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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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lungen, welche ich obenein nach frischer That erhielt und während des Schlacht¬
jubiläums im vorigen October aufs Neue aufzufrischen mehrfache Gelegenheit
hatte, seine Bestätigung finden.

Bei der Beurtheilung des Sturmangriffs gegen das grimmaische Thor
möge man sich aber fragen, ob es nach militärischen Grundsätzen wohl gerathen
erschien, ein Jnfanteriebataillon mit leeren Händen d. h. ohne jegliche
Sturmgeräthschaften zum Angriff gegen ein verrammeltes Thor und eine 16 Fuß
hohe Stadtmauer zu führen, welche Hindernisse überlegen und verzweifelt ver¬
theidigt wurden, ohne zuvor diese Annäherungshindernisse durch ein zweckmäßi g
angebrachtes Artilleriefeuer für den Sturm zugänglich gemacht zu haben? Man
möge auch nicht behaupten wollen, daß der Versuch, dies durch Geschützfeuer
zu bewerkstelligen, "mislungen" sei; denn wie ich weiter oben auseinandergesetzt,
waren die hierzu verwendeten beiden Batterien unzweckmäßig placirt.

Haben nun gegen die militärisch nothwendige Maßregel, die Mauer zuvor
in Bresche zu legen, die von den kriegführenden Monarchen der Stadt Leipzig
verheißenen Humanitätsrücksichten gestritten, so liegt darin wenigstens ein Mittel
der Entschuldigung. Aber der Heerführer wird wenigstens immer soweit über
alten befreundeten Parteien, deren Vortheil er zu bedenken hat, stehen müssen,
daß er den Schaden des Einen Theils nicht durch Mittet vereitelt, welche für
den anderen unverhältnißmäßig größeren Schaden mit sich bringen. In Fällen
wie der vorliegende, wo es allen zuallererst auf die sofortige und vollständige
Niederwerfung eines gewaltigen Feindes ankommt, hätte man von diesen Hu¬
manitätsrücksichten aber um so mehr Abstand nehmen können und müssen da die
gegen die Mauer verwendeten Geschosse der eigentlichen Stadt keinen oder
nur sehr unerheblichen Schaden zufügen konnten.

Die innere Stadt liegt mindestens 1300 Schritt vom äußeren grimmaischen
Thore entfernt; die Kanonenkugeln aber hätten dieselbe schon darum nicht sehr
beschädigen können, weil sie an den größtentheils massiven Vorstadtgebäudcn,
welche übrigens mit wenigen Ausnahmen von den Bewohnern verlassen waren, er¬
lahmt wären und vielleicht nur ganz vereinzelt bis zur Stadt hätten dringen können.

Anstatt den geringen Schaden für die Stadt zu riskiren, welchen eine scharfe
Kanonade verursachen konnte, verschmähte man diese sichere Maßregel zum Er¬
folg, die heute nicht näher liegt als sie damals gelegen hat und opferte un¬
verhältnißmäßig viel Menschenleben. Gewiß schickte man die Angriffscolonne"
in dem irrigen Glauben vor, daß es leichten Kaufes gelingen werde, das Thor
zu occupiren; allein man hätte sich wohl vorstellen können, daß den Franzosen
viel daran liegen mußte, den Kampf hier so lange wie möglich stehend zu er¬
halten, damit die übrige Armee Luft zum Rückzüge bekäme.

Nun sind in der neuern Knegsführung dergleichen Gewaltstöße schlecht an¬
gebracht; sie werden wenigstens immer sehr theuer bezahlt. So auch damals.


lungen, welche ich obenein nach frischer That erhielt und während des Schlacht¬
jubiläums im vorigen October aufs Neue aufzufrischen mehrfache Gelegenheit
hatte, seine Bestätigung finden.

Bei der Beurtheilung des Sturmangriffs gegen das grimmaische Thor
möge man sich aber fragen, ob es nach militärischen Grundsätzen wohl gerathen
erschien, ein Jnfanteriebataillon mit leeren Händen d. h. ohne jegliche
Sturmgeräthschaften zum Angriff gegen ein verrammeltes Thor und eine 16 Fuß
hohe Stadtmauer zu führen, welche Hindernisse überlegen und verzweifelt ver¬
theidigt wurden, ohne zuvor diese Annäherungshindernisse durch ein zweckmäßi g
angebrachtes Artilleriefeuer für den Sturm zugänglich gemacht zu haben? Man
möge auch nicht behaupten wollen, daß der Versuch, dies durch Geschützfeuer
zu bewerkstelligen, „mislungen" sei; denn wie ich weiter oben auseinandergesetzt,
waren die hierzu verwendeten beiden Batterien unzweckmäßig placirt.

Haben nun gegen die militärisch nothwendige Maßregel, die Mauer zuvor
in Bresche zu legen, die von den kriegführenden Monarchen der Stadt Leipzig
verheißenen Humanitätsrücksichten gestritten, so liegt darin wenigstens ein Mittel
der Entschuldigung. Aber der Heerführer wird wenigstens immer soweit über
alten befreundeten Parteien, deren Vortheil er zu bedenken hat, stehen müssen,
daß er den Schaden des Einen Theils nicht durch Mittet vereitelt, welche für
den anderen unverhältnißmäßig größeren Schaden mit sich bringen. In Fällen
wie der vorliegende, wo es allen zuallererst auf die sofortige und vollständige
Niederwerfung eines gewaltigen Feindes ankommt, hätte man von diesen Hu¬
manitätsrücksichten aber um so mehr Abstand nehmen können und müssen da die
gegen die Mauer verwendeten Geschosse der eigentlichen Stadt keinen oder
nur sehr unerheblichen Schaden zufügen konnten.

