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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Berufung ihrer gewählten Vertreter ins Parlament war ja eben nur die Zu¬
sammenfassung der Gesammtsteuerkrast des Landes in einen großen Reichs¬
körper; ebenso verdanken auch die Städte ihre Theilnahme am Parlament der
früh entwickelten finanziellen Selbständigkeit, Ein näheres Eingehen auf die
Steuerverhältnisse und das Städtewesen sparen wir für die Schilderung der
gegenwärtigen Zustände auf.

Ueber die Ständebildung haben wir schon bei Betrachtung des vorigen
Abschnitts das Wichtigste bemerkt. Der hohe Adel gestaltet sich zu einer poli¬
tischen Aristokratie; der kleine Adel, der seine politische Bethätigung besonders
im Friedcnsrichteramte und im Unterhause findet, schließt sich mit der niederen
Geistlichkeit, den städtischen Honoratioren und dem gelehrten Beamtenstand zur
Gentry zusammen. Ein dritter Stand, der sich vielfach am Geschworenen¬
dienst und an den unteren Gemeindeämtern bethätigt, geht aus dem klei¬
neren ländlichen Grundbesitz und der städtischen Bevölkerung hervor.

In diese Verhältnisse traten am Schluß des Mittelalters und im Beginn
des Neformationszeitalters große Veränderungen ein. Der mächtige Neichsadel
des Mittelalters war in den Bürgerkriegen massenhaft zu Grunde gegangen,
und damit war die überwiegende Macht des Oberhauses gebrochen. Dasselbe
nahm wieder die Stelle des Staatsraths und zwar eines sehr gefügigen ein.
Charakteristisch ist der Contrast zwischen dem trotzigen Stolz der großen Edel¬
leute in den die früheren Jahrhunderte behandelnden historischen Dramen
Shakespeares und der höfischen Geschmeidigkeit der Herzöge und Grafen in
Heinrich dem Achten. Es mußte diese Schwächung des Adels zunächst um so
mehr der Krone zum Bordseite gereichen, da das Königthum bald auch in
Folge der Reformation durch Erwerbung der fast schrankenlosen Leitung der
kirchlichen Angelegenheiten einen Machtzuwachs gewann, der es weit über die
in der abgelaufenen Periode eingenommene Stellung erhob. Der zwar oft
harte und eigenwillige, meist aber weise und von großen Gesichtspunkten ge¬
lenkte Gebrauch, den die.Tudors von ihrer Machtfülle machten, hat die Ent¬
wickelung der englischen Volkskraft nach allen Richtungen hin mächtig gefördert,
die Mittelstände haben sich in selbstbewußter Kraft gehoben, Wissenschaft und
Kunst dem Volksgeist einen neuen und unvergänglichen Inhalt gegeben: die
Regierung der Elisabeth lebt noch heutigen Tages als goldene Zeit im Ge¬
dächtniß der Nation.

Aber dauernd die gestörte Harmonie im Volte herzustellen hat das starke
Geschlecht nicht vermocht. Die Stuarts, indem sie die überkommene Macht
"icht nur in einem dem Volksgeiste entgegengesetzten Sinne ausübten, sondern
sie auch in unrichtiger Berechnung der Widerständslust und Widerstandskraft des
Volkes zu absoluter weltlicher und kirchlicher Herrschermacht zu steigern suchten,
beschworen den Kampf zwischen Parlament und Königthum herauf, in dem sie


Berufung ihrer gewählten Vertreter ins Parlament war ja eben nur die Zu¬
sammenfassung der Gesammtsteuerkrast des Landes in einen großen Reichs¬
körper; ebenso verdanken auch die Städte ihre Theilnahme am Parlament der
früh entwickelten finanziellen Selbständigkeit, Ein näheres Eingehen auf die
Steuerverhältnisse und das Städtewesen sparen wir für die Schilderung der
gegenwärtigen Zustände auf.

Ueber die Ständebildung haben wir schon bei Betrachtung des vorigen
Abschnitts das Wichtigste bemerkt. Der hohe Adel gestaltet sich zu einer poli¬
tischen Aristokratie; der kleine Adel, der seine politische Bethätigung besonders
im Friedcnsrichteramte und im Unterhause findet, schließt sich mit der niederen
Geistlichkeit, den städtischen Honoratioren und dem gelehrten Beamtenstand zur
Gentry zusammen. Ein dritter Stand, der sich vielfach am Geschworenen¬
dienst und an den unteren Gemeindeämtern bethätigt, geht aus dem klei¬
neren ländlichen Grundbesitz und der städtischen Bevölkerung hervor.

