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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Das Bataillon, welches, den sicheren Tod vor Augen, dieses verzweifelte Unter¬
nehmen dennoch glänzend durchgeführt hat, verdient mit Recht den Grad von
Anerkennung, welche man demselben noch heute, nach Ablauf eines halben Jahr¬
hunderts, ungetheilt zollt.

Eine altgediente, kricgsgcübterc Truppe würde in ihrer besseren Kenntniß
der Folgen eines so gewagten Angriffs vielleicht hier verzagt sei", den
Rückzug angetreten und andere Maßregeln abgewartet haben. Diese kriegsun-
kundige Mannschaft förderte und rettete zum Theil die Unkenntniß der großen
Gefahr.

Immerhin bleibt der Sturm auf das grimmaischc Thor, von der prak¬
tischen Seite betrachtet, ein Unternehmen, welches den dirigirenden Führern
entschiedenen Tadel einträgt. Denn sie verlangten hier von ihren Soldaten,
was man sprichwörtlich "den wilden Stier vorn an den Hörnern packen" nennt.

Damit diese Auseinandersetzung jedoch nicht gemißdeutet werde, glaube
ich dieselbe noch näher begründen zu müssen.

Als nämlich der Versuch, durch das Thor einzudringen, trotz der zahl¬
reichen Menschenopfer, die er gekostet hatte, mißlungen war, entdeckte man an
dem in der Mauer angebrachten Thorwärterhäuschen eine schwache Fachwerk-
mauer, welche durch Gcwehrkolbcnstöße eingeschlagen werden konnte.

Durch die hierdurch entstandene kleine Brcschiückc konnten sodann einzelne
Landwehrmänncr in das Innere des Häuschens und von hier aus durch eine
gewöhnliche Ausgangsthür in das Innere der Vorstadt gelangen.

Daß nun die aus der schmale" Hausthüre nur höchstens zu zwei bis drei
Mann hervortretenden Landwchrmänner von den zahlreichen Feinden im Inne¬
ren des Thores nicht angenblicklich niedergeschossen wurden, muß eigentlich Wun¬
der nehmen, hatte aber, wie ich sogleich zeigen werde, seinen besonderen Grund.

Ich habe vorhin angegeben, wie der Lieutenant v. Gliczinsti mit den
Tirailleurs des pommerschen Grenadierbataillons durch eine Gartenpforte in die
Vorstadt eingcdrang und den Prinzen von Hessen-Darmstadt zum Gefangenen
machte. Die Stelle, wo dies geschah, war vom damaligen grimmcnschcn
Thore etwa 500 Schritt entfernt.

Das einleitende Fcuergefecht dort, hat jedenfalls die Aufmerksamkeit der
Vertheidiger des grimmaischen Thores auf sich gezogen.

Wenn nun aber die Vertheidiger eines Desilüö, mit welchem die Ver¬
theidigung eines Thores verglichen werden kann, sich durch ein Feuergefccht in
ihrem Lücken umgangen sehen, so ist es sehr wohl begreiflich, daß dieselben
stutzig werden und auf einen sicheren Rückzug denken. Bei einer Tages vorher
geschlagenen Truppe wird diese Wirkung gewiß um so eher eintreten.

Dieses Zusammentreffen scheint mir die Erklärung des höchst auffällige"
Umstandes zu biete", daß es einem Theil des Landwehrbataillons Friccius


Das Bataillon, welches, den sicheren Tod vor Augen, dieses verzweifelte Unter¬
nehmen dennoch glänzend durchgeführt hat, verdient mit Recht den Grad von
Anerkennung, welche man demselben noch heute, nach Ablauf eines halben Jahr¬
hunderts, ungetheilt zollt.

Eine altgediente, kricgsgcübterc Truppe würde in ihrer besseren Kenntniß
der Folgen eines so gewagten Angriffs vielleicht hier verzagt sei», den
Rückzug angetreten und andere Maßregeln abgewartet haben. Diese kriegsun-
kundige Mannschaft förderte und rettete zum Theil die Unkenntniß der großen
Gefahr.

Immerhin bleibt der Sturm auf das grimmaischc Thor, von der prak¬
tischen Seite betrachtet, ein Unternehmen, welches den dirigirenden Führern
entschiedenen Tadel einträgt. Denn sie verlangten hier von ihren Soldaten,
was man sprichwörtlich „den wilden Stier vorn an den Hörnern packen" nennt.

Damit diese Auseinandersetzung jedoch nicht gemißdeutet werde, glaube
ich dieselbe noch näher begründen zu müssen.

Als nämlich der Versuch, durch das Thor einzudringen, trotz der zahl¬
reichen Menschenopfer, die er gekostet hatte, mißlungen war, entdeckte man an
dem in der Mauer angebrachten Thorwärterhäuschen eine schwache Fachwerk-
mauer, welche durch Gcwehrkolbcnstöße eingeschlagen werden konnte.