Die innere Stadt liegt mindestens 1300 Schritt vom äußeren grimmaischen
Thore entfernt; die Kanonenkugeln aber hätten dieselbe schon darum nicht sehr
beschädigen können, weil sie an den größtentheils massiven Vorstadtgebäudcn,
welche übrigens mit wenigen Ausnahmen von den Bewohnern verlassen waren, er¬
lahmt wären und vielleicht nur ganz vereinzelt bis zur Stadt hätten dringen können.

Anstatt den geringen Schaden für die Stadt zu riskiren, welchen eine scharfe
Kanonade verursachen konnte, verschmähte man diese sichere Maßregel zum Er¬
folg, die heute nicht näher liegt als sie damals gelegen hat und opferte un¬
verhältnißmäßig viel Menschenleben. Gewiß schickte man die Angriffscolonne»
in dem irrigen Glauben vor, daß es leichten Kaufes gelingen werde, das Thor
zu occupiren; allein man hätte sich wohl vorstellen können, daß den Franzosen
viel daran liegen mußte, den Kampf hier so lange wie möglich stehend zu er¬
halten, damit die übrige Armee Luft zum Rückzüge bekäme.

Nun sind in der neuern Knegsführung dergleichen Gewaltstöße schlecht an¬
gebracht; sie werden wenigstens immer sehr theuer bezahlt. So auch damals.


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[0112] lungen, welche ich obenein nach frischer That erhielt und während des Schlacht¬ jubiläums im vorigen October aufs Neue aufzufrischen mehrfache Gelegenheit hatte, seine Bestätigung finden. Bei der Beurtheilung des Sturmangriffs gegen das grimmaische Thor möge man sich aber fragen, ob es nach militärischen Grundsätzen wohl gerathen erschien, ein Jnfanteriebataillon mit leeren Händen d. h. ohne jegliche Sturmgeräthschaften zum Angriff gegen ein verrammeltes Thor und eine 16 Fuß hohe Stadtmauer zu führen, welche Hindernisse überlegen und verzweifelt ver¬ theidigt wurden, ohne zuvor diese Annäherungshindernisse durch ein zweckmäßi g angebrachtes Artilleriefeuer für den Sturm zugänglich gemacht zu haben? Man möge auch nicht behaupten wollen, daß der Versuch, dies durch Geschützfeuer zu bewerkstelligen, „mislungen" sei; denn wie ich weiter oben auseinandergesetzt, waren die hierzu verwendeten beiden Batterien unzweckmäßig placirt. Haben nun gegen die militärisch nothwendige Maßregel, die Mauer zuvor in Bresche zu legen, die von den kriegführenden Monarchen der Stadt Leipzig verheißenen Humanitätsrücksichten gestritten, so liegt darin wenigstens ein Mittel der Entschuldigung. Aber der Heerführer wird wenigstens immer soweit über alten befreundeten Parteien, deren Vortheil er zu bedenken hat, stehen müssen, daß er den Schaden des Einen Theils nicht durch Mittet vereitelt, welche für den anderen unverhältnißmäßig größeren Schaden mit sich bringen. In Fällen wie der vorliegende, wo es allen zuallererst auf die sofortige und vollständige Niederwerfung eines gewaltigen Feindes ankommt, hätte man von diesen Hu¬ manitätsrücksichten aber um so mehr Abstand nehmen können und müssen da die gegen die Mauer verwendeten Geschosse der eigentlichen Stadt keinen oder nur sehr unerheblichen Schaden zufügen konnten. Die innere Stadt liegt mindestens 1300 Schritt vom äußeren grimmaischen Thore entfernt; die Kanonenkugeln aber hätten dieselbe schon darum nicht sehr beschädigen können, weil sie an den größtentheils massiven Vorstadtgebäudcn, welche übrigens mit wenigen Ausnahmen von den Bewohnern verlassen waren, er¬ lahmt wären und vielleicht nur ganz vereinzelt bis zur Stadt hätten dringen können. Anstatt den geringen Schaden für die Stadt zu riskiren, welchen eine scharfe Kanonade verursachen konnte, verschmähte man diese sichere Maßregel zum Er¬ folg, die heute nicht näher liegt als sie damals gelegen hat und opferte un¬ verhältnißmäßig viel Menschenleben. Gewiß schickte man die Angriffscolonne» in dem irrigen Glauben vor, daß es leichten Kaufes gelingen werde, das Thor zu occupiren; allein man hätte sich wohl vorstellen können, daß den Franzosen viel daran liegen mußte, den Kampf hier so lange wie möglich stehend zu er¬ halten, damit die übrige Armee Luft zum Rückzüge bekäme. Nun sind in der neuern Knegsführung dergleichen Gewaltstöße schlecht an¬ gebracht; sie werden wenigstens immer sehr theuer bezahlt. So auch damals.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/112>, abgerufen am 01.10.2024.