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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Literatur des zweiten Jahrhunderts lassen sich die Fortschritte dieser Aus¬
gleichungstendenz fast Schritt für Schritt verfolgen, bis sie endlich am Schluß
dieses Zeitraumes zu dem Resultate der einen katholischen Kirche sichren.

Nicht wenig halfen dazu die äußeren Verhältnisse. Wenn die Judenchristen
frühe schon die Forderung der Beschneidung und der Beobachtung des Ritual¬
gesetzes fallen ließen, -- nach dem Galaterbnef ist eigentlich nicht mehr davon
die Rede -- so war dies der factische" Ausdehnung des Heidenchristenthnms zu
danken. Immer mehr breitete sich das Evangelium in der Heidenwelt aus,
während das jüdische Volk in seiner Gesammtmasse verstockt blieb. Je mehr
aber Heiden hinzutraten, um so mehr wurden sie sich ihres Unterschieds von
den Juden bewußt, um so ungereimter wurde die Forderung, ihnen das Gesetz
aufzuerlegen. Ja in der Zerstörung des Tempels und der beiligen Stadt
durch Titus schien Gott selbst ein Zeichen aufgerichtet zu haben, daß er seine
Hand von diesem Boden abziehe. Die Urgemeindc selbst wurde gesprengt und
siedelte sich in Pella jenseits des Jordans an. Palästina war jetzt nicht mehr
der dominirende Mittelpunkt. Das Christenthum suchte sich andere Mittelpunkte
inmitten der Heidenwelt. Die römische Gemeinde insbesondere trat früh in
größerer Geltung hervor. Wie von der Macht der Ncichslmuptstadt auch auf
sie eine gewisse Autorität übergehen mußte, so kam ihr noch ganz besonders
der Umstand zu statten, daß sie außerhalb der paulinischen Kämpfe gestanden
hatte; sie hatte einen neutralen Charakter, hier besonders sand die vermittelnde
Tendenz einen günstigen Boden; es zeigte sich bald, daß bier die Fäden der
sich bildenden Kirche zusammenlaufen würden.

War aber nun einmal die Universalität des christlichen Princips allgemein
zugegeben, so fand das Judcnchristenthum auch innere Anknüpfungspunkte im
Paulinismus, zumal der gebildete, philosophisch geschulte Theil desselben. Hatte
doch Paulus selbst die Stüizen seines Systems zum Theil aus den jüdisch-
alcxandr^nischen Schulen geholt, und so fand nun umgekehrt dieser speculative
Trieb des Judenthums in dem christlichen System des Paulus seine Befriedigung
oder den Anstoß zu weiteren Speculationen.

Die Lehre Von Christus wie sie Paulus Vortrugt folgte ohnedies nur dem
Zug, der schon früher hervorgetreten war, dem Zug nach Vergöttlichung des
Herrn. Selbst die Offenbarung des Johannes hatte sich dieser Tendenz nicht
ganz entziehen tonnen. Die Dogmatik des Paulus fand so allgemeinen Ein¬
gang in die Kirche. Schriftsteller, die im Uebrigen noch ganz judaistisch denken,
sehen wir noch in diesem Punkte in die Fußtapfen des Paulus treten, und
hier war dann auch der Punkt, wo die schroffen extremen Judenchristen sich
trennten von den Fortgeschrittener ihrer Partei. Jene, die auf dem Stand¬
punkt der Urgemeinde zurückblieben, die in Jesus nur den jüdischen Messias,
nur einen gottgesandten Menschen erblickten, sahen sich bald in die Stellung


Literatur des zweiten Jahrhunderts lassen sich die Fortschritte dieser Aus¬
gleichungstendenz fast Schritt für Schritt verfolgen, bis sie endlich am Schluß
dieses Zeitraumes zu dem Resultate der einen katholischen Kirche sichren.

Nicht wenig halfen dazu die äußeren Verhältnisse. Wenn die Judenchristen
frühe schon die Forderung der Beschneidung und der Beobachtung des Ritual¬
gesetzes fallen ließen, — nach dem Galaterbnef ist eigentlich nicht mehr davon
die Rede — so war dies der factische» Ausdehnung des Heidenchristenthnms zu
danken. Immer mehr breitete sich das Evangelium in der Heidenwelt aus,
während das jüdische Volk in seiner Gesammtmasse verstockt blieb. Je mehr
aber Heiden hinzutraten, um so mehr wurden sie sich ihres Unterschieds von
den Juden bewußt, um so ungereimter wurde die Forderung, ihnen das Gesetz
aufzuerlegen. Ja in der Zerstörung des Tempels und der beiligen Stadt
durch Titus schien Gott selbst ein Zeichen aufgerichtet zu haben, daß er seine
Hand von diesem Boden abziehe. Die Urgemeindc selbst wurde gesprengt und
siedelte sich in Pella jenseits des Jordans an. Palästina war jetzt nicht mehr
der dominirende Mittelpunkt. Das Christenthum suchte sich andere Mittelpunkte
inmitten der Heidenwelt. Die römische Gemeinde insbesondere trat früh in
größerer Geltung hervor. Wie von der Macht der Ncichslmuptstadt auch auf
sie eine gewisse Autorität übergehen mußte, so kam ihr noch ganz besonders
der Umstand zu statten, daß sie außerhalb der paulinischen Kämpfe gestanden
hatte; sie hatte einen neutralen Charakter, hier besonders sand die vermittelnde
Tendenz einen günstigen Boden; es zeigte sich bald, daß bier die Fäden der
sich bildenden Kirche zusammenlaufen würden.

