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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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daß sie durch die Theilnahme der Heiden am Reiche Gottes nicht verkürzt wer¬
den. Freilich so gemäßigt und ruhig die Form ist, so entschieden und ein¬
dringlich hält er an seinen Grundsätzen fest. Nirgends hat er so gründlich dem
jüdischen Particularismus alle seine Stichen entzogen und seinen eigenen Uni¬
versalismus gegen alles gerechtfertigt, was ihm noch im religiösen Bewußt¬
sein der Juden und Judenchristen entgegenstand.

Daß es dem Paulus ernstlich um eine Aussöhnung auch mit der Ur-
gcmeindc in Jerusalem, aber selbstverständlich nur auf Grundlage der Anerken¬
nung seines Evangeliums zu thun war, beweist die Reise, die er nun nach
Jerusalem antrat, und nach welcher er den Besuch in Rom ausführen wollte.
Was er den älteren Aposteln gelobt hatte, der Armen in der Urgemeindc zu
gedenken, hatte er unausgesetzt im Auge behalten. Während er die Korinther-
bricfe schrieb war er ganz besonders für diesen Zweck thätig gewesen. Er
hatte anfänglich im Sinn, die Beisteuer durch Abgeordnete der Korinther nach
Jerusalem zu schicken und ihnen nur ein Schreiben mitzugeben. Falle jedoch
die Beisteuer so reichlich aus, daß die Sache es auftrage, so wolle er sie selbst
in Jerusalem überbringen. Was er dabei beabsichtigte, war nicht blos die
ausgiebige Unterstützung der dortigen Armen, sondern ganz besonders der mo¬
ralische Eindruck, den er damit auf sie hervorzubringen hoffte. Die Juden-
christen sollten erkennen, wie die Heidenchristen gegen sie gesinnt seien. In
dankbarer Anerkennung dafür werde ihr Mißtrauen, ihre Borurthcile schwinden;
in dieser Liebesgabe sollten sie ein Zeichen brüderlicher Einheit erblicken und
dem Hcideuchristcuthum seinen vollberechtigter Platz neben sich einräumen.
Solcher Hoffnungen voll zog der Apostel nach Jerusalem, denn sein eifriges
Bitten hatte gefruchtet.

Allein seine Hoffnungen sollten schmerzlich getäuscht werden. Das Geld
zwar wurde angenommen, aber wie die Judenchristen diese Gabe ansahen, be¬
weist die spätere Deutung dieser Partei, als hätte Paulus damit erkaufen
wollen, wonach er bisher vergeblich gestrebt, die Anerkennung seines ApvstolatS.
Es brach ein Aufstand aus, in wclclmn die Gcsetzcseiferer den Paulus be¬
drohten, und obwohl die Apostelgeschichte auch diese Scenen absichtlich verwirrt
und verwischt, läßt doch auch sie noch durchblicken, daß nicht blos Juden, son¬
dern auch Judenchristen dabei betheiligt waren. Die römischen Behörden ent¬
zogen den Apostel der jüdischen Nvlkswuth und brachten ihn nach Cäsarea, wo
er zwei Jahre lang gefangen gehalten wurde. Mittelst seines römischen Bürger¬
rechtes setzte er es durch, daß er nach Rom gebracht wurde, wo er abermals
zwei Jahre in Haft blieb, die indessen wie es scheint leicht war, so daß er das
Evangelium predigen und ausbreiten konnte. Hier hören die Nachrichten aus,
und da das Ende dieser zweijährigen Haft zusammentrifft mit der neronischen
Christenverfolgung, so ist es wahrscheinlich, daß er diese grauenhafte Katastrophe


daß sie durch die Theilnahme der Heiden am Reiche Gottes nicht verkürzt wer¬
den. Freilich so gemäßigt und ruhig die Form ist, so entschieden und ein¬
dringlich hält er an seinen Grundsätzen fest. Nirgends hat er so gründlich dem
jüdischen Particularismus alle seine Stichen entzogen und seinen eigenen Uni¬
versalismus gegen alles gerechtfertigt, was ihm noch im religiösen Bewußt¬
sein der Juden und Judenchristen entgegenstand.

Daß es dem Paulus ernstlich um eine Aussöhnung auch mit der Ur-
gcmeindc in Jerusalem, aber selbstverständlich nur auf Grundlage der Anerken¬
nung seines Evangeliums zu thun war, beweist die Reise, die er nun nach
Jerusalem antrat, und nach welcher er den Besuch in Rom ausführen wollte.
Was er den älteren Aposteln gelobt hatte, der Armen in der Urgemeindc zu
gedenken, hatte er unausgesetzt im Auge behalten. Während er die Korinther-
bricfe schrieb war er ganz besonders für diesen Zweck thätig gewesen. Er
hatte anfänglich im Sinn, die Beisteuer durch Abgeordnete der Korinther nach
Jerusalem zu schicken und ihnen nur ein Schreiben mitzugeben. Falle jedoch
die Beisteuer so reichlich aus, daß die Sache es auftrage, so wolle er sie selbst
in Jerusalem überbringen. Was er dabei beabsichtigte, war nicht blos die
ausgiebige Unterstützung der dortigen Armen, sondern ganz besonders der mo¬
ralische Eindruck, den er damit auf sie hervorzubringen hoffte. Die Juden-
christen sollten erkennen, wie die Heidenchristen gegen sie gesinnt seien. In
dankbarer Anerkennung dafür werde ihr Mißtrauen, ihre Borurthcile schwinden;
in dieser Liebesgabe sollten sie ein Zeichen brüderlicher Einheit erblicken und
dem Hcideuchristcuthum seinen vollberechtigter Platz neben sich einräumen.
Solcher Hoffnungen voll zog der Apostel nach Jerusalem, denn sein eifriges
Bitten hatte gefruchtet.

Allein seine Hoffnungen sollten schmerzlich getäuscht werden. Das Geld
zwar wurde angenommen, aber wie die Judenchristen diese Gabe ansahen, be¬
weist die spätere Deutung dieser Partei, als hätte Paulus damit erkaufen
wollen, wonach er bisher vergeblich gestrebt, die Anerkennung seines ApvstolatS.
Es brach ein Aufstand aus, in wclclmn die Gcsetzcseiferer den Paulus be¬
drohten, und obwohl die Apostelgeschichte auch diese Scenen absichtlich verwirrt
und verwischt, läßt doch auch sie noch durchblicken, daß nicht blos Juden, son¬
dern auch Judenchristen dabei betheiligt waren. Die römischen Behörden ent¬
zogen den Apostel der jüdischen Nvlkswuth und brachten ihn nach Cäsarea, wo
er zwei Jahre lang gefangen gehalten wurde. Mittelst seines römischen Bürger¬
rechtes setzte er es durch, daß er nach Rom gebracht wurde, wo er abermals
zwei Jahre in Haft blieb, die indessen wie es scheint leicht war, so daß er das
Evangelium predigen und ausbreiten konnte. Hier hören die Nachrichten aus,
und da das Ende dieser zweijährigen Haft zusammentrifft mit der neronischen
Christenverfolgung, so ist es wahrscheinlich, daß er diese grauenhafte Katastrophe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/100>, abgerufen am 28.09.2024.