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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Sommer 1860 zehntausend römische Bürger in einer Adresse an Victor Emanuel
abgaben? Wenn Rom nicht von Italien erobert würde, sondern ganz ein¬
fach selbst seinen Anschluß vollzöge? Wie dann? Darüber schweigt der Vertrag,
und dieses Schweigen ist beredter als der Worlaut seiner Paragraphen. Gewiß
ist, daß für diesen Fall der Vertrag weder die Hilfe der Franzosen verspricht
-- dann wäre es ja auch einfacher, sie blieben gleich ganz dort, -- noch dem
König von Italien irgendeine Verbindlichkeit auferlegt. Durch ihr Schweigen
über diesen Punkt proclamirt die Convention die Anwendung des Princips
der Nichtintervention^ auf die päpstlichen Staaten. Der Papst-König sieht sich
allein seinen Unterthanen gegenüber versetzt: dies ist die eigentliche Bedeutung
der Septemberconventivn. Vor aller Welt Augen wird das weltliche Papstthum
auf seine eigenen Füße gestellt, zur Probe, ob es darauf stehen kann. Besteht
es die Probe, wofür ihm jetzt noch eine zweijährige Vorbereitungsfrist vergönnt
ist, sind die Römer loyale Unterthanen, gut, so darf sie niemand in ihrem
Glücke stören; sind sie andrer Meinung, so wird sie wiederum niemand in der
Geltendmachung ihres Willens stören. Ist es ein Wunder, wenn der politische
Takt der Italiener in dem Vertrag, der ihnen fast nur Lasten aufzuerlegen scheint,
sofort ein Stück cavourischer Erbschaft witterte?

Allein zwei Jahre sind heutzutage eine lange Frist. Wer bürgt dafür, daß
nach ihrem Ablauf wirklich Buchstaben und Geist des Vertrags erfüllt werden
tonnen? Hier liegt seine schwache Seite. Niemand mag wissen, was während
dieser zwei Jahre geschehen wird. Schon die Weigerung des Papstes, auf seine
Schulden zu verzichten und ein Heer aufzustellen, dann die Möglichkeit einer
neuen Papstwahl, die unberechenbare Haltung der italienischen Parteien, welche
aus der wiedcrangeregten Municipaleifersucht neue Nahrung ziehen, die Mög¬
lichkeit großer europäischer Conflicte; wer kann alle die Möglichkeiten aufzählen,
die einen Strich durch die Rechnung der Italiener machen können? Eventuali¬
täten solcher Art konnten natürlich nicht in den Stipulationen eines Vertrags
Berücksichtigung finden, aber daß sie sofort sich aufdrängen, beweist doch nur,
wie wideisinnig an sich eine politische Lösung ist, welche in einem aus zwei
Jahre gezogenen Wechsel besteht. Es war für L. Napoleon vielleicht der einzige
Weg, sich aus der römischen Sackgasse herauszufinden. Aber man wird immer einen
falschen Schritt thun müssen, um aus einer falschen Situation herauszukommen.

Immerhin, wie unsicher noch die stritte Ausführung des Vertrags ist, wie
schillernd sein Inhalt, nach zwei Seiten hin ist er auf alle Fälle von größter
Bedeutung. Louis Napoleon spricht es zum ersten Mal in einer internatio-
nalen Acte aus, daß die Occupation Roms anormal ist, daß das Nichtein-
Mtschungsprincip auch auf Rom seine Anwendung finden muß. Er giebt damit
ein Document aus der Hand, auf welches, wo nicht die formulirten Ansprüche
Italiens, so doch die Ansprüche der Römer auf ihr Selbstbestimmungsrecht sich


Sommer 1860 zehntausend römische Bürger in einer Adresse an Victor Emanuel
abgaben? Wenn Rom nicht von Italien erobert würde, sondern ganz ein¬
fach selbst seinen Anschluß vollzöge? Wie dann? Darüber schweigt der Vertrag,
und dieses Schweigen ist beredter als der Worlaut seiner Paragraphen. Gewiß
ist, daß für diesen Fall der Vertrag weder die Hilfe der Franzosen verspricht
— dann wäre es ja auch einfacher, sie blieben gleich ganz dort, — noch dem
König von Italien irgendeine Verbindlichkeit auferlegt. Durch ihr Schweigen
über diesen Punkt proclamirt die Convention die Anwendung des Princips
der Nichtintervention^ auf die päpstlichen Staaten. Der Papst-König sieht sich
allein seinen Unterthanen gegenüber versetzt: dies ist die eigentliche Bedeutung
der Septemberconventivn. Vor aller Welt Augen wird das weltliche Papstthum
auf seine eigenen Füße gestellt, zur Probe, ob es darauf stehen kann. Besteht
es die Probe, wofür ihm jetzt noch eine zweijährige Vorbereitungsfrist vergönnt
ist, sind die Römer loyale Unterthanen, gut, so darf sie niemand in ihrem
Glücke stören; sind sie andrer Meinung, so wird sie wiederum niemand in der
Geltendmachung ihres Willens stören. Ist es ein Wunder, wenn der politische
Takt der Italiener in dem Vertrag, der ihnen fast nur Lasten aufzuerlegen scheint,
sofort ein Stück cavourischer Erbschaft witterte?