War aber nun einmal die Universalität des christlichen Princips allgemein
zugegeben, so fand das Judcnchristenthum auch innere Anknüpfungspunkte im
Paulinismus, zumal der gebildete, philosophisch geschulte Theil desselben. Hatte
doch Paulus selbst die Stüizen seines Systems zum Theil aus den jüdisch-
alcxandr^nischen Schulen geholt, und so fand nun umgekehrt dieser speculative
Trieb des Judenthums in dem christlichen System des Paulus seine Befriedigung
oder den Anstoß zu weiteren Speculationen.

Die Lehre Von Christus wie sie Paulus Vortrugt folgte ohnedies nur dem
Zug, der schon früher hervorgetreten war, dem Zug nach Vergöttlichung des
Herrn. Selbst die Offenbarung des Johannes hatte sich dieser Tendenz nicht
ganz entziehen tonnen. Die Dogmatik des Paulus fand so allgemeinen Ein¬
gang in die Kirche. Schriftsteller, die im Uebrigen noch ganz judaistisch denken,
sehen wir noch in diesem Punkte in die Fußtapfen des Paulus treten, und
hier war dann auch der Punkt, wo die schroffen extremen Judenchristen sich
trennten von den Fortgeschrittener ihrer Partei. Jene, die auf dem Stand¬
punkt der Urgemeinde zurückblieben, die in Jesus nur den jüdischen Messias,
nur einen gottgesandten Menschen erblickten, sahen sich bald in die Stellung


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[0102] Literatur des zweiten Jahrhunderts lassen sich die Fortschritte dieser Aus¬ gleichungstendenz fast Schritt für Schritt verfolgen, bis sie endlich am Schluß dieses Zeitraumes zu dem Resultate der einen katholischen Kirche sichren. Nicht wenig halfen dazu die äußeren Verhältnisse. Wenn die Judenchristen frühe schon die Forderung der Beschneidung und der Beobachtung des Ritual¬ gesetzes fallen ließen, — nach dem Galaterbnef ist eigentlich nicht mehr davon die Rede — so war dies der factische» Ausdehnung des Heidenchristenthnms zu danken. Immer mehr breitete sich das Evangelium in der Heidenwelt aus, während das jüdische Volk in seiner Gesammtmasse verstockt blieb. Je mehr aber Heiden hinzutraten, um so mehr wurden sie sich ihres Unterschieds von den Juden bewußt, um so ungereimter wurde die Forderung, ihnen das Gesetz aufzuerlegen. Ja in der Zerstörung des Tempels und der beiligen Stadt durch Titus schien Gott selbst ein Zeichen aufgerichtet zu haben, daß er seine Hand von diesem Boden abziehe. Die Urgemeindc selbst wurde gesprengt und siedelte sich in Pella jenseits des Jordans an. Palästina war jetzt nicht mehr der dominirende Mittelpunkt. Das Christenthum suchte sich andere Mittelpunkte inmitten der Heidenwelt. Die römische Gemeinde insbesondere trat früh in größerer Geltung hervor. Wie von der Macht der Ncichslmuptstadt auch auf sie eine gewisse Autorität übergehen mußte, so kam ihr noch ganz besonders der Umstand zu statten, daß sie außerhalb der paulinischen Kämpfe gestanden hatte; sie hatte einen neutralen Charakter, hier besonders sand die vermittelnde Tendenz einen günstigen Boden; es zeigte sich bald, daß bier die Fäden der sich bildenden Kirche zusammenlaufen würden. War aber nun einmal die Universalität des christlichen Princips allgemein zugegeben, so fand das Judcnchristenthum auch innere Anknüpfungspunkte im Paulinismus, zumal der gebildete, philosophisch geschulte Theil desselben. Hatte doch Paulus selbst die Stüizen seines Systems zum Theil aus den jüdisch- alcxandr^nischen Schulen geholt, und so fand nun umgekehrt dieser speculative Trieb des Judenthums in dem christlichen System des Paulus seine Befriedigung oder den Anstoß zu weiteren Speculationen. Die Lehre Von Christus wie sie Paulus Vortrugt folgte ohnedies nur dem Zug, der schon früher hervorgetreten war, dem Zug nach Vergöttlichung des Herrn. Selbst die Offenbarung des Johannes hatte sich dieser Tendenz nicht ganz entziehen tonnen. Die Dogmatik des Paulus fand so allgemeinen Ein¬ gang in die Kirche. Schriftsteller, die im Uebrigen noch ganz judaistisch denken, sehen wir noch in diesem Punkte in die Fußtapfen des Paulus treten, und hier war dann auch der Punkt, wo die schroffen extremen Judenchristen sich trennten von den Fortgeschrittener ihrer Partei. Jene, die auf dem Stand¬ punkt der Urgemeinde zurückblieben, die in Jesus nur den jüdischen Messias, nur einen gottgesandten Menschen erblickten, sahen sich bald in die Stellung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/102>, abgerufen am 03.07.2024.