Durch die hierdurch entstandene kleine Brcschiückc konnten sodann einzelne
Landwehrmänncr in das Innere des Häuschens und von hier aus durch eine
gewöhnliche Ausgangsthür in das Innere der Vorstadt gelangen.

Daß nun die aus der schmale» Hausthüre nur höchstens zu zwei bis drei
Mann hervortretenden Landwchrmänner von den zahlreichen Feinden im Inne¬
ren des Thores nicht angenblicklich niedergeschossen wurden, muß eigentlich Wun¬
der nehmen, hatte aber, wie ich sogleich zeigen werde, seinen besonderen Grund.

Ich habe vorhin angegeben, wie der Lieutenant v. Gliczinsti mit den
Tirailleurs des pommerschen Grenadierbataillons durch eine Gartenpforte in die
Vorstadt eingcdrang und den Prinzen von Hessen-Darmstadt zum Gefangenen
machte. Die Stelle, wo dies geschah, war vom damaligen grimmcnschcn
Thore etwa 500 Schritt entfernt.

Das einleitende Fcuergefecht dort, hat jedenfalls die Aufmerksamkeit der
Vertheidiger des grimmaischen Thores auf sich gezogen.

Wenn nun aber die Vertheidiger eines Desilüö, mit welchem die Ver¬
theidigung eines Thores verglichen werden kann, sich durch ein Feuergefccht in
ihrem Lücken umgangen sehen, so ist es sehr wohl begreiflich, daß dieselben
stutzig werden und auf einen sicheren Rückzug denken. Bei einer Tages vorher
geschlagenen Truppe wird diese Wirkung gewiß um so eher eintreten.

Dieses Zusammentreffen scheint mir die Erklärung des höchst auffällige»
Umstandes zu biete», daß es einem Theil des Landwehrbataillons Friccius


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[0113] Das Bataillon, welches, den sicheren Tod vor Augen, dieses verzweifelte Unter¬ nehmen dennoch glänzend durchgeführt hat, verdient mit Recht den Grad von Anerkennung, welche man demselben noch heute, nach Ablauf eines halben Jahr¬ hunderts, ungetheilt zollt. Eine altgediente, kricgsgcübterc Truppe würde in ihrer besseren Kenntniß der Folgen eines so gewagten Angriffs vielleicht hier verzagt sei», den Rückzug angetreten und andere Maßregeln abgewartet haben. Diese kriegsun- kundige Mannschaft förderte und rettete zum Theil die Unkenntniß der großen Gefahr. Immerhin bleibt der Sturm auf das grimmaischc Thor, von der prak¬ tischen Seite betrachtet, ein Unternehmen, welches den dirigirenden Führern entschiedenen Tadel einträgt. Denn sie verlangten hier von ihren Soldaten, was man sprichwörtlich „den wilden Stier vorn an den Hörnern packen" nennt. Damit diese Auseinandersetzung jedoch nicht gemißdeutet werde, glaube ich dieselbe noch näher begründen zu müssen. Als nämlich der Versuch, durch das Thor einzudringen, trotz der zahl¬ reichen Menschenopfer, die er gekostet hatte, mißlungen war, entdeckte man an dem in der Mauer angebrachten Thorwärterhäuschen eine schwache Fachwerk- mauer, welche durch Gcwehrkolbcnstöße eingeschlagen werden konnte. Durch die hierdurch entstandene kleine Brcschiückc konnten sodann einzelne Landwehrmänncr in das Innere des Häuschens und von hier aus durch eine gewöhnliche Ausgangsthür in das Innere der Vorstadt gelangen. Daß nun die aus der schmale» Hausthüre nur höchstens zu zwei bis drei Mann hervortretenden Landwchrmänner von den zahlreichen Feinden im Inne¬ ren des Thores nicht angenblicklich niedergeschossen wurden, muß eigentlich Wun¬ der nehmen, hatte aber, wie ich sogleich zeigen werde, seinen besonderen Grund. Ich habe vorhin angegeben, wie der Lieutenant v. Gliczinsti mit den Tirailleurs des pommerschen Grenadierbataillons durch eine Gartenpforte in die Vorstadt eingcdrang und den Prinzen von Hessen-Darmstadt zum Gefangenen machte. Die Stelle, wo dies geschah, war vom damaligen grimmcnschcn Thore etwa 500 Schritt entfernt. Das einleitende Fcuergefecht dort, hat jedenfalls die Aufmerksamkeit der Vertheidiger des grimmaischen Thores auf sich gezogen. Wenn nun aber die Vertheidiger eines Desilüö, mit welchem die Ver¬ theidigung eines Thores verglichen werden kann, sich durch ein Feuergefccht in ihrem Lücken umgangen sehen, so ist es sehr wohl begreiflich, daß dieselben stutzig werden und auf einen sicheren Rückzug denken. Bei einer Tages vorher geschlagenen Truppe wird diese Wirkung gewiß um so eher eintreten. Dieses Zusammentreffen scheint mir die Erklärung des höchst auffällige» Umstandes zu biete», daß es einem Theil des Landwehrbataillons Friccius

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/113>, abgerufen am 03.07.2024.