In diese Verhältnisse traten am Schluß des Mittelalters und im Beginn
des Neformationszeitalters große Veränderungen ein. Der mächtige Neichsadel
des Mittelalters war in den Bürgerkriegen massenhaft zu Grunde gegangen,
und damit war die überwiegende Macht des Oberhauses gebrochen. Dasselbe
nahm wieder die Stelle des Staatsraths und zwar eines sehr gefügigen ein.
Charakteristisch ist der Contrast zwischen dem trotzigen Stolz der großen Edel¬
leute in den die früheren Jahrhunderte behandelnden historischen Dramen
Shakespeares und der höfischen Geschmeidigkeit der Herzöge und Grafen in
Heinrich dem Achten. Es mußte diese Schwächung des Adels zunächst um so
mehr der Krone zum Bordseite gereichen, da das Königthum bald auch in
Folge der Reformation durch Erwerbung der fast schrankenlosen Leitung der
kirchlichen Angelegenheiten einen Machtzuwachs gewann, der es weit über die
in der abgelaufenen Periode eingenommene Stellung erhob. Der zwar oft
harte und eigenwillige, meist aber weise und von großen Gesichtspunkten ge¬
lenkte Gebrauch, den die.Tudors von ihrer Machtfülle machten, hat die Ent¬
wickelung der englischen Volkskraft nach allen Richtungen hin mächtig gefördert,
die Mittelstände haben sich in selbstbewußter Kraft gehoben, Wissenschaft und
Kunst dem Volksgeist einen neuen und unvergänglichen Inhalt gegeben: die
Regierung der Elisabeth lebt noch heutigen Tages als goldene Zeit im Ge¬
dächtniß der Nation.

Aber dauernd die gestörte Harmonie im Volte herzustellen hat das starke
Geschlecht nicht vermocht. Die Stuarts, indem sie die überkommene Macht
"icht nur in einem dem Volksgeiste entgegengesetzten Sinne ausübten, sondern
sie auch in unrichtiger Berechnung der Widerständslust und Widerstandskraft des
Volkes zu absoluter weltlicher und kirchlicher Herrschermacht zu steigern suchten,
beschworen den Kampf zwischen Parlament und Königthum herauf, in dem sie


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[0137] Berufung ihrer gewählten Vertreter ins Parlament war ja eben nur die Zu¬ sammenfassung der Gesammtsteuerkrast des Landes in einen großen Reichs¬ körper; ebenso verdanken auch die Städte ihre Theilnahme am Parlament der früh entwickelten finanziellen Selbständigkeit, Ein näheres Eingehen auf die Steuerverhältnisse und das Städtewesen sparen wir für die Schilderung der gegenwärtigen Zustände auf. Ueber die Ständebildung haben wir schon bei Betrachtung des vorigen Abschnitts das Wichtigste bemerkt. Der hohe Adel gestaltet sich zu einer poli¬ tischen Aristokratie; der kleine Adel, der seine politische Bethätigung besonders im Friedcnsrichteramte und im Unterhause findet, schließt sich mit der niederen Geistlichkeit, den städtischen Honoratioren und dem gelehrten Beamtenstand zur Gentry zusammen. Ein dritter Stand, der sich vielfach am Geschworenen¬ dienst und an den unteren Gemeindeämtern bethätigt, geht aus dem klei¬ neren ländlichen Grundbesitz und der städtischen Bevölkerung hervor. In diese Verhältnisse traten am Schluß des Mittelalters und im Beginn des Neformationszeitalters große Veränderungen ein. Der mächtige Neichsadel des Mittelalters war in den Bürgerkriegen massenhaft zu Grunde gegangen, und damit war die überwiegende Macht des Oberhauses gebrochen. Dasselbe nahm wieder die Stelle des Staatsraths und zwar eines sehr gefügigen ein. Charakteristisch ist der Contrast zwischen dem trotzigen Stolz der großen Edel¬ leute in den die früheren Jahrhunderte behandelnden historischen Dramen Shakespeares und der höfischen Geschmeidigkeit der Herzöge und Grafen in Heinrich dem Achten. Es mußte diese Schwächung des Adels zunächst um so mehr der Krone zum Bordseite gereichen, da das Königthum bald auch in Folge der Reformation durch Erwerbung der fast schrankenlosen Leitung der kirchlichen Angelegenheiten einen Machtzuwachs gewann, der es weit über die in der abgelaufenen Periode eingenommene Stellung erhob. Der zwar oft harte und eigenwillige, meist aber weise und von großen Gesichtspunkten ge¬ lenkte Gebrauch, den die.Tudors von ihrer Machtfülle machten, hat die Ent¬ wickelung der englischen Volkskraft nach allen Richtungen hin mächtig gefördert, die Mittelstände haben sich in selbstbewußter Kraft gehoben, Wissenschaft und Kunst dem Volksgeist einen neuen und unvergänglichen Inhalt gegeben: die Regierung der Elisabeth lebt noch heutigen Tages als goldene Zeit im Ge¬ dächtniß der Nation. Aber dauernd die gestörte Harmonie im Volte herzustellen hat das starke Geschlecht nicht vermocht. Die Stuarts, indem sie die überkommene Macht "icht nur in einem dem Volksgeiste entgegengesetzten Sinne ausübten, sondern sie auch in unrichtiger Berechnung der Widerständslust und Widerstandskraft des Volkes zu absoluter weltlicher und kirchlicher Herrschermacht zu steigern suchten, beschworen den Kampf zwischen Parlament und Königthum herauf, in dem sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/137>, abgerufen am 03.07.2024.