge-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0147] berufen können. Die römische Frage ist durch Louis Napoleon selbst wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Die Dinge sind im Fluß; wer mag sich vermessen, sie im Flusse aufzuhalten. Der Stein ist im Rollen; kann, der ihm den An¬ stoß gegeben, auch befehlen, wo er anhalten soll? Dies ist das Eine. Das Andere aber ist, daß, was auch in den nächsten zwei Jahren geschehen mag, die bloße Existenz des Vertrags selbst mit zu den bestimmenden Factoren gehört. Es ist wahr, es können Ereignisse eintreten, welche seine Ausführung in Frage stellen. Aber ebenso wahr ist, daß keine politische Combination sich bilden kann, ohne mit dieser neuen Thatsache zu rechnen. Der politische Schwerpunkt ist mit einem Mal wieder in das französische Cabinet verlegt. Dies-ist die Rache, welche sich Louis Napoleon für seine Niederlagen in der Congreßfrage, in der polnischen und in der Herzogthümcrfrage nimmt, das Paroli, das er dem Gespenst einer nordischen Allianz biegt. Und wie seine Politik nie kleinlich, niemals blos negativ ist, so legt er seine Antwort auf das Achselzucken, dessen Gegenstand bereits der friedliebende alternde Familienvater geworden war, in einem Acte nieder, der, eng und sorgfältig umschrieben, doch eines der größten Ereignisse des Jahrhunderts in sich schließt, in einem Acte, der wenn nicht heute, so dock morgen den Sturz des weltlichen Papstthums bedeutet. Keine Frage, daß dieser Wunsch, sein schwindendes Prestige dem In- wie dem Auslande gegenüber wieder zu gewinnen, eines der Motive ist, aus wel¬ chen Louis Napoleon wieder zu einer activen Politik übergegangen ist. Aber er warf sich dabei auf einen Punkt, wo er mit rein „moralischen Mitteln" operiren konnte. Venetien kostete einen Krieg, der zwar neuen Territorial¬ gewinn, aber auch ernste Gefahren für die Dynastie bringen konnte; Rom war für die Erledigung auf diplomatischem Wege reif. Empfand das französische Volk unmuthig die gezwungene Unthätigkeit seines Beberrsckers in der euro¬ päischen Politik, so blieb es immerhin zweifelhaft, ob es willig in einen euro¬ päischen Krieg folgte; unzweifelhaft aber war, daß es die Stellung der fran¬ zösischen Fahne in Rom als eine unwürdige fühlte; sie beleidigte die große Mehrheit der Nation, während sie den kleinen Krieg der mißtrauischen klerikalen Partei doch nicht abwandte. Kleinere, persönliche Motive mochten immerhin mitwirken. Die Hindernisse, welche die Taufe des jungen Prinzen Napoleon fand, der Raub des Judenknaben verstimmten. Aber man würde die römische Politik Louis Napoleons schlecht verstehen, wenn man ihr tiefstes Motiv, einen ge¬ wissen idealen Zug in ihr verkennen wollte. Nicht zum ersten Male zeigt er den Ehrgeiz, das, was innerlich morsch geworden ist, vollends zu Fall zu bringen, dem, was lebenskräftig zum Dasein ringt, die hilfreiche Hand zu bieten, damit die Geschichte seinen Namenszug untrennbar mit den großen Fortschritten unsrer Epoche verschlinge. Daß er allein diesen Ehrgeiz besitzt, ist das ganze Ge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/147
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/147>, abgerufen am 01.10.2024.