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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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nicht überlebte. Daß er frei geworden sei, eine dritte Missionsreise nach Spa¬
nien gemacht und erst in einer zweiten Gefangenschaft zu Rom den Märtyrer-
tod erlitten habe, ist eine spätere Sage.

Die Annäherungsversuche des Apostels Paulus waren also gescheitert. Der
Gegensatz zwischen dem paulinischen und pctrinischen Christenthum, wie er in
Antiochia hervorgetreten war, bestand noch in voller Schärfe, und unmittelbar
nach dem Tode des Heidenapostcls sehen wir das Judcnchristenthum aller Orten
siegreich. In Korinth scheint schon Paulus selbst bei seinem zweiten Aufenthalt
einen schweren Stand gehabt zu haben. Nachdem sein persönlicher Einfluß
nicht mehr vorhanden, erhob die Gegenpartei um so kühner das Haupt. Die
korinthische Gemeinde war später undankbar genug, dem Paulus seinen Ri¬
valen Petrus als Mitstifter der Gemeinde zur Seite oder vielmehr voranzu¬
stellen. Besonders aber überschwemmte das Judcnchristenthum die kleinasia-
tischen Gemeinden und drohte hier das paulinische Christenthum zu erdrücken.
Ephesus, wo Paulus mehre Jahre gewirkt hatte, wird jetzt der Sitz des
Apostels Johannes, und so gründlich fuhr hier die Reaction über die Schöpfungen
des Paulus hin, daß nach wenigen Jahrzehnten selbst sein Andenken hier er¬
loschen ist. Vier Jahre nach dem Tod des Apostels belobte die Offenbarung
des Johannes die kleinasiatischen Gemeinden, daß sie sich losgemacht von denen,
welche sich fälschlich zu Aposteln aufgeworfen haben. Dennoch war das schlie߬
liche Resultat des Kampfes nicht die Ausscheidung des Paulinismus, sondern
die Umbildung des herrschenden Judenchristenthums, die sich allmälig unter der
Einwirkung des Paulinismus vollzog. Sobald nur einmal die Generation der
Urapostel vorüber war, traten bald.Verhältnisse ein, welche auch auf judcn-
christlicher Seite eine Annäherung begünstigen mußten, wie andrerseits der
Paulinismus als die oppositionelle Minderheit zu Compromissen geneigt war.

Die Geschichte eben dieser Ausgleichungs- und Vermittlungsversuche bildet
den Inhalt des folgenden Jahrhunderts. Wohl treffen wir bis in die Mitte
desselben Schriften, welche einen einseitigen consequenten Paulinismus, und
zahlreichere, welche einen hartnäckigen Judaismus bekunden. Aber zwischen
beiden machte sich früh eine starke Richtung geltend, welche alle Extreme aus¬
schließend einer ausgleichenden Mitte zusteuerte. An die großen Gemeinden zu
Antiochia, zu Korinth, zu Rom war der Name des Apostels Paulus in her-
vorragender Weise geknüpft, sein Apostvlat war doch eine zu bedeutende Er¬
scheinung innerhalb des Christenthums und trotz seiner Zurückdrängung von
zu nachhaltigen Folgen gewesen, als daß nicht auch die herrschende Partei ein
Interesse gehabt hätte, sich mit i>,in, soweit es ihre besonderen Ansprüche ver¬
statteten, friedlich auseinanderzusetzen. Von beiden Theilen also ließ die Span¬
nung nach, und an den neutestamentlichen Schriften, deren Mehrzahl in diese
nachapostolische Periode fällt, so wie an den Erzeugnissen der außerkanonischen


Grenzboten IV. 1864. 13

nicht überlebte. Daß er frei geworden sei, eine dritte Missionsreise nach Spa¬
nien gemacht und erst in einer zweiten Gefangenschaft zu Rom den Märtyrer-
tod erlitten habe, ist eine spätere Sage.

Die Annäherungsversuche des Apostels Paulus waren also gescheitert. Der
Gegensatz zwischen dem paulinischen und pctrinischen Christenthum, wie er in
Antiochia hervorgetreten war, bestand noch in voller Schärfe, und unmittelbar
nach dem Tode des Heidenapostcls sehen wir das Judcnchristenthum aller Orten
siegreich. In Korinth scheint schon Paulus selbst bei seinem zweiten Aufenthalt
einen schweren Stand gehabt zu haben. Nachdem sein persönlicher Einfluß
nicht mehr vorhanden, erhob die Gegenpartei um so kühner das Haupt. Die
korinthische Gemeinde war später undankbar genug, dem Paulus seinen Ri¬
valen Petrus als Mitstifter der Gemeinde zur Seite oder vielmehr voranzu¬
stellen. Besonders aber überschwemmte das Judcnchristenthum die kleinasia-
tischen Gemeinden und drohte hier das paulinische Christenthum zu erdrücken.
Ephesus, wo Paulus mehre Jahre gewirkt hatte, wird jetzt der Sitz des
Apostels Johannes, und so gründlich fuhr hier die Reaction über die Schöpfungen
des Paulus hin, daß nach wenigen Jahrzehnten selbst sein Andenken hier er¬
loschen ist. Vier Jahre nach dem Tod des Apostels belobte die Offenbarung
des Johannes die kleinasiatischen Gemeinden, daß sie sich losgemacht von denen,
welche sich fälschlich zu Aposteln aufgeworfen haben. Dennoch war das schlie߬
liche Resultat des Kampfes nicht die Ausscheidung des Paulinismus, sondern
die Umbildung des herrschenden Judenchristenthums, die sich allmälig unter der
Einwirkung des Paulinismus vollzog. Sobald nur einmal die Generation der
Urapostel vorüber war, traten bald.Verhältnisse ein, welche auch auf judcn-
christlicher Seite eine Annäherung begünstigen mußten, wie andrerseits der
Paulinismus als die oppositionelle Minderheit zu Compromissen geneigt war.