Allein zwei Jahre sind heutzutage eine lange Frist. Wer bürgt dafür, daß
nach ihrem Ablauf wirklich Buchstaben und Geist des Vertrags erfüllt werden
tonnen? Hier liegt seine schwache Seite. Niemand mag wissen, was während
dieser zwei Jahre geschehen wird. Schon die Weigerung des Papstes, auf seine
Schulden zu verzichten und ein Heer aufzustellen, dann die Möglichkeit einer
neuen Papstwahl, die unberechenbare Haltung der italienischen Parteien, welche
aus der wiedcrangeregten Municipaleifersucht neue Nahrung ziehen, die Mög¬
lichkeit großer europäischer Conflicte; wer kann alle die Möglichkeiten aufzählen,
die einen Strich durch die Rechnung der Italiener machen können? Eventuali¬
täten solcher Art konnten natürlich nicht in den Stipulationen eines Vertrags
Berücksichtigung finden, aber daß sie sofort sich aufdrängen, beweist doch nur,
wie wideisinnig an sich eine politische Lösung ist, welche in einem aus zwei
Jahre gezogenen Wechsel besteht. Es war für L. Napoleon vielleicht der einzige
Weg, sich aus der römischen Sackgasse herauszufinden. Aber man wird immer einen
falschen Schritt thun müssen, um aus einer falschen Situation herauszukommen.

Immerhin, wie unsicher noch die stritte Ausführung des Vertrags ist, wie
schillernd sein Inhalt, nach zwei Seiten hin ist er auf alle Fälle von größter
Bedeutung. Louis Napoleon spricht es zum ersten Mal in einer internatio-
nalen Acte aus, daß die Occupation Roms anormal ist, daß das Nichtein-
Mtschungsprincip auch auf Rom seine Anwendung finden muß. Er giebt damit
ein Document aus der Hand, auf welches, wo nicht die formulirten Ansprüche
Italiens, so doch die Ansprüche der Römer auf ihr Selbstbestimmungsrecht sich


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[0146] Sommer 1860 zehntausend römische Bürger in einer Adresse an Victor Emanuel abgaben? Wenn Rom nicht von Italien erobert würde, sondern ganz ein¬ fach selbst seinen Anschluß vollzöge? Wie dann? Darüber schweigt der Vertrag, und dieses Schweigen ist beredter als der Worlaut seiner Paragraphen. Gewiß ist, daß für diesen Fall der Vertrag weder die Hilfe der Franzosen verspricht — dann wäre es ja auch einfacher, sie blieben gleich ganz dort, — noch dem König von Italien irgendeine Verbindlichkeit auferlegt. Durch ihr Schweigen über diesen Punkt proclamirt die Convention die Anwendung des Princips der Nichtintervention^ auf die päpstlichen Staaten. Der Papst-König sieht sich allein seinen Unterthanen gegenüber versetzt: dies ist die eigentliche Bedeutung der Septemberconventivn. Vor aller Welt Augen wird das weltliche Papstthum auf seine eigenen Füße gestellt, zur Probe, ob es darauf stehen kann. Besteht es die Probe, wofür ihm jetzt noch eine zweijährige Vorbereitungsfrist vergönnt ist, sind die Römer loyale Unterthanen, gut, so darf sie niemand in ihrem Glücke stören; sind sie andrer Meinung, so wird sie wiederum niemand in der Geltendmachung ihres Willens stören. Ist es ein Wunder, wenn der politische Takt der Italiener in dem Vertrag, der ihnen fast nur Lasten aufzuerlegen scheint, sofort ein Stück cavourischer Erbschaft witterte? Allein zwei Jahre sind heutzutage eine lange Frist. Wer bürgt dafür, daß nach ihrem Ablauf wirklich Buchstaben und Geist des Vertrags erfüllt werden tonnen? Hier liegt seine schwache Seite. Niemand mag wissen, was während dieser zwei Jahre geschehen wird. Schon die Weigerung des Papstes, auf seine Schulden zu verzichten und ein Heer aufzustellen, dann die Möglichkeit einer neuen Papstwahl, die unberechenbare Haltung der italienischen Parteien, welche aus der wiedcrangeregten Municipaleifersucht neue Nahrung ziehen, die Mög¬ lichkeit großer europäischer Conflicte; wer kann alle die Möglichkeiten aufzählen, die einen Strich durch die Rechnung der Italiener machen können? Eventuali¬ täten solcher Art konnten natürlich nicht in den Stipulationen eines Vertrags Berücksichtigung finden, aber daß sie sofort sich aufdrängen, beweist doch nur, wie wideisinnig an sich eine politische Lösung ist, welche in einem aus zwei Jahre gezogenen Wechsel besteht. Es war für L. Napoleon vielleicht der einzige Weg, sich aus der römischen Sackgasse herauszufinden. Aber man wird immer einen falschen Schritt thun müssen, um aus einer falschen Situation herauszukommen. Immerhin, wie unsicher noch die stritte Ausführung des Vertrags ist, wie schillernd sein Inhalt, nach zwei Seiten hin ist er auf alle Fälle von größter Bedeutung. Louis Napoleon spricht es zum ersten Mal in einer internatio- nalen Acte aus, daß die Occupation Roms anormal ist, daß das Nichtein- Mtschungsprincip auch auf Rom seine Anwendung finden muß. Er giebt damit ein Document aus der Hand, auf welches, wo nicht die formulirten Ansprüche Italiens, so doch die Ansprüche der Römer auf ihr Selbstbestimmungsrecht sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/146>, abgerufen am 03.07.2024.