Die Geschichte eben dieser Ausgleichungs- und Vermittlungsversuche bildet
den Inhalt des folgenden Jahrhunderts. Wohl treffen wir bis in die Mitte
desselben Schriften, welche einen einseitigen consequenten Paulinismus, und
zahlreichere, welche einen hartnäckigen Judaismus bekunden. Aber zwischen
beiden machte sich früh eine starke Richtung geltend, welche alle Extreme aus¬
schließend einer ausgleichenden Mitte zusteuerte. An die großen Gemeinden zu
Antiochia, zu Korinth, zu Rom war der Name des Apostels Paulus in her-
vorragender Weise geknüpft, sein Apostvlat war doch eine zu bedeutende Er¬
scheinung innerhalb des Christenthums und trotz seiner Zurückdrängung von
zu nachhaltigen Folgen gewesen, als daß nicht auch die herrschende Partei ein
Interesse gehabt hätte, sich mit i>,in, soweit es ihre besonderen Ansprüche ver¬
statteten, friedlich auseinanderzusetzen. Von beiden Theilen also ließ die Span¬
nung nach, und an den neutestamentlichen Schriften, deren Mehrzahl in diese
nachapostolische Periode fällt, so wie an den Erzeugnissen der außerkanonischen


Grenzboten IV. 1864. 13
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[0101] nicht überlebte. Daß er frei geworden sei, eine dritte Missionsreise nach Spa¬ nien gemacht und erst in einer zweiten Gefangenschaft zu Rom den Märtyrer- tod erlitten habe, ist eine spätere Sage. Die Annäherungsversuche des Apostels Paulus waren also gescheitert. Der Gegensatz zwischen dem paulinischen und pctrinischen Christenthum, wie er in Antiochia hervorgetreten war, bestand noch in voller Schärfe, und unmittelbar nach dem Tode des Heidenapostcls sehen wir das Judcnchristenthum aller Orten siegreich. In Korinth scheint schon Paulus selbst bei seinem zweiten Aufenthalt einen schweren Stand gehabt zu haben. Nachdem sein persönlicher Einfluß nicht mehr vorhanden, erhob die Gegenpartei um so kühner das Haupt. Die korinthische Gemeinde war später undankbar genug, dem Paulus seinen Ri¬ valen Petrus als Mitstifter der Gemeinde zur Seite oder vielmehr voranzu¬ stellen. Besonders aber überschwemmte das Judcnchristenthum die kleinasia- tischen Gemeinden und drohte hier das paulinische Christenthum zu erdrücken. Ephesus, wo Paulus mehre Jahre gewirkt hatte, wird jetzt der Sitz des Apostels Johannes, und so gründlich fuhr hier die Reaction über die Schöpfungen des Paulus hin, daß nach wenigen Jahrzehnten selbst sein Andenken hier er¬ loschen ist. Vier Jahre nach dem Tod des Apostels belobte die Offenbarung des Johannes die kleinasiatischen Gemeinden, daß sie sich losgemacht von denen, welche sich fälschlich zu Aposteln aufgeworfen haben. Dennoch war das schlie߬ liche Resultat des Kampfes nicht die Ausscheidung des Paulinismus, sondern die Umbildung des herrschenden Judenchristenthums, die sich allmälig unter der Einwirkung des Paulinismus vollzog. Sobald nur einmal die Generation der Urapostel vorüber war, traten bald.Verhältnisse ein, welche auch auf judcn- christlicher Seite eine Annäherung begünstigen mußten, wie andrerseits der Paulinismus als die oppositionelle Minderheit zu Compromissen geneigt war. Die Geschichte eben dieser Ausgleichungs- und Vermittlungsversuche bildet den Inhalt des folgenden Jahrhunderts. Wohl treffen wir bis in die Mitte desselben Schriften, welche einen einseitigen consequenten Paulinismus, und zahlreichere, welche einen hartnäckigen Judaismus bekunden. Aber zwischen beiden machte sich früh eine starke Richtung geltend, welche alle Extreme aus¬ schließend einer ausgleichenden Mitte zusteuerte. An die großen Gemeinden zu Antiochia, zu Korinth, zu Rom war der Name des Apostels Paulus in her- vorragender Weise geknüpft, sein Apostvlat war doch eine zu bedeutende Er¬ scheinung innerhalb des Christenthums und trotz seiner Zurückdrängung von zu nachhaltigen Folgen gewesen, als daß nicht auch die herrschende Partei ein Interesse gehabt hätte, sich mit i>,in, soweit es ihre besonderen Ansprüche ver¬ statteten, friedlich auseinanderzusetzen. Von beiden Theilen also ließ die Span¬ nung nach, und an den neutestamentlichen Schriften, deren Mehrzahl in diese nachapostolische Periode fällt, so wie an den Erzeugnissen der außerkanonischen Grenzboten IV. 1864. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/101>, abgerufen am 03.07.